Gesellschaftskolumne

Unsere Griechen, unsere Krise

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BERLIN. (hpd) Zur Krise der Griechen wurde bereits alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Wie gut, dass es da die deutsche Medienlandschaft gibt, die eben jenes sicherstellt. Findet auch hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger, der sich nach seiner Rückkehr aus Frankreich wieder daran erinnert, was ihm nicht gefehlt hat.

"Aber was, wenn es kein Morgen gibt? Heute gab"s nämlich auch keins." (Bill Murray in „Und Täglich grüßt das Murmeltier“)

Zu Beginn dieser Kolumne gibt es ein kleines Rätsel. Was haben die folgenden vier Fragen gemeinsam?

  • Grexit – Katastrophe oder Chance für den Neuanfang?
  • Countdown zum Staatsbankrott – Scheitert die Griechenland-Rettung?
  • Showdown im Schuldenstreit – was wird aus Griechenland?
  • Die Entscheidung der Griechen – Schicksalstag für Europa?

Wer nicht sofort darauf kommt: Das waren die vier Themen, die in den letzten vier Ausgaben der ARD-Talksendung Günter Jauch vor der Sommerpause besprochen wurden. Vier Mal Griechenland. Ein Thema, in dem der Countdown vor dem Showdown und der Showdown vor der Entscheidung kommt. Zu Gewinnen gab es übrigens den Verstand, den man nach dem Anschauen von diesen Sendungen bisweilen verlieren kann.

Jetzt wäre es sehr einfach, wenn ich Günter Jauch vorwerfen würde, eine monotone Auswahl der Themen zu betreiben.  Aber zum einen ist es ein komplexes Thema, bei dem Kategorien wie „Richtig“ und „Falsch“ schnell ihre Grenzen erreichen. Zum anderen aber gibt es eine sehr einfache Wahrheit: Da kaum ein Thema mehr in der Deutschen Medienöffentlichkeit polarisiert, ist jede Beschäftigung mit der Krise Griechenlands ein Garant für Leser und Klicks. Klicks, eine Währung fast so wichtig wie der Euro, zumindest für Journalisten.

Weswegen die Krise es schon mehrfach in diesem Jahr auf das Titelbild des Nachrichtenmagazins Der Spiegel schaffte. Im März etwa, als das Hamburger Blatt Bundeskanzlerin Angela Merkel in ein Foto von Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch vor der Akropolis aus dem Jahre 1941 kopierte. Andere Medien durften das zum Skandal adeln. Am 11. Juli war es die Karikatur eines Ouzo-trinkenden Griechen auf dem Cover des Spiegels, Hand in Hand mit einem deutschen Touristen, die eine Rassismus-Debatte lostrat. Die kalkulierte Provokation ging auf.

Dass man Auffallen muss, hatte die BILD-Zeitung relativ früh verstanden. Schon 2010 ließ Sie ihren Reporter Paul Ronzheimer „den Pleite-Griechen die Drachmen“ zurückgeben und begründete damit eine neue Form der Simulation von Journalismus. Einen ähnlichen Coup landete das Springer-Blatt erst in diesem Jahr mit dem Aufruf per Selfie „NEIN zu neuen Milliarden“ zu Griechenland zu sagen. Social Media gekreuzt mit BILD-Aktion – ein Erfolgsrezept, lediglich getrübt durch eine Missbilligung des Presserats.

Die Zeit der Griechenland-Krise wird irgendwann nicht nur in Geschichtsbüchern und Werken von Wirtschaftswissenschaftlern Erwähnung finden. Es wird auch dem Moment gedacht, in dem eine Vielzahl von Journalisten (natürlich nicht alle) das Metier gewechselt hat. Sie sind nun wie Animateure in einem Club, die beim Leser bestimmte Emotionen hervorrufen wollen, ohne wirklich zu informieren. Nicht die Situation ist die Nachricht, sondern das Gefühl des Lesers. Das ist unsere Krise.