Katholische Nabelschau

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Titelbild profil 35/2011 (Ausschnitt)

WIEN. (hpd) In Deutschland entzündet sich an der Frage, ob Joseph Ratzinger als Papst im Bundestag reden darf, eine Debatte, wie viel Religion eine Demokratie verträgt. In Österreich wird zur gleichen Zeit über die innere Befindlichkeit der katholischen Kirche diskutiert. Kommentar einer katholischen Nabelschau.

Wäre es nicht Helmut Schüller, man könnte die „Pfarrerinitiative“ für eine katholische Nebelgranate halten, die den Blick auf Missbrauchsskandal und das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien verhüllen sollen. Statt über laizistische Perspektiven diskutiert das ganze Land, ob katholische Priester heiraten sollen oder Pfarrer rausgeworfen werden dürfen, die wiederverheirateten Geschiedenen die Kommunion verabreichen. Der Begriff „das ganze Land“ ist hier kaum als Übertreibung zu werten. Mehr als 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher können sich laut aktuellen Umfragen mit den Anliegen von Schüllers „Pfarrerinitiative“ identifizieren. Weit mehr als es Katholiken gibt. Dass Schüller samt 400 Kollegen offen zugibt, auf den katholischen Gehorsam zu pfeifen und in seinen Pfarren einen Katholizismus light unterstützt, hat es auf das Titelbild des „profil“ geschafft. Keine Zeitschrift, die bislang mit katholischen Umtrieben aufgefallen ist. Auch die Tageszeitung „Der Standard“, eines der wenigen liberalen Blätter des Landes, widmet der Initiative breiten Raum. Der Qualitätssender Ö1 berichtet diese Woche gleich zweimal in seinem renommierten Mittagsjournal. Einmal kam der Theologe Hans Küng zu Wort, am Samstag wird es Schüllers Gegner Kardinal Christoph Schönborn sein.

Zwischen Gesprächsterminen, mehr oder weniger offenen Rauswurfdrohungen für die ungehorsamen Priester durch Hierarchiefunktionäre der zweiten oder dritten Reihe, Schulterschlüssen mit anderen Initiativen, die sich ebenfalls als kritisch verstehen und der beständigen Warnung vor einem drohenden Schisma gibt es kaum eine Wendung in der Geschichte, über die nicht ausführlich berichtet würde. Mitunter an den Rand der Spekulation und darüber hinaus. Keine Frage, Schüller und seine Mitstreiter haben einen Nerv getroffen. Wenn auch die Forderungen weder neu noch überraschend sind. Sie werden weltweit ständig von diversen katholischen Gruppen erhoben – auch in Österreich. Und es ist ein offenes Geheimnis, dass Pfarrer mit Frauen zusammenleben oder Laien in einigen Gemeinden die Predigt halten dürfen. Nur eben kein ausgesprochenes. Worin – aus Sicht der katholischen Hierarchie – die Brisanz der Initiative liegt. Von der Linie abweichen, sündigen gar – alles schön und gut. Das kennt man, wenn auch auf ungleich tragischere Weise, auch von den Debatten um den Missbrauchsskandal.

Die Initiative bewegt es sich auf einer Ebene, die allenfalls für mehr oder weniger überzeugte Katholiken relevant wäre. Dennoch gibt es seit Wochen kaum ein Thema, das die alpenländische Bevölkerung so beschäftigt wie dieses. Wie die Umfragen zeigen auch weite Kreise, die nicht religiös sind oder mit dem Thema Katholische Kirche aus anderen Gründen längst abgeschlossen haben. Das mag daran liegen, dass die Initiative aufzeigt, dass nicht einmal mehr die Funktionäre die Lebensfremdheit einer Einrichtung mittragen wollen, die weiterhin einen Einfluss auf das öffentliche Leben ausübt, der in demokratischen Staaten zusehends unüblich ist. Sicher liegt es auch daran, dass man hier sehr leicht die Geschichte Schwach gegen Stark ausmachen kann. Oder um beim üblichen Bild zu bleiben: David gegen Goliath. Nur, das könnte man beim Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien genauso haben.

Beispielbild
Helmut Schüller / Foto: facebook
Allein, das hat – noch – keine wirklich prominenten Unterstützer. Vor allem keine, die so weite Bevölkerungskreise mit ungerechter Behandlung assoziieren wie Helmut Schüller. Schüller zählte in jüngeren Jahren zu den mächtigeren Mitgliedern der Kirchenhierarchie. Als Generalvikar der Erzdiözese Wien war er so etwas wie der Stabschef des damals neu ernannten Kardinals Schönborn. Später war er Caritas-Direktor. Eine Rolle, der man in Österreich traditionell große Sympathien entgegenbringt. Der Fall kam schnell und endete hart. Eines Nachts kündigte Schönborn seinen Generalvikar. Er legte ihm einen Brief vor die Wohnungstür. Zu einem Kündigungsgespräch hatte er keinen Mut. Diese öffentliche Demütigung ist mit Sicherheit bis heute eine Motivation für Schüllers Aufmüpfigkeit. Fairerweise muss man sagen: Sonderlich angepasst war er für katholische Verhältnisse nie. Eine Figur, wie geschaffen um aus ihr einen Medienhelden zu machen.

David gegen Goliath

Insofern stimmt David gegen Goliath noch. Theoretisch riskieren Schüller und Mitstreiter viel. Kirchenrechtlich gesehen könnte sie Schönborn jederzeit feuern. Sie haben offen zum Ungehorsam gegen die Kirchenobrigkeit aufgerufen. Ein klarer Verstoß gegen priesterliche Gelübde, der Hierarchie gegenüber bedingungslosen Gehorsam zu üben. Viel klarer geht es nicht. Auf dem Spiel steht – theoretisch – die Existenz der Betroffenen. Geistliche haben in Österreich weder eine Kranken- oder Arbeitslosenversicherung noch haben sie eine Pensionsvorsorge. Die jeweilige Religionsgemeinschaft ist verpflichtet, für sie zu sorgen. Solange sie nicht in Ungnade fallen. Wer seinen Job als Pfarrer verliert, steht buchstäblich auf der Straße. Und hat mangels Ausbildung im engeren Sinn Glück, eine Stelle als Seelsorger zu finden. Gelernt hat er sonst nichts.

Im Fall Schüllers sind diese Überlegungen sehr theoretischer Natur. Schönborn kann es sich nicht leisten, ihn hinauszuwerfen. Sein ehemaliger Generalvikar ist zu populär. Geht er, steht der katholischen Kirche eine Austrittswelle bevor, die die des Vorjahres übertrifft. Und selbst ohne Hinauswurf dürften nach aktuellen Schätzungen irgendwo zwischen 70 und 75.000 Katholiken der „Heiligen Mutter Kirche“ den Rücken kehren. Es ist davon auszugehen, dass dem Kardinal und anderen Entscheidungsträgern diese Zahlen bekannt sind. In einer solchen Situation Gehorsam gewaltsam durchsetzen, käme einem Öffnen der Schleusen gleich. Das sichert nicht nur Schüller und seine Mitstreiter ab. Es wird auch das oft beschworene Schisma verhindern. Gleichzeitig wird man davon ausgehen können, dass Schüller nicht sehr leicht bereit sein wird, als Pfarrer zurück –oder aus der katholischen Kirche auszutreten. Ungeachtet des medialen Schauspiels bleibt mangels Drohpotentials von beiden Seiten vom großen Konflikt kaum mehr übrig als katholische Nabelschau. Zum Gaudium des Publikums. Bei aller Intelligenz der Beteiligten dürfte ihnen der Teil vermutlich nicht groß aufgefallen sein. Sie mimen den Konflikt nicht nur. Das liegt nicht nur an der persönlichen Abneigung der Protagonisten.

Wobei die Vorstöße Schüllers auch Wirkung entfalten. Auf andere Weise als beabsichtigt. Während medial über seine Initiative und ihren Wunsch, die Kirche moralisch zu modernisieren, diskutiert wird, treibt der Konflikt offenbar viele Menschen dazu, sich mit Alternativen zu beschäftigen. Es wird kaum Zufall sein, dass sich der Zulauf zum Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien in den vergangenen Wochen spürbar erhöht hat. Manchen wird das Dauergerede um die Religion zu viel geworden sein. Manche Katholiken werden das auch für bessere Möglichkeit halten, Druck auf die Kirche auszuüben. Vielleicht wird die katholische Nabelschau beitragen, auch in Österreich eine Diskussion nicht nur über Kircheninterna auszulösen, sondern darüber, welche Rolle Religionen in einem demokratischen Gemeinwesen spielen sollen.

Christoph Baumgarten