Eliezer Yudkowsky: Evolution – ein fremdartiger Gott

BERLIN. (hpd) "Ein faszinierender Aspekt der Evolutionstheorie ist", so Jacques Monod, "dass jeder denkt, er würde sie verstehen." Ein Mensch, der auf die Welt blickt, sieht stets einen Zweck in den Dingen. Die Beine eines Hasen, geschaffen, um zu rennen, die Zähne eines Fuchses, geschaffen um zu zerreißen. Doch was man sieht, entspricht nicht unbedingt dem, was ist…

In den Tagen vor Darwin war der Grund all dieser Zweckhaftigkeit in der Natur der Wissenschaft ein unlösbares Rätsel. Die Religiösen sagten "Gott hat es getan", denn jedes Mal, wenn man das Wort "Gott" in einem Satz benutzte, bekam man dafür 50 Bonuspunkte. Nun, vielleicht ist das nicht ganz fair. Vor Darwin erschien "Gott" wie eine vernünftige Hypothese. Finde eine Uhr in der Wüste, sagte William Paley, und man kann daraus auf die Existenz eines Uhrmachers schließen.

Doch wenn man auf all diese scheinbare Zweckhaftigkeit in der Natur blickt und nicht nur nach Belieben Beispiele sucht, die die eigene Sicht der Dinge bestätigen, beginnt man zu bemerken, dass einige Dinge einfach nicht auf das jüdisch-christlichen Konzept des einen, allgütigen Gottes passen. Füchse scheinen dafür geschaffen, Hasen zu jagen. Hasen scheinen dafür geschaffen, vor Füchsen zu fliehen. War sich der Schöpfer nicht darüber im Klaren, was er eigentlich wollte?

Wenn ich einen Toaster entwickle, designe ich nicht ein Teil, welches Elektrizität in die Spule bringt und ein weiteres, das den Strom genau daran zu hindern versucht. Es wäre unnötige Mühe. Wer gestaltet ein Ökosystem mit seinen Jagd- und Beutetieren, Viren und Bakterien? Selbst die Kaktuspflanze, von welcher man vielleicht annehmen kann, dass sie auf das Bedürfnis von Wüstentieren zugeschnitten ist, Wasser zu finden, ist von Stacheln bedeckt.

Das Ökosystem würde deutlich mehr Sinn ergeben, wenn es nicht von einem göttlichen Wesen, sondern von einer Vielzahl von Göttern – also zum Beispiel jenen des Hindu- oder Shintoismus – erschaffen worden wäre. So könnte man elegant sowohl die allgegenwärtige Zweckhaftigkeit als auch die allgegenwärtigen Konflikte erklären: Mehr als eine Gottheit handelte, oft mit gänzlich anderen Zielen. Der Fuchs und der Hase sind zwar beide Teil einer Schöpfung, doch sind diese das Werk gänzlich unterschiedlicher Gottheiten. Ich frage mich, ob jemals irgendjemand diese auf diese vortrefflichen Belege gegen das Christentum und für den Hinduismus hingewiesen hat. Wahrscheinlich nicht.

Gleichsam sagt man dem jüdisch-christlichen Gott nach, dass er allgütig sei. Nun gut, auf eine recht spezielle Art und Weise: Denn ein Großteil der Zweckhaftigkeit in der Natur erscheint geradezu grausam. Darwin zog dementsprechend einen andersartigen Schöpfer in Betracht, nachdem er die Ichneumon-Wespen studierte, deren Stiche die Beute paralysieren, sodass sie dann bei lebendigen Leibe von ihren Larven gefressen werden kann: "Ich kann mich selbst nicht davon überzeugen", schrieb Darwin, "dass ein gütiger und allmächtiger Gott bewusst die Ichneumonidae mit der konkreten Absicht erschaffen hat, dass sie sich von lebenden Raupenkörpern ernährt oder dass eine Katze mit Mäusen spielen sollte." Ich frage mich ob irgendein Denker jemals auf diesen exzellenten Beleg der Überlegenheit des Manichäismus gegenüber dem Monotheismus hingewiesen hat.

Aber inzwischen kennen wir alle die Pointe: Man sagt einfach "Evolution".

Man kann befürchten, dass einige Leute auf diese Weise die "wissenschaftliche" Erklärung als eine magische Zweckhaftigkeits-Fabrik der Natur deuten. Ich habe früher schon den Fall von Storm aus den X-Men-Filmen diskutiert, welche durch eine Mutation die Fähigkeit erhält, Blitze zu werfen. Warum? Nun, da gibt es dieses Ding namens "Evolution", das irgendwie eine ganze Menge Sinn in die Natur pumpt und Veränderungen auf der Basis von "Mutationen" passieren lässt. Wenn Storm also eine wirklich große Mutation bekommt, verändert sie sich so, dass sie Blitze werfen kann. Radioaktivität ist eine beliebte Quelle von Superkräften: Strahlung verursacht Mutationen, also sorgt starke Strahlung für starke Mutationen. Klingt logisch.

Doch Evolution erlaubt nicht einfach jeder Form von Zweckhaftigkeit, in die Natur zu sickern. Genau das ist der Grund, aus dem Evolution so eine erfolgreiche empirische Hypothese darstellt. Falls Evolutionsbiologie sowohl einen Toaster als auch einen Baum erklären könnte, wäre sie wertlos. Es ist viel mehr an der Evolutionstheorie, als auf die Natur zu zeigen und "Jetzt ist Zweck erlaubt!" oder "Die Evolution war's!". Die Stärke einer Theorie besteht nicht in dem, was sie erlaubt, sondern in dem, was sie verbietet; wenn man eine gleichsam überzeugende Erklärung für jedes Ergebnis finden kann, besitzt man keinerlei Wissen.

"Viele Nicht-Biologen denken", so beobachtete George Williams, "es wäre zum Nutzen einer Klapperschlange, dass eine Rassel an ihrem Schwanz wächst." BZZT! Diese Form von Zweckhaftigkeit ist nicht erlaubt. Evolution basiert nicht darauf, dass sie Blitze von Sinn zufällig in die Welt sendet, um so eine Spezies zu ihrem Nutzen zu verändern.

Evolution ist angetrieben von einer systematischen Korrelation zwischen den verschiedenen Genen, welche Organismen bilden und der Anzahl an Kopien, die diese Gene in die nächste Generation bringen können. Damit Klapperschlangen Rasseln wachsen lassen können, müssen Rassel-Gene von Generation zu Generation häufiger werden. (Eigentlich Gene für langsam komplexer werdende Rasseln, doch wenn wir einmal damit beginnen, all die Untiefen und Stolperdrähte der Evolutionsbiologie auszuführen, säßen wir morgen Früh noch hier.)

Da ist keine Evolutions-Fee, die sich den gegenwärtigen Stand der Natur ansieht und entscheidet, was eine "gute Idee" wäre und auf dieser Basis entscheidet, die Häufigkeit von Rassel-Genen zu steigern.

Ich nehme an, dass das der Punkt ist, an dem viele Leute Schwierigkeiten mit dem Verständnis der Evolutionsbiologie bekommen. Sie verstehen, dass "hilfreiche" Gene häufiger werden, doch "hilfreich" impliziert einen Zweck. Sie glauben zwar nicht an die Evolutions-Fee, doch fragen sie nichts desto trotz, welche Gene "hilfreich" wären, ganz so als wäre ein Klapperschlangen-Gen in der Lage nicht-Klapperschlangen zu "helfen".