Der Prediger auf Samtpfoten

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Abb.:screenshot „theeuropean“

WIEN. (hpd) Warum religiöse Publizisten und Funktionäre von der Wichtigkeit einer religiösen Gesellschaft überzeugt sind. Und warum viele Laizisten und Atheisten darauf hereinfallen. Ein Essay.

„Die wohltemperierte Gesellschaft“ nennt der deutsche katholische Publizist Andreas Püttmann sein Plädoyer für eine religiöse Gesellschaft in „The European“. Oder sollte man es eine Polemik nennen? Der Artikel ist kein Einzelfall, er repräsentiert den Mainstream eines nicht mehr ganz neuen Diskurses vor allem im deutschsprachigen Bereich. Religion hält die Gesellschaft zusammen und macht Menschen moralischer. Zumindest die, die nicht intelligent genug sind, sich ein eigenes Weltbild zu erarbeiten. Das ist die zentrale These der Neo-Missionare, die sich lediglich als Verkünder von Wirklichkeiten verstehen. Manchmal kommt sie atheistenfreundlich daher, wie etwa der konservative österreichische Politiker Andreas Khol. Er respektiere Atheisten, weil sie sich ihre Moral hart erarbeiten müssen, sagte er vor kurzem sinngemäß in der österreichischen Tageszeitung der Standard. Gläubige hingegen würden ihre Werte vorgefertigt bekommen. Mutet beinahe an wie ein Hauch von Religionskritik aus dem Mund eines bekennenden Katholiken.

An der Grundthese ändert das wenig. Religiöse Gesellschaften sind in Summe glücklicher und moralischer als areligiöse, lassen uns die Prediger auf Samtpfoten wissen. In ihrer Welt ist das auch so. Und das lässt sich nicht so einfach als Wunschdenken abtun. Auch wenn das auch eine Rolle spielen mag. Wir Menschen bewegen uns meist in einem Umfeld, das in etwa dem eigenen sozialen Status im weiteren Sinn entspricht. Man trifft sich am liebsten mit Menschen, die in Fragen, die man persönlich für wichtig hält, ähnlich ticken. Mit Menschen, die eine ähnliche Sprache verwenden wie man selbst. Was es meist mit sich bringt, dass diese Menschen häufig über ähnlich viel formale Bildung verfügen wie man selbst. Das ergibt die eigene kleine Welt, die wir für Wirklichkeit halten. Selbst wenn wir uns bewusst sind, dass das nur ein kleiner, unbedeutender, Teil der Gesellschaft ist – insgeheim tendieren wir dazu, diesem kleinen Teil ein erhöhtes Gewicht beizumessen. Es ist nicht ganz so, wie wir’s erleben. Aber es wird schon so ähnlich sein.

Das zu überwinden, bedarf erheblicher Willensanstrengungen. Und vor allem erheblicher Reflexionsfähigkeit. Zumal die Wirklichkeit, wie wir sie empfinden, mit starken Emotionen besetzt ist. Und nichts überzeugt uns sehr wie Emotion. Vernunft alleine kommt gegen sie nicht an. Auch nicht bei noch so vernunftbetonten Menschen. Frei von Vorurteilen ist niemand.

Natürlich ist die eigene Überzeugung die beste

Und natürlich halten wir alle die eigene Überzeugung für die beste. Die meisten sind sich bewusst, dass es andere Überzeugungen gibt. Aber die sind dem eigenen Empfinden nach eben weniger gut. Oder vielleicht nur für „die anderen“ geeignet. Für Menschen, die außerhalb der Gruppe stehen, mit der wir uns identifizieren. Ob das eine soziale Schicht, eine Weltanschauungsgemeinschaft, eine ethnische Gruppe oder sonstwas ist, ist in dieser Frage nebensächlich bis belanglos. Wieder müssen wir über die Fähigkeit verfügen, über uns selbst kritisch nachzudenken, um das zu überwinden. Was auch die Möglichkeit einschließt, nachzudenken. Wer besonders eng in eine Gruppe eingebunden ist, wer sich besonders mit ihr identifiziert, wird diese Möglichkeit nur schwer finden. Bei vielen religiösen Publizisten ist das der Fall. Sie publizieren meist in Weltanschauungsorganen, werden ständig mit Ehrungen und dergleichen bedacht. Da kommt man schwer raus aus der geistigen Tretmühle.

In der Tretmühle drin sind auch Atheisten und Laizisten, die verkünden, sie hätten Angst vor einer gottlosen Gesellschaft. Sie haben sich innerlich meist längst mit Religionsgemeinschaften identifiziert. Wiewohl sie sich selbst den Religiösen für intellektuell überlegen halten. Sie selbst brauchen die Religion ja nicht. Aber die Masse ist eben nicht fähig, nachzudenken. Sie braucht eine feste Anleitung. Ausdruck der zutiefst menschlichen Wahrnehmung, die eigene Überzeugung sei die überlegene – gepaart mit einem Überlegenheitsgefühl. Meist betrifft das Vertreter des politischen oder wissenschaftlichen Establishments. Dazu kommt der Effekt, dass wir Gruppen, denen wir ursprünglich in Ablehnung gegenüberstanden, oft als besonders sympathisch empfinden, wenn wir merken: Das sind ja auch Menschen! Die zeigen einem ja Respekt! Den neuen Freunden will man dann leicht gefallen. Da kann schon mal das kritische Denkvermögen auf der Strecke bleiben. Das ist jedem von uns passiert. Wahrscheinlich öfter, als wir uns dessen bewusst sind. Der Effekt ist umso stärker, je feindlicher das Bild war, das wir ursprünglich vom Gegenüber hatten.

Aus dieser, wie man wienerisch sagt, Melange verschiedener banaler und meist unbewusster psychologischer und soziologischer Vorgänge ist in den vergangenen Jahrzehnten der gesellschaftliche Konsens erwachsen: Religion ist irgendwie gut. Am besten wahrscheinlich das Christentum, aber seien wir nicht so kleinlich. Hat nicht einmal ein CDU-Regionalpolitiker gemeint, ein gläubiger Muslim sei ihm lieber als ein besoffener Atheist im Freudenhaus? Natürlich wird das unterstützt durch bewusste Machtpolitik religiöser und politischer Eliten.