Rezension

"Neoliberalismus zur Einführung" ist keine wirkliche Einführung

BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher will in seinem Band "Neoliberalismus zur Einführung" die genannten Bezeichnung nicht als politisches Schlagwort, sondern als wissenschaftliche Kategorie behandeln. Die angekündigte Einführung ist indessen keine wirkliche Einführung, da ihr mit der geballten Textpräsentation ein wenig die Systematik fehlt – und auch soziökonomische Folgen und demokratietheoretische Probleme stärkeres Gewicht hätten finden können.

In kapitalismuskritischen Diskussionen findet die Formulierung "Neoliberalismus" als Inkarnation des Übels von Arbeitslosigkeit über Krisen bis zur Ungleichheit häufig Verwendung. Doch was versteht man eigentlich darunter? Handelt es sich um ein politisches Schlagwort oder um einen wissenschaftlichen Terminus? Und: Welche Formen lassen sich beim Neoliberalismus in Theorie und Praxis unterscheiden?

Auf derartige Fragen will der Band "Neoliberalismus zur Einführung" Antworten geben. Geschrieben hat ihn Thomas Biebricher, der Politische Theorie an der Universität in Frankfurt lehrt. Einleitend beklagt er die diffuse Begriffsnutzung und formuliert zutreffend: "Die Diskurslage ist … unübersichtlich" (S. 13). Die politische Instrumentalisierung als Schlagwort spreche gleichwohl nicht gegen die Nutzung des Begriffs. Sei dies doch nur dann problematisch, "wenn eine neutrale Wissenschaftssprache als Alternative zur Verfügung stünde, die allerdings nur um den Preis der Abstraktion und Trivialität zu erreichen wäre" (S. 14f.).

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Zunächst geht es bei Biebricher um die theoretischen Grundlage, wobei das Aufkommen des Neoliberalismus aus der Krise des Liberalismus als reaktives Phänomen gedeutet wird. Daraus hätten sich unterschiedliche Neufassungen mit einer Revision ebenso wie mit einer Revitalisierung der liberalen Agenda herausgebildet. Genannt werden hierfür der Ordoliberalismus eines Walter Eucken, die Konstitutionenökonomik eines James Buchanan, der evolutorische Neoliberalismus eine Friedrich August von Hayek und der monetaristische Neoliberalismus eines Milton Friedman. Biebricher arbeitet die Besonderheiten heraus und macht die Konturen durch den Vergleich deutlich. Danach wirft er einen Blick auf die Praxis, wobei die Neoliberalisierungsprozesse in Großbritannien in der Ära von Magaret Thatcher und in den USA zur Zeit von Ronald Regan behandelt werden. Der Autor geht hier aber auch auf die "zweite Welle" des "Neoliberalismus 'von links'" (S. 124) ein, womit die Politik von Tony Blair in Großbritannien und von Bill Clinton in den USA gemeint ist.

Bilanzierend heißt es dazu: "Erstens fallen die Macht von Ideen einerseits sowie das komplexe Verhältnis von Theorie und Praxis andererseits ins Auge. … Gleichzeitig verdienen jedoch gerade auch die Brechungen und Diskontinuitäten zwischen Theorie und Praxis Beachtung … Die dritte Schlussfolgerung betrifft die Frage nach Gewinnern und Verlierern, die in dieser Eindimensionalität aber unmöglich abschließend beantwortet werden kann" (S. 149–152). Gleichwohl heißt es unter Einbeziehung Deutschlands: "Das Gesamtergebnis ist eine Öffnung der sozialen Ungleichheitsschere in einem seit dem Zweiten Weltkrieg nie da gewesenen Umfang, die den langfristigen Egalisierungstrend, der alle drei Länder von 1945 bis in die frühen 1970er Jahre kennzeichnete, neutralisiert hat" (S. 153). Danach geht Biebricher noch auf die Governanceforschung und die Gouvernementalitätperspektive zum Neoliberalismus ein. Die Einführung endet mit einem Blick auf die Finanz- und Eurokrise und dem kritischen Hinweis auf den „Aufstieg des Finanzmarktkapitalismus" (S. 189).

Insgesamt hat man es mit einem informativen und kenntnisreichen Buch zu tun, wenngleich es als erste Einführung ins Thema nicht eignet. Denn dazu ballt der Autor zu viel Stoff in die einzelnen Kapitel und strukturiert die Inhalte nicht klarer. Er nutzt auch ein formales, nämliche zeitliches Verständnis von "Neoliberalismus". Ob man etwa den "Ordoliberalismus" auch inhaltlich den anderen Formen zuordnen kann, muss doch eher bezweifelt werden. Dadurch geraten die Konturen des Gemeinten ein wenig durcheinander. Biebricher behandelt ausführlich die jeweiligen wirtschaftspolitischen Grundpositionen, die sozioökonomischen Folgen werden demgegenüber nur kurz angesprochen. Dabei konstatiert er auch die Konsequenzen für den "Egaliserungstrend" (S. 153), bleibt aber hier eher knapp und kursorisch. Gleiches gilt für die Frage, inwieweit die Demokratie unter den Folgen des Neoliberalismus zu leiden hatte und hätte. Auch hier macht Biebricher immer wieder kritische Bemerkungen, ohne aber diese Punkte stärker zu gewichten.

Thomas Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, 2. Auflage, Hamburg 2015 (Junius-Verlag), 243 S., ISBN 978–3885060611, 14,90 Euro