Serien neu gesehen

Notausgang

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Titelfoto vom Cover; alle anderen Fotos: © Frank Nicolai

BERLIN. (hpd) Jeden Freitag veröffentlicht der hpd einen Artikel zu einem Film oder einer Serie, die mit einem “humanistischen Auge” gesehen werden. Heute schreibt Frank Nicolai über den Dokumentationsfilm “Notausgang”, der das selbstbestimmte Sterben thematisiert.

Erst am Donnerstag der vergangenen Woche wurde der Film der Öffentlichkeit vorgestellt. Vor Beginn der Vorführung warnte der Regisseur Andreas von Hören, dass sich Menschen mit schwachen Nerven die letzten 15 Minuten des Filmes besser außerhalb des Kinosaals aufhalten sollten. Denn im Film wird das Sterben nicht nur thematisiert, sondern auch gezeigt.

“Wir werden am 15. Januar in die Schweiz fahren, um dort den Freitod zu finden. Wir danken Euch für die schönen gemeinsamen Stunden und grüßen Euch ein letztes Mal.” Ein Satz aus dem Brief, den das lang verheiratete Ehepaar Kassler an ihre Freunde zum Abschied schreibt. “In über 90 Jahren Erdendasein durften wir 59 Jahre gemeinsam durch das Leben gehen. Jetzt haben wir beschlossen, auch den letzten Schritt gemeinsam zu tun.”

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Das tut das Paar auch - und die Kamera ist dabei. Im Saal ist es totenstill als wir zusehen, wie die beiden Alten sich noch einmal küssen, den Tropf öffnen und sich die Hand halten. ‘So möchte ich auch einmal sterben’ dachte ich, als ich das stille Bild betrachtete. Meine Nachbarin trocknete sich ihre Augen mit einem Taschentuch, doch mich beruhigten dieses friedlichen, stillen und irgendwie sehr sanften Bilder.

So sterben: alles ist erledigt, man ist des Lebens voll bis obenan. Man konnte sich verabschieden von den Freunden und den wichtigen Dingen, die sich im Leben ansammeln. Noch einmal lachen, etwas reden und dann ganz still entschlafen. Ein wundervolles Wort: “entschlafen”, wenn man zuschaut, wie das Paar die Augen schließt.

Man könnte meinen, die Kamera lässt den Zuschauer zum Voyeur werden, in Intimes eintauchen. Man könnte gar meine, dass es ethisch kaum vertretbar ist, Menschen beim Sterben zu filmen. Doch das ist - wer den Film gesehen hat, wird mir zustimmen - nicht der Fall. Die Dokumentation bereitet auf diesen ruhigen Moment vor. Andreas von Hören spricht zuvor mit dem Paar und sitzt mit an ihrem Küchentisch. Stellt wenige Fragen und lässt die Gegenüber reden. Wobei: Vor allem redet sie. Das Kino wurde einige Male von Gelächter erschüttert. Denn zwar wurden die Fragen immer an beide; manche gar nur an ihn gestellt; doch geantwortet hat meist sie.

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Mit der Zeit entwickelt man eine tiefe Sympathie für die beiden Alten. Man möchte sich einen Apfel aus dem Korb nehmen, der auf dem Küchentisch sitzt, an dem die Interviews meist stattfinden. Man möchte mitreden; Fragen stellen und den beiden am Ende die Hand drücken und sich verabschieden.

Unterbrochen werden die Gespräche immer wieder durch Interviews mit Fachleuten, die sich für das selbstbestimmte Sterben stark machen. So kommt Uwe-Christian Arnold ebenso zu Wort wie Gita Neumann (HVD Berlin). Doch die große Überraschung des Filmes und die Person, die die gesamte Dokumentation trägt, ist die schweizerische Ärztin und Sterbehelferin Dr. Erika Preisig. “Zum Leben gehört der Tod dazu” sagt sie. “Zum Leben könnte auch ein guter Tod gehören, ein schöner Tod, vielleicht ein geplanter Tod. Es ist für mich immer noch fremd, den Tod so zu planen, aber wir können dem Tod nicht entrinnen. Und warum müssen wir uns am Leben festklammern und im Leiden weitermachen?” Dr. Preisig ist Palliativmedizinierin und sagt: “Es ist nicht so, dass wir nichts mehr tun können. Aber wir können wenigsten noch den Menschen einen ganz friedlichen Tod im Beisein ihrer Angehörigen bescheren.”

Auf die Frage, ob es denn nicht gegen die ärztliche Standesehre gehe, Menschen beim Sterben zu helfen, ob sie sich dabei nicht in der Rolle eines “Gottes” sehen würde, der über das Leben bestimmen könne, antwortet sie, dass sich Ärzte diese Frage auch immer dann stellen müssten, wenn sie einen Menschen, der zum Beispiel einen Herzinfarkt hatte, ins Leben zurückholt. “Damit”, sagt sie, “pfuschen wir Ärzte Gott auch immer ins Geschäft.”

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Stefan Daniel ist schwer an Multipler Sklerose erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Die ersten Aufnahmen zeigen seine Bemühungen, sich die Zähne zu putzen. Schon das hat vermutlich nicht nur mich mit Mitleid vor der Leinwand zurückgelassen. Bei einem späteren Interview zeigt sich, dass die Krankheit unaufhaltsam fortschreitet: Daniel ist nicht mehr Herr seines linken Armes. Zu sehen, wie der Arm unkontrolliert herumfliegt, lässt selbst in der Stimme des Filmemachers den Schock erkennen, als er fragt: “Du wolltest eben den Tisch anfassen?” “Ja, aber das geht nicht mehr.”

Der inzwischen schwer behinderte 50-jährige hat sich schon lange dafür entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen, solange er dazu noch in der Lage sei. “Ich habe Menschen in ihren Betten leiden gesehen. Das will ich nicht.” Hinter ihm an der Wand hängt das Foto einer lachenden Frau. Ich habe die beiden zusammen gesehen: Die Augen beider leuchten auf, wenn sie sich anschauen. Stefan Daniel strahlt über das ganze Gesicht, wenn er von ihr spricht.