Atheistischer Glaube

WILHELMSHAVEN. (hpd) In der vergangenen Woche stellte Dr. Paul Schulz sein neu erschienenes Buch „Atheistischer Glaube“ vor, das sich einem Glauben ohne Gott widmet, den er atheistisch definiert, und dessen Konzept sich an sein Buch „Codex Atheos“ anschließt.

Viele Wilhelmshavener fanden sich im Vortragssaal der Volkshochschule zusammen, um einen mitreißenden Vortrag zu hören und diesen im Anschluss mit dem Referenten rege zu diskutieren.

Johann Janssen, Ratsmitglied für die Linke Alternative in Wilhelmshaven und Mitglied des Humanistischen Verbands Wilhelmshaven, war maßgeblich daran beteiligt, dass der studierte Theologe Schulz, der bis Ende der 1970er Jahre Pastor an der Hauptkirche St. Jakobi in Hamburg war, den Weg an die Jade fand.

res publica vs. res privata

Gleich zu Beginn seines Vortrags betonte Schulz die Wichtigkeit, zwischen Religion res publica und Religion res privata scharf zu unterscheiden. So werde Religion im öffentlichen Bereich (res publica) durch kirchliche Institutionen repräsentiert. Im privaten Bereich (res privata) gebe es mehr oder weniger religiöse Menschen.
In den Teilen des Referats, die sich mit der Religion res publica beschäftigten, bezog sich Schulz wesentlich auf seinen Vortrag „Ethik ohne Gott“, der in einem ausführlichen Veranstaltungsbericht  des Humanistischen Pressedienstes nachzulesen ist.
Mit der Weimarer Verfassung von 1919 sei die Religion endgültig zur Privatsache erklärt worden, also aus der res publica verbannt. Praktisch sei die strikte Trennung von Staat und Kirche jedoch nicht umgesetzt, da die Kirchen einen außerordentlich großen gesellschaftlich-politischen Einfluss genössen, der ihnen verfassungsmäßig nicht zustehe. Hierfür gelte es weiterhin zu kämpfen.
Die Umsetzung der Religionsfreiheit im öffentlichen Bereich ist auch aus dem Grunde wichtig, da erst sie dem Menschen im Privaten ermöglicht, sich frei auch gegen Religion zu wenden, sich von Gott zu lösen und sich so von der größtmöglichen Fremdbestimmung zu befreien.
In dem der Mensch „sich herausnimmt aus jeder religiösen Bevormundung, entwickelt er sich zu einem sich selbst bestimmenden und verantwortenden Individuum. Er wird ein autonomer Mensch.“ Diese Befreiung des privaten Menschen ist es dann auch, die Schulz in den Mittelpunkt dieses Vortrags stellte.

„Jeder denkt über Gott nach“

Die kritische Beschäftigung mit Gott und der Religion steht für Schulz am Anfang der Befreiung des Menschen, sowohl ideengeschichtlich, von Xenophanes über Feuerbach bis zu Sartre, als auch als Individuum, was er aus seiner eigenen theologisch-philosophischen Entwicklung zu schließen scheint.
Ganz der These Feuerbachs folgend, dass Gott eine Projektion, eine Erfindung des Menschen sei, plädierte Schulz schon als Pastor in Hamburg dafür, den Gottesbegriff frei zu geben. Jeder sollte frei sein, seine persönlichen Glaubenswahrheiten, seine höchsten Ziele „Gott“ nennen zu dürfen.

Atheistischer Glaube

Letztlich werde die Gottesfrage nie endgültig entschieden werden können. Für Schulz ist es aber allemal besser, „mit offenen Fragen zu leben als mit falschen Antworten.“ Wer also glaubte, in einem Vortrag dieses Titels ein inhaltliches atheistisches Pendant religiöser oder gar christlicher Glaubensvorstellungen zu erfahren, wurde zunächst enttäuscht. Auch referierte Schulz nicht über den vermeintlichen Glaubenscharakter der Annahme, dass es keinen Gott gibt. Stattdessen stellte er einige These auf wie „Der religiöse Glaube glaubt gegen die Realität. Der atheistische Glaube glaubt auf der Basis der Realität.“ Und: Ein atheistischer Glaube sei überall da nötig, wo es um existenzielle Entscheidungen geht.

Schulz entwickelt aus seinen Thesen Folgen des atheistischen Glaubens für das Individuum. Aus einem konsequenten Atheismus folgt für ihn die größtmögliche Humanität: Die strikte Diesseitsbezogenheit. – Loslösung von der Furcht vorm Tod. – Die größte Wertschätzung der individuellen Existenz. – Befreiung von größtmöglicher Fremdbestimmung. – Die Möglichkeit , das Leben anzunehmen, den Sinn des Lebens selbst zu bestimmen. – Aus der Verneinung eines himmlischen Ausgleichs folgt die atheistische Selbstverantwortung. – Aus der Verneinung eines allmächtigen Lenkers folgt die atheistische Weltverantwortung, das Leiden aller Menschen zu mindern.

Anschließende Diskussion

Die Fachbereichsleiterin der Volkshochschule für Politik und Gesellschaft, Christina Heide, leitete souverän durch die anschließende leidenschaftliche Diskussion mit einem aufgeschlossenen und interessierten Publikum, in deren Lauf der Referent seine Thesen verdeutlichen und vertiefen konnte.
Schulz betonte dabei, dass es im öffentlichen Bereich weiter dafür zu kämpfen gelte, die leidvoll erstrittenen Freiheiten eines säkularen Staates zu erhalten bzw. zu verwirklichen. Andererseits läge ihm nichts ferner als ein atheistisch-missionarischer Eifer.
Er musste sich beeilen, dem spätestens jetzt entstandenen Eindruck eines Relativismus zu widersprechen, religiöse und atheistische Positionen seien gleich gut begründet und durch kritischen Diskurs nicht zu entscheiden: Das sei keinesfalls der Fall.
Die Hoffnung des Referenten, dass die Zuhörer Denkanstöße und Argumente mit nach Hause nehmen mögen, hatte sich für dieses Publikum sicher erfüllt.

Lutz Renken