Jakob Augstein zur aktuellen Sterbehilfedebatte

Demut vor dem Tod?

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Haltende Hände
Haltende Hände, Maik Meid, Flikr CC BY-ND 2.0

GIESSEN. (hpd) Jakob Augstein forderte in seiner Kolumne bei Spiegel-Online: “Sterbehilfe gehört verboten.” Für ihn nimmt “der Tod auf Bestellung” dem Leben die Würde. Unser Autor Edgar Dahl setzt sich mit den Argumenten von Augstein auseinander.

Zuweilen möchte man für die Gegner einer Liberalisierung der Sterbehilfe geradezu Mitleid empfinden. Die “Argumente”, zu denen sie greifen, sind mitunter so erbarmungswürdig, dass man sich ernsthaft um ihren mentalen Gesundheitszustand sorgt. Ein inzwischen schon notorischer Kandidat hierfür ist Jakob Augstein. In seinem Kommentar “Verschont den Tod!” verlangt er Demut gegenüber unserem Schicksal: “Das Leben ist nicht beherrschbar, der Tod sollte es auch nicht sein.”

Offenbar weiß Augstein nicht, was er sagt. Wenn ein Aufbegehren gegenüber unserem Schicksal eine Anmaßung wäre, dürften wir nicht nur die Bedingungen, unter denen wir sterben, sondern auch die Bedingungen, unter denen wir leben, nicht verbessern.

Will Augstein etwa auch die moderne Medizin wegen ihres Mangels an Demut verurteilen und beispielsweise den Stab über die Anästhesiologie, die Chirurgie oder die Onkologie brechen? Wenn er die Organtransplantation und die Chemotherapie nicht in Acht und Bann tut, kann er aber auch die terminale Sedierung oder den assistierten Suizid nicht in Bausch und Bogen verwerfen.

Augsteins Appell an die Demut macht nur Sinn, wenn man ihn vor dem Hintergrund seines christlichen Weltbildes betrachtet. Sein Einwand ist, so gesehen, lediglich eine Neuauflage des altbekannten theologischen Dogmas, wonach Gott der alleinige Herr über Leben und Tod ist und wir in der von ihm beschlossenen Stunde zu sterben haben.

Wie leicht zu erkennen ist, lässt sich diese Forderung aber nur schwer verteidigen. Denn wenn wir tatsächlich in der von Gott bestimmten Stunde sterben müssten, hätten wir nicht nur kein Recht, das Leben todgeweihter Menschen zu verkürzen, sondern auch kein Recht, das Leben todgeweihter Menschen zu verlängern. Schließlich schwingen wir uns nicht nur beim assistierten Suizid, sondern auch bei einer Bypass-Operation zum Herrn über Leben und Tod auf. Im einen wie im anderen Fall sorgen wir dafür, dass die Menschen nicht “in der von Gott beschlossenen Stunde” sterben.

Natürlich bleibt es Augstein unbenommen, am Ende seiner Tage “sein Kreuz auf sich zu nehmen” und “in Christo zu leiden”. Doch wie er sicherlich weiß, leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft, in der niemand das Recht hat, anderen seine religiösen Werte aufzuzwingen.

Auch seine Behauptung “in Wahrheit ist der Tod auf Bestellung kein Gewinn an Freiheit!” lässt sich wohl nur aus seinem verqueren Weltbild erklären. Wenn sich Patienten in Zukunft nicht nur eine passive Sterbehilfe, sondern auch einen ärztlich-assistierten Suizid erbitten können, ist dies selbstverständlich ein Gewinn an Freiheit: Sie dürfen plötzlich auf eine Weise sterben, die ihnen zuvor noch verwehrt war.

Vollends absurd wird Augstein, wenn er die Pose einer Kassandra einzunehmen versucht und uns mit erhobenem moralischen Zeigefinger vor einer unheilvollen Entwicklung warnt: “Wenn das Schule macht, wird die Frage ‘Wohin mit Oma?’ bald einen anderen Tonfall bekommen.” Hätte Augstein auch nur einen Tag darauf verwendet, sich über den von Peter Hintze eingebrachten Gesetzesvorschlag zu informieren, wüsste er, dass der ärztlich-assistierte Suizid lediglich terminal erkrankten Patienten zugänglich gemacht werden soll.

Auch ein Blick auf die Schweiz hätte Augstein die Augen öffnen können. Obgleich die Sterbehilfepraxis der Eidgenossen weit liberaler (und, wie ich finde, weit sympathischer) als die von Hintze vorgeschlagene ist, kann sich dort niemand seiner Oma oder anderer zur Last gewordener Familienangehörigen entledigen. Eine Freitodhilfe wird grundsätzlich nur Menschen gewährt, die von sich aus darum bitten, urteilsfähig sind und nachweislich unter einer schweren und unheilbaren Erkrankung leiden.