(hpd) Der israelische Historiker Moshe Zuckermann legt mit “Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt” eine Sammlung mit Aufsätzen vor, welche eine vehemente Kritik an der Politik der israelischen Regierung vornehmen. Es handelt sich um beachtenswerte ideologiekritische und strukturanalytische Beiträge, die mitunter aber die reale Bedrohungssituation für das Land aus dem Blick verlieren.
Mitunter kommen die schärfsten Kritiker der israelischen Politik selbst aus jüdischen Familien, wofür etwa Judith Butler, Noam Chomsky oder Norman Finkelstein stehen. Mitunter kommen sie aber auch aus Israel selbst, wofür Moshe Zuckermann steht.
Er lehrt als Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel-Aviv. Dort wurde er 1949 auch als Sohn von Holocaust Überlebenden geboren. Als Kind und Jugendlicher lebte er längere Zeit in Deutschland, kehrte aber dann mit zwanzig Jahren wieder nach Israel zurück.
In seinen Aufsätzen und Bücher formuliert Zuckermann indessen eine vehemente Kritik an der dortigen Politik, wobei er auch sehr sensible Themen berührt. Dafür steht etwa sein Buch “‘Antisemit!’ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument” (2010). Mit “Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt” liegt nun ein weiteres Werk von Zuckermann vor. Es handelt sich aber um keine Abhandlung mit einheitlichem Text, sondern um eine Sammlung verschiedener Aufsätze – ärgerlicherweise ohne Angabe der ursprünglichen Druckorte.
Als Grundüberlegung seiner Reflexionen benennt der Autor im Vorwort die Frage, “warum sich das zionistische Israel in eine historisch ausweglose Situation manövriert hat …” Sie soll aus "der Logik des Zionismus selbst, also von einer ihm immanenten Perspektive erkundet werden" (S. 9).
Angesichts der unterschiedlichen Themen der insgesamt 15 Beiträge versteht es sich nahezu von selbst, dass nicht alle genau auf diese Problemstellung eingehen. Indessen spricht Zuckermann bereits im ersten Text von dem angedeuteten Paradox: Demnach bestehe für Israel nur die Möglichkeit zwischen der Errichtung eines binationalen Staates und der Zwei-Staaten-Lösung. Die erstgenannte Lösung laufe auf einen Staat der Juden und Palästinenser hinaus. Aufgrund deren höherer Geburtenrate würde dieser über längere Zeit dazu führen, dass die Juden dort eine Minderheit bildeten und er seine “jüdische” Einfärbung verliere. Bleibe die andere Alternative, aber: “Die Verweigerung der Zwei-Staaten-Lösung bedeutet … die Beschleunigung des historischen Endes des zionistischen Projektes …” (S. 12).
Und genau diese Entwicklung forcierten die israelischen Regierungen der letzten Jahre, was die Beiträge des Bandes mal direkt, mal indirekt verdeutlichen sollen. Zuckermann formuliert dabei scharfe Einwände. So spricht er etwa von dem politischen Missbrauch der Erinnerung an den Holocaust “durch massive Vereinnahmung und Instrumentalisierung des Andenkens der Opfer” (S. 41). Die kursierende Opfer-Auffassung für die Gegenwart diene als “bewusste Legitimation einer aktiv gewordenen Täterpraxis” (S. 73).
Zwar könne man für Israel nicht von einem biologischen Rassismus sprechen, es lasse sich aber sehr wohl eine Diskriminierung von Israels arabischstämmigen Bürgern konstatieren. Auch die Rede von der “Villa im Dschungel”, also von der einzigen Demokratie im Nahen Osten, findet Zuckermanns scharfen Widerspruch. Die Rettung des “zionistischen Projekts” erblickt er in folgendem: “Der Rückzug aus den besetzten Gebieten, mithin die Zwei-Staaten-Lösung, ist in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase …. unabdingbar” (S. 168).
Warum dies nicht im eigenen Interesse von den israelischen Regierungen eingesehen wird, kann der Autor indessen auch nicht erklären. Er deutet an, dass der Zionismus wohlmöglich selbst nicht an sein eigenes Projekt glaube. Doch dann stellt sich die Frage: Warum? Zuckermanns beachtenswerten ideologiekritischen und strukturanalytischen Reflexionen führen hier zu keiner überzeugenden Antwort.
Der Autor ignoriert mitunter auch die reale Bedrohung des Staates. Er schreibt zwar: “Das Sicherheitsproblem hatte (und hat) einen realen Kern …”, dann aber auch sehr schnell wieder: “Worum es hier aber geht, ist die Ideologisierung all dieser Bedrohlichkeiten ….” (S. 194). Auch diese gibt es. Doch das Sicherheitsproblem hat für Israel angesichts der Bedrohung durch seine Feinde mit offen bekundeter Vernichtungsabsicht nicht nur einen wahren Kern. Es mag für Zuckermann sprechen, dass er erst mal “vor der eigenen Haustür” kehrt. Gleichwohl fehlt seinen Betrachtungen mitunter diese reale Dimension des Nahost-Konfliktes.
Moshe Zuckermann, Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt, Wien 2014 (Promedia-Verlag), 208 S., ISBN: 978–3853713754, 17,90 Euro
6 Kommentare
Kommentare
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Ich halte Moshe Zuckermann für einen integren Intellektuellen, doch wagt er es leider nicht, die Wahrheit auszusprechen, nämlich dass die Staatsraison Israels diejenige des Siedler-Kolonialismus ist.
Lauri Anders am Permanenter Link
"Wer immer noch glaubt, Antisemitismus beschränke sich im Grunde auf völkisch-rassistische Ausprägungen und sei daher ein eher historisches Phänomen, das lediglich unter Ewiggestrigen eine geistige Heimstätte hab
Hans Trutnau am Permanenter Link
Empfehlenswerte Gegenlesungen:
Shlomo Sand: Dei Erfindung des Landes Israel
Barbara Tuchman: Bibel und Schwert
Andreas Altman: Verdammtes Land
Könnte insgesamt ein stimmigers Bild ergeben.
F. Nicolai am Permanenter Link
Schade, dass man hier kein "gefällt mir" anklicken kann :-)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Sind solche buttons in Planung, Frank?
Und Altmanns Reisebericht ist in der Tat erhellend.
Sascha am Permanenter Link
Ganz neu sind Zuckermann´s Prophezeiungen nicht. Der nahende Untergang Israels wird jetzt seit 69 Jahren vorausgesagt.
Was allerding der Kunsbegriff "kolonialistische Siedlungspolitik" bedeuten soll, ist mir unklar. Auf der Grundlage der israelisch-jordanischen Friedensverträge, des Völkerbundbeschlusses und der Balfour-Deklaration ist völkerrechtlich eigentlich recht klar, das der Jordan die Ostgrenze Israels beschreibt. Zumal, einmal davon abgesehen, im "Siedlungsbau" vor allem palästinensische Arbeitnehmer beschäftigt sind, die dort zu den gleichen Bedinungen arbeiten wie ihre jüdischen Kollegen, und extra für diese Arbeitsstellen aus den Gebieten der sogenannten "Palästinensischen Autonomie" einreisen.
Zudem frage ich mich, ob der hpd inzwischen eine Obsession, bzw. Fixiertheit mit bzw. auf Israel und Juden hat.