Humanistengemeinden um 1900

BERLIN. (hpd) Während die in den säkularen Verbänden Deutschlands

derzeit praktizierte Erinnerungskultur vorwiegend freidenkerische, freireligiöse und evolutionär-monistische Traditionen würdigt, stützt sich der praktische Humanismus (Stichworte: Kindergärten, Lebenskunde, „weltliche Seelsorge“ ...) – wenn auch weitgehend unreflektiert – auf die ethische Kulturbewegung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.

Dies war die Botschaft des Referenten Dr. Horst Groschopp gestern Abend in der gut besuchten öffentlichen Vorlesung in der Berliner URANIA (siehe pdf. im Anhang ) zum Thema „Die drei berühmten Foersters und die ethische Kultur. Humanismus in Berlin um 1900“.

Es war dies die vierte diesjährige Veranstaltung der URANIA-Reihe „Humanismus“, gemeinsam mit dem Berliner Humanistischen Verband. In dieser sich über das Jahr erstreckenden Vortragsreihe werden in der URANIA wichtige humanistische Ideen vorgestellt und maßgebliche DenkerInnen präsentiert. Zugleich thematisieren die Vorträge ob und inwieweit deren Ideen heute noch von Bedeutung sind und wie sie produktiv für das 21. Jahrhundert genutzt werden können.

Gerade die gestern behandelten Foersters boten dazu Anlass genug. Wilhelm Julius Foerster, der Vater, starb in Potsdam 1921 im Alter von 89 Jahren. Er wird für gewöhnlich als Rektor der Berliner Universität, Begründer der Sternwarte und der URANIA gewürdigt. Weniger bekannt ist sein „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ (1890) und sein Engagement für die „Humanistengemeinden“ in Deutschland sowie sein Pazifismus.
Der Vortrag (pdf im Anhang) behandelte dazu sechs Themen: das Programm der ethischen Kulturgesellschaft, ihr Verhältnis zu Religion und Kirche, die weltliche Versammlungskultur der Humanistengemeinde, deren Bildungsarbeit, die Frage der „weltlichen Seelsorge“ und die „Rassenfrage“.

Friedrich Wilhelm Foerster, der Philosoph und Pädagoge, einer der beiden berühmten Söhne, starb 1966 bei Zürich im Alter von 97 Jahren. Er erfand 1905 das Wort „Lebenskunde“. Das Wort wurde in den 1920ern ein reformpädagogisches Konzept und ein Fach an weltlichen Schulen. „Humanistische Lebenskunde“ ist heute in Berlin freiwilliges Schulfach und wird als Alternative zum Religionsunterricht von immerhin 45.000 Kindern besucht.
Bei F. W. Foerster wurden im Vortrag vier Themen behandelt: Lebenskunde und Religionsunterricht, Sexualmoral, Verhältnis zu Demokratie und Frieden.

Karl Foerster starb 1970 in Potsdam im Alter von 96 Jahren. Er wurde berühmt als den Botaniker. Ihn kennt nahezu jeder Gartenfreund noch heute als „Stauden-Foerster“, „Blumenkönig“ oder auch „Pflanzenzauberer“. Er war vor allem ein begnadeter Gartenfreund, erfolgreicher Unternehmer und vielseitiger Fachbuchautor. Er nannte sich selbst einen Mystiker, der seine Naturphilosophie in seinen Pflanzen ausdrücke.

In der anregenden Diskussion wurde das Manko der säkularen öffentlichen Gedenkkultur artikuliert. Dieses bestehe darin, dass die kulturellen Leistungen der Konfessionsfreien in der Regel nicht als solche kenntlich gemacht würden, was auch schwierig sei, da sie in die allgemeine Kultur eingegangen seien, während etwa die Kirchen gesondert da stünden. Beispiele seien die „Volksbühne“, die öffentlichen Bibliotheken, die Kulturhäuser ... und die URANIA selbst.
Es sei nahezu vergessen, dass die Anregung hierzu 1896 in Zürich ausgegangen sei, wo ein Kongress des Schweizerischen Ethischen Bundes stattgefunden habe, auf dem Wilhelm Foerster die Idee einer „ethischen Akademie“ vorgetragen habe, aus der in den folgenden Jahren zunächst der Plan einer Freidenker-Hochschule wuchs, aus dem sich dann die Idee der URANIA herausschälte – eine Traditionslinie, an die angesichts von 120 Jahren URANIA zu erinnern sei.

Den nächsten Vortrag (siehe pdf im Anhang ) hält Prof. Dr. em. Peter Schulz-Hageleit (Gründungspräsident der Humanistischen Akademie Berlin) am 03. Juni zum Thema „Albert Camus: Sisyphos als Lebensliebe“.

GG