Nicht nur eine ökonomische Ehrenrettung des Staates ...

(hpd) Die Wirtschaftswissenschaftlerin Marianna Mazzucato macht in ihrem Buch “Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum” deutlich, dass Neuerungen insbesondere in der Technologie auf die Initiative des Staates und nicht auf den Wagemut von Unternehmern zurückzuführen sind. Mit ihrer Untersuchung hinterfragt die Autorin kritisch das Bild vom scheinbar schwerfälligen und undynamischen Staat und problematisiert die Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Risiken.

Auch allgemein akzeptierte und verbreitete Annahmen sollten immer wieder der kritischen Prüfung an der Realität ausgesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Auffassungen zu ökonomischen und politischen Fragen, gehen diese doch letztendlich alle Menschen in einer Gesellschaft in einem sehr direkten Sinne an. Eine solche Position besteht etwa hinsichtlich der Rolle des Staates in der Wirtschaft: Der freie Markt sei ihm gegenüber dynamischer und innovativer, heißt es häufig in Alltagsgesprächen ebenso wie in Zeitungskommentaren. Doch trifft diese Einschätzung überhaupt zu?

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Die Wirtschaftswissenschaftlerin Marianna Mazzucato, Professorin an der Universität Sussex, kommt in ihrem Buch “Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum” hier zu einem ganz anderen Ergebnis. Das Bild vom entwicklungsarmen und trägen Staat und vom risikofreudigen und wagemutigen Unternehmer stellt sich bei näherer Betrachtung als nicht nur einseitig, sondern als falsch heraus. Die Autorin will falsche Bilder revidieren und Fakten und Fiktion trennen.

Es geht ihr um eine neue Perspektive für den Staat als Akteur: “… von einem trägen bürokratischen Leviathan zum Katalysator neuer Investitionen; vom Reparateur des Marktes zu dessen Schöpfer und Gestalter; von einer Instanz, die den privaten Sektor vom Risiko entlastet, zu einer Instanz, die das Risiko bereitwillig trägt, weil es trotz aller Schwierigkeiten Chancen für künftiges Wachstum eröffnet” (S. 20). Dass diese Sicht nicht Ausdruck naiver Hoffnung, sondern der ökonomischen Realität ist, machen die Fallstudien der Autorin deutlich. Denn eine Fülle von Neuerungen insbesondere im technischen Bereich gingen letztendlich auf Innovationen des Staates zurück, wobei dieser eben auch der Risikoträger war. Erst nach massiven staatlichen Investitionen stiegen private Unternehmer in GPS, Internet, iPad, iPhone und Tochscreen-Displays ein. Ihre späteren Gewinne, etwa die von Apple, gingen keineswegs auf die von Steve Jobs ebenso falsch wie selbstgefällig beschworene “Tollkühnheit” von wagemutigen Unternehmern zurück.

Diese Entwicklung ist sogar relativ gut verständlich: Forschungen im Grundlagenbereich gelten als risikoreich und teuer. Es bedarf eines Akteurs, der hier Innovationen forciert und über die Ressourcen verfügt. Genau diese Rolle hat der Staat auch und gerade in den USA häufig genug eingenommen. Mazzucato macht dies an einer Fülle von Beispielen deutlich. Erst nachdem sich eine neue Technologie als funktions- und marktfähig erwies, stiegen Unternehmer in einschlägige Projekte ein: “Das Beispiel Apple illustriert besonders gut, dass die Manager und Aktionäre des Unternehmens nicht als Einzige – und nicht das höchste Risiko bei der Entwicklung innovativer Produkte wie iPod, iPhone und iPad getragen haben. Der Erfolg dieser Technologien verdankt sich vielmehr vor allem der Weitsicht des amerikanischen Staates, der bereits in den 1960er und 1970er-Jahren radikale Innovationen auf dem Gebiet von Elektronik und Kommunikation in den Blick nahm” (S. 215). Doch: Worin bestand die Gegenleistung für die staatlichen Investitionen?

Genau darauf macht Mazzucato am Ende ihres Buches aufmerksam, geht es ihr doch nicht nur um eine ökonomische Ehrenrettung des Staates. Denn: Der Staat sind wir alle, als Bürger und Steuerzahler. Diese tragen das Risiko für Innovationen – und mitunter dessen Kosten. Die Unternehmen steigen bei einer fertig entwickelten Technologie irgendwann ein und schaffen damit die Grundlage für ihre Erfolge. Man hat es mit einer Privatisierung der Gewinne und mit eine Sozialisierung der Risiken zu tun.

Die demokratietheoretisch bedenkliche Dimension dieser Entwicklung spricht Mazzucato nicht näher an, sie ist aber auch keine Politik-, sondern eine Wirtschaftswissenschaftlerin. Als solche findet sie indessen klare Worte: “Der Staat muss Risiken übernehmen, aber er sollte dem privaten Sektor nicht einfach Risiken abnehmen …; er sollte vielmehr die Risiken tragen, die der private Sektor nicht tragen will, aber dann auch die Früchte seiner Risikobereitschaft ernten” (S. 244) – und – könnte man ergänzen – an die Mehrheit der Gesellschaft und der Steuerzahler weitergeben.

 


Mariana Mazzucato, Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer, München 2014 (Verlag Antje Kunstmann), 303 S., 22,95 Euro