Eine Herausforderung für jeden von uns

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Gita Neumann / Foto: privat

(hpd) Jeden Tag töten sich in Deutschland Menschen, nicht selten mit rabiaten Methoden. Das liegt auch daran, dass der ärztlich assistierte Suizid hierzulande nicht gut angesehen ist. Ein soeben erschienener Sammelband "Suizidhilfe als Herausforderung" befasst sich mit dem Thema.

Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung sich fürs eigene Lebensende Entscheidungsfreiheit wünscht, gibt es in Politik, Ärzteschaft und Kirchen massive Widerstände gegen jegliche Bestrebungen, Menschen beim Sterben zu helfen. Dass es dennoch Möglichkeiten gibt, jemanden bis zum Schluss zu begleiten, geht aus dem von Gita Neumann herausgegebenen Buch „Suizidhilfe als Herausforderung“ hervor. hpd sprach mit der Herausgeberin über medizinische, rechtliche und pflegerische Aspekte des Themas.

Für wen ist Suizidhilfe denn eine Herausforderung?

Gita Neumann: Für jeden von uns – ob Angehöriger, Mitarbeiter/in einer Einrichtung, Arzt, Betreuerin usw. Wir gehen von den empirisch vorfindlichen Realitäten aus – danach gibt jeder zweite in Deutschland an, schon einmal in seinem Umfeld damit zu tun gehabt zu haben. Die Tabuisierung und die Verbreitung von Mythen (wie der, man solle mit einem Suizidgefährdeten besser nicht darüber sprechen) sind jedoch verheerend.

Ist Suizidhilfe – noch etwas anderes als – nur eine „ärztliche Aufgabe“?

Gita Neumann: In den zahlreichen Briefen von Bürgerinnen und Bürgern, die teilweise auch im Buch veröffentlicht worden sind, wird ein neuer Trend deutlich: Wir nehmen die Sache jetzt selbst in die Hand. Dazu werden auch keine Ärzte gebraucht, wenn verlässliche Mittel anderswie zu besorgen sind. Im Brief von Joseph St. heißt es etwa: „Warum sich von einer Sterbehilfegesellschaft abhängig machen? Autonomie stelle ich mir anders vor. … Unter http://www.sterbenduerfen.de/ haben sich sich unter dem Motto: ‘Wir wissen uns zu helfen’ freie, selbstbestimmte Menschen zusammengefunden. Kein Verein, keine Mitgliedschaft, keine Profitorientierung!“

Hinzu kommt: Die allermeisten Ärzte – und das gilt selbst für einige unserer Autoren – haben keine praktische Erfahrung und auch keine Ahnung, welche Mittelkombinationen sich für einen verlässlichen Suizid überhaupt eignen. Anders als in der Schweiz ist „das“ Suizidmittel Natriumpentobarbital ja hierzulande nicht zugelassen.

In welchem Verhältnis stehen Suizidhilfe und Palliativmedizin?

Gita Neumann: Eigentlich in gar keinem bzw. nur in einem ideologischen von Seiten der Palliativmedizin – während seitens der Suizidhilfe-Befürworter die flächendeckende Palliativversorgung gefordert wird (aber nicht nur wie bisher vorwiegend für Krebspatienten). Palliativmedizin und Hospizbewegung in Deutschland meinen offenbar ein Feindbild zu benötigen, um ihre Ansprüche auch auf bessere finanzielle Ausstattung begründen zu können. Für die sinnvolle Ressourcen-Umverteilung weg von der High-Tech-Medizin hin zur Verbesserung der Allgemein- und Altersmedizin ist dies meines Erachtens jedoch ein Trugschluss. Denn dazu bedarf es des breiten Konsenses in der deutschen Bevölkerung. Würde diese aber eine Charta zur Verbesserung der Sterbeversorgung unterstützen, die als ein Hauptziel den Kampf gegen jede Form von „aktiver“ Sterbe- und Suizidhilfe auf ihre Fahnen geschrieben hat? Die palliative Sedierung wird als Mittel propagiert, um im Endstadium unerträgliches Leiden vermeiden zu können. Andere Länder wie Belgien, Oregon oder Luxemburg machen vor: Die Suizidhilfe ist eigentlich bei der Palliativmedizin gut aufgehoben – von einer Unvereinbarkeit kann keine Rede sein.

Die Beiträge aus medizinischer Perspektive verfolgen zwar ein ähnliches Grundanliegen, vertreten aber keine einheitliche Position – worin unterscheiden sie sich im Kern?

Gita Neumann: Ich kenne alle fünf ärztlichen Autoren sehr gut persönlich, jeder ist ein „Typ“ für sich. Drei von ihnen würden jeweils nicht miteinander sprechen und grenzen sich voneinander ab – nun sind sie auf Gedeih und Verderb endlich einmal in diesem Buch vereint! Die Hintergründe sind vielfältig, was Arztethos, öffentliches Auftreten, eine gewisse Hemdsärmeligkeit und Neigung zur Provokation oder einen besonders hohen (auch theoretischen) Anspruch betrifft. Zwei unserer ärztlichen Autoren (Arnold und Spittler) praktizieren bzw. begleiten Suizidhilfe – im ersten Fall in erheblicher Anzahl – und haben entsprechende Erfahrungen mit entsprechenden Mitteln und Verläufen.

Uwe Christian Arnold sieht keinen Grund, nach einer gesetzlichen Neuregelung zu rufen – hat sich doch gezeigt, dass man ihm trotz öffentlichem Bekenntnis gar nichts anhaben kann, auch standesrechtlich nicht. Er scheint auch von dem jetzt geplanten Gesetz nicht tangiert, da er längst nicht mehr im Namen der organisierten Suizidhilfe (durch DIGNITAS) tätig ist. Bei dem sehr pragmatischen Arnold scheint zu überwiegen, dass mit dem geplanten neuen Straftatbestand endlich deutlich wird, dass ja die (nicht gewerbsmäßig betriebene) Suizidhilfe immer schon straffrei war und auch in Zukunft bleiben würde.

Johann F. Spittler nimmt für sich in Anspruch, hinreichend Kriterien für die freie Willensfähigkeit sorgfältig dokumentiert zugrunde zu legen – und sieht als Psychiater zudem das Elend auch psychisch kranker Suizidwilliger. Er fühlt sich aufgrund seiner Gutachtertätigkeit für SterbehilfeDeutschland, welche den geplanten neuen Straftatbestand eines auf Dauer angelegten Gelderwerbs im Rahmen der Suizidhilfe ausmachen könnte, vom neuen Gesetz massiv bedroht.

Ein anderer ärztlicher Autor, Michael de Ridder, lehnt „organisierte Formen“ kategorisch ab, kritisiert auch Entwicklungen bei der Sterbehilfe in den Niederlanden, die er für unverantwortlich und gefährlich hält. Er plädiert für eine strenge ethische und gesetzliche Regelung, die Ärzten (nur) erlauben soll, für ihnen gut bekannte todkranke Patienten auch Suizidhilfe anzubieten, vor allem, wenn selbst palliativmedizinische Maßnahmen versagt haben.