Der bröckelnde Fels

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Foto: Fiona Lorenz

WIEN. (hpd) Der katholischen Kirche in Österreich schlägt erstmals mehrheitlich Misstrauen entgegen. Das sagt das Meinungsforschungsinstitut OGM in seinem jüngsten Vertrauensindex im Auftrag der Austria Presse Agentur. Eine Analyse.

„Du bist der Fels, auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden ihn nicht überwinden“. Die Worte, die der Schriftsteller, der nur mit seinem Vornamen Mätthaus bekannt ist, dem Wanderpropheten Jesus in den Mund legt, stehen in großen goldenen Lettern am Petersdom. Wie kein anderes Bibelzitat stehen sie für das Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche. In Österreich scheinen die salbungsvollen Worte wenig Widerhall zu finden. Der Fels bröckelt. Erstmals misstrauen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OGM die Österreicher der römisch-katholischen Kirche.

Das so genannte Vertrauenssaldo mag mit minus 2 nicht so groß ausfallen, wie sich das viele Kirchenkritiker wünschen würden. Ein Wendepunkt ist es allemal. Zumal wenn man bedenkt, dass vor einem Jahr das Vertrauen in die Institution größer war als das Misstrauen. Trotz des jahrelangen Skandals um systematische sexuelle, psychische und physische Gewalt an Kindern in katholischen Heimen und Schulen. Trotz der Tatsache, dass immer mehr bekannt wurde, wie diese Verbrechen jahrelang vertuscht und die Verbrecher nicht einmal kirchenintern bestraft wurden. Dass man sie der staatlichen Justiz ausgeliefert hätte, davon war gar keine Rede. Und mittlerweile ist bekannt geworden, dass es ähnliche Verbrechen in einem möglicherweise ähnlichen Ausmaß bis in die 1970er-Jahre in staatlichen Heimen gegeben hat. Für Menschen, die die Schuld an den kirchlichen Verbrechen allein am Zölibat festmachen, relativiert das die kirchliche Verantwortung beträchtlich. Der Höhepunkt in der Berichterstattung über den Missbrauchsskandal ist seit längerem überschritten. Auch sind seit dem Vertrauensindex des März 2011 weniger Menschen aus der Kirche ausgetreten als ein Jahr davor. Man hätte erwarten können, dass das der römisch-katholischen Kirche eine Atempause verschafft.

Der Caritas-Bonus ist aufgebraucht

Es wurden relativ wenig neue Fälle bekannt. Nur dürften die die Tropfen gewesen sein, die für viele das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen brauchen. Etwa die Geschichte aus dem Vorarlberger Kloster Mehrerau. Ein Schüler klagte das Kloster wegen sexueller Gewalt an, die ihm ein Erzieher zugefügt hatte. Zum Prozess kam es nie. Das Kloster berief sich darauf, dass der Fall verjährt sei. Das löste nicht nur bei der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt Empörung aus. Die katholische Kirche hatte den verdächtigen Erzieher jahrelang weiter mit Kindern arbeiten lassen, die ganze Sache wurde jahrzehntelang unterm Teppich gehalten. Ein tragischer Fall. Nur alles andere als neu. Solche Geschichten konnte man in den vergangenen Jahren etliche in den Medien lesen. Allerdings scheint diese eine zu viel gewesen zu sein. Nicht sonderlich hilfreich dürfte auch die Diskussion um die so genannte Pfarrer-Initiative gewesen sein. Eine Gruppe von sich widerständig präsentierenden Klerikern wurde von den oberen Hierarchiestufen sanft abgemahnt und ansonsten ignoriert. Wer gehofft hatte, die katholische Kirche sei zu Änderungen bereit, wurde eines Besseren belehrt. Die Mehrheit, der Religion ziemlich egal ist, fühlte sich in ihrer Meinung bestätigt. Wie der Vertrauensindex zeigt, hat die katholische Kirche nicht einmal mehr den geschlossenen Rückhalt der gläubigen Katholiken. Der Caritas-Bonus scheint aufgebraucht. Der hatte vor allem bei weniger religiösen Katholiken und Konfessionsfreien gezogen.

Die Bevölkerung scheint mehrheitlich die Caritas, die traditionell hohes Ansehen genießt, und die katholische Kirche voneinander zu trennen. Sie geht offenbar vermehrt davon aus, dass die Kirche die gemeinnützige Einrichtung zu PR-Zwecken vor sich herschiebt. Eine bemerkenswerte Entwicklung.

Aus der Imagepflege wird nichts

Das Ergebnis kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt für die katholische Hierarchie. Am Sonntag wählen die Katholiken die Pfarrgemeinderäte. Seit Wochen trommeln die Presseabteilungen der Kirche, wie wichtig das Ereignis sei. Man muss nicht einmal zynisch sein, wenn man vermutet, dass diese Wahl auch als Möglichkeit begriffen wird, die katholische Kirche einige Wochen lang mehrheitlich positiv in den Medien zu positionieren. Dass zwei Tage vorher zahlreiche Medien des Landes schreiben, die Bevölkerung misstraue der Kirche mehrheitlich, wird die erhoffte Imagepflege ziemlich erschweren. Zahlreiche Journalisten werden den Vertrauensindex zumindest in einem Nebensatz zitieren, wenn sie über die Wahlergebnisse berichten.

Wobei der Vertrauensindex mit etwas Vorsicht zu genießen ist. Er weist das erste Mal ein mehrheitliches Misstrauen gegenüber der Kirche aus. Wahrscheinlich ist, dass das Misstrauen schon länger größer war, als es sich im Index niederschlug. Das entspricht weniger kirchenkritischem Wunschdenken als einer kritischen Analyse solcher Meinungsumfragen. Auch wenn in den vergangenen Jahren die katholische Kirche in nationalen Medien eher in einem negativen Zusammenhang genannt wurde – eine ausgesprochen kirchenfeindliche Stimmung gibt es nicht in Österreich. Nach wie vor hofiert die Politik die Kirche. Vor kurzem erhielt etwa Christoph Schönborn die höchste Auszeichnung der Stadt Wien. Nur scheint die Zeit einer kritiklos positiven Haltung gegenüber der größten Religionsgemeinschaft des Landes vorbei. Es gilt nicht mehr als sozial erwünschte Antwort, der katholischen Kirche zu vertrauen. Auch das Gegenteil ist nicht der Fall. Der Saldo wäre deutlich negativer. Dass solche Erwartungen Umfrageergebnisse massiv beeinflussen, ist bekannt.

Zumindest über ein Ergebnis können sich die Mitglieder der Kirchenhierarchie freuen. Bundesregierung, Opposition und Justiz schlägt nach den jüngsten Skandalen deutlich mehr Misstrauen entgegen als ihr. Das liegt vermutlich daran, dass sich die Österreicher mehr damit beschäftigen als mit der Religion.
 

Christoph Baumgarten