Interview

Kein neues Stückwerk unter Bewahrung alter Missstände

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Gudrun Pannier
Gudrun Pannier

BERLIN. (hpd) Gudrun Pannier gehörte zu einer Arbeitsgruppe der Säkularen Grünen, in der säkulare TheologInnen gemeinsam mit AtheistInnen und ReligionswissenschaftlerInnen ein Paper mit dem Titel "Religionen und Weltanschauungen an der Hochschule" erarbeitet haben. Der hpd sprach mit der Politikerin, die maßgeblich an dem Paper beteiligt war, das am vergangenen Wochenende beraten und beschlossen wurde. 

hpd: Wie ist es Ihnen gelungen, Menschen mit diesen doch sehr verschiedenen Ansichten "unter einen Hut" zu bekommen und dabei noch konstruktiv zu arbeiten?

Gudrun Pannier: Unser Arbeitskreis versteht "säkular" nicht als eigene Weltanschauung, sondern als die Vorstellung einer Trennung von Staat und Religionen/Weltanschauungen, in der der Staat eine neutrale Haltung einnimmt, niemanden bevorzugt oder benachteiligt, aber für die Einhaltung der Grund- und BürgerInnenrechte und ein friedliches Zusammenleben aller BürgerInnen Sorge trägt.

In diesem Sinne wurde das Papier gemeinsam erarbeitet. In diesem Arbeitsprozess wurde selbstverständlich auch von den Mitgliedern innerhalb der Gruppe – die teilweise von scheinbar gegensätzlichen Positionen ausgingen – hart diskutiert. Sie haben sich aber im konstruktiven Arbeiten auf gemeinsame Ansätzen verständigt. Das ist in meinen Augen der wünschenswerte Umgang mit diesem Themenkomplex.

Sie sprechen in dem Paper von "Theologien" - also in der Mehrzahl. Bedeutet das, dass für Sie alle Religionen gleichwertig sind?

Auf der Basis des Grundgesetzes sind zunächst erst einmal alle Religionen und Weltanschauungen gleichberechtigt. Der säkulare Ansatz bedeutet ja, dass eine Position eingenommen wird, in der von Seiten des Staates keiner einzelnen Religion oder Weltanschauung ein besonderes Recht eingeräumt wird, sondern "ein Recht für alle" besteht. Die Aufgabe des Staates ist es dann, das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit für alle seine BürgerInnen zu wahren. Hier gilt es, historisch gewachsene Privilegien abzubauen und für andere Gruppen Rechte einzuräumen.

Theologie ist weitaus älter als das was heute umgangssprachlich darunter verstanden wird, sie ist weder allein christlich noch monotheistisch zu verstehen, da z.B. in der Antike Philosophie damit teilweise deckungsgleich war.

Der Widerstand gegen "die Theologie" entspringt oft der durchaus berechtigten Kritik an absoluten Wahrheitsansprüchen und Dogmen und institutionellem Einfluss auf Forschung und Lehre, geht aber für eine pluralistische Gesellschaft damit über sein Ziel hinaus.

Wir gehen davon aus, dass alle Religionen und Weltanschauungen das gleiche Recht auf wissenschaftliche Reflexion von innen und eine wissenschaftliche Betrachtung von außen haben.

So wird aus "Theologie" eben "Theologien", wobei nicht einmal jede Religion ihre Form der Reflexion so nennt. Andere Länder nennen das zum Beispiel "religious studies".

In der Schlussfassung des Papers wurde der Satz: "Weltanschauungsgemeinschaften müssen (…) gleichbehandelt werden" gestrichen. Der umformulierte Satz: "Für die Erforschung non-theistischer Weltanschauungen, konfessionsfreier und religiös indifferenter Lebensweisen (Patchwork-Religionen) sollte eine wissenschaftliche Reflexion ermöglicht werden" implementiert das. Weshalb diese Streichung?

Wir haben den Satz außerdem durch "Für die Weiterentwicklung von Vorstellungen und Praktiken soll bei Bedarf auch anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit der wissenschaftlichen Ausbildung von SpezialistInnen gegeben sein" ergänzt. Ob diese Weltanschauungen religiös, atheistisch, humanistisch oder weitere sind lassen wir dabei offen. Durch die Verbindung in einem Satz statt eines getrennten Satzes wollen wir die Gleichberechtigung und daraus resultierende Gleichbehandlung betonen.

Was erhoffen Sie sich von dem Paper? Soll es eher in die eigene Partei hinein wirken oder erwarten Sie auch Reaktionen darauf von "Außen"?

Ein wesentlicher Impuls für unser Papier kam von einem Gutachten des Wissenschaftrates "Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen" aus dem Jahr 2010.

Leider sind die Schlussfolgerungen aus diesem Gutachten bisher kaum oder gar nicht umgesetzt worden, zum Beispiel die eigenständige Weiterentwicklung der Religionswissenschaft, der Abbau von Einflüssen der Kirchen auf die Habilitationsverfahren etc.

Unser Papier greift diese Ansätze auf, will an den Handlungsbedarf erinnern und geht noch darüber hinaus.

Die Einrichtung neuer Lehrstühle und Fakultäten für weitere Religionen und Weltanschauungen ist keine Frage einer weit entfernten Zukunft, sondern steht jetzt z.B. für den Islam an.

Wir wollen anregen, nicht ein Stückwerk aus Einzelverträgen unter Bewahrung alter Missstände zu schaffen, sondern den Mut zu haben zu größeren, weitreichenderen Entwürfen. Das ist doch ein urgrüner Marken-Kern!

Insofern versteht sich das Papier nach innen in die Partei Bündnis 90/Die Grünen sowohl als Anregung in der Religions- und Weltanschauungspolitik als auch für die Hochschulpolitik. Und es versteht sich als Einladung zur Zusammenarbeit verschiedener Ansätze zur Entwicklung von Ideen – unter dem gemeinsamen säkularen Dach.

Der bundesweite Arbeitskreis "Säkulare Grüne" und die LAG "Säkulare Grüne" laden jetzt am Samstag (2. Juli) zum Beispiel über 20 verschiedene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dazu ein, den Kommissionsbericht von Bündnis 90/Die Grünen "Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat" zu diskutieren und zu verschiedenen Fragen Stellung zu nehmen.

Dazu sind christliche Kirchen und Vereinigungen ebenso eingeladen wie islamische Gemeinschaften, Buddhisten, Hindus, Sikhs, Pagane, Bahai und der Humanistische Verband. Wir betrachten alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als gleichberechtigt und freuen uns auf Gespräche, Stellungnahmen und einen regen Austausch.

Mitglieder der Kommission wie Bettina Jarasch, Mitglied des Bundesvorstandes von Bündnis 90/Die Grünen und Leiterin der Kommission, Jürgen Roth und Walter Otte, die für die "Säkularen Grünen" mitgearbeitet haben, werden Fragen stellen und beantworten.

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.