Laizismus-Debatte bei den LINKEN

Strikter Laizismus oder Säkularisierung der Gesellschaft?

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Bundesparteitag der Partei DIE LINKE
Bundesparteitag der Partei DIE LINKE

Auf zwei Landesparteitagen der Partei DIE LINKE wurden Beschlüsse angenommen, die einen strikten Laizismus fordern. Der ehemalige Professor für Sozialethik an der Universität Marburg, Franz Segbers, kritisiert diese Beschlüsse mit dem Hinweis, dass eine konsequent linke Religionspolitik alle drei Aspekte des Menschenrechts auf Religionsfreiheit ernst nehmen müsse: Die Freiheit zur Religion, die Freiheit vor der Religion und aber auch die Freiheit, Religion öffentlich zu praktizieren.

"Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten säkularer und zugleich religiös pluraler geworden" heißt es einleitend in dem Aufsatz, den Prof. Segbers in den Standpunkten 39/2016 veröffentlichte. (siehe Anlage) "Gleichzeitig gibt es Kritik an der privilegierten Stellung der Großkirchen in Deutschland" da diese Privilegierung nicht mehr zeitgemäß sei. Insofern ist es logisch, richtig und verständlich, wenn sich Parteien mit dem Verhältnis von Staat und Kirche auseinander setzen.

Dabei stellt sich aber die Frage: "Wie kann eine linke Religionspolitik aussehen, welche die säkulare und religionsplurale Gesellschaftslandschaft ernst nimmt?" Wenn bei den Landesparteitagen in Sachsen und in Nordrhein-Westfalen beschlossen wird, dass die LINKE zu einer laizistischen Partei umgestaltet werden soll. Was bedeutet das konkret für die Arbeit in und an der Gesellschaft, wenn es im sächsischen Beschluss heißt, dass der "Laizismus … ein profilbildendes Alleinstellungsmerkmal der LINKEN" sein soll und deshalb "eine konsequente Trennung von Staat und Religionen" sowie eine "Neudefinition des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften" gefordert wird?

Der Autor bezieht sich auf Heiner Bielefeld, der als UN-Botschafter für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit erst kürzlich aus dem Amt schied, der sagte, dass "die gängige Formel von der Trennung zwischen Religion und Staat zu kurz greift." Denn um ein Staat für alle Bürger zu sein, müssen nach dieser Auffassung Staat und Religionsgemeinschaften getrennt sein. Das jedoch – so Prof. Segbers – sei der falsche Ansatz. Später erläutert er: "Da die Freiheit von der Religion keinen Anspruch verschafft, generell von der Begegnung mit Religion in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verschont zu werden, formulieren die beiden Parteitagsbeschlüsse ein Verständnis von Laizismus, das die Religionsfreiheit bedroht."

Der einzig gültige "Kompass zur Orientierung in religionspolitischen Fragen" sind die Menschenrechte, die "den Kern des normativen Konsens pluralistischer Gesellschaften" bilden. Doch er weist zu Recht auch darauf hin, dass auch das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein Freiheitsrecht sei. "Es ist kein Recht für die Frommen, die geschützt werden möchten."

Gefragt werden müsse, was mit der Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften erreicht werden soll. Denn allein die Formel von der "Trennung von Staat und Kirche" oder die von der "weltanschaulichen Neutralität des Staates" klären nicht, wie genau das Verhältnis zu gestalten ist. Für Prof. Segbers geht die "Forderung nach Religion als Privatsache … von einem Gesellschaftsbild aus, das nur eine Entgegensetzung von Staat und Individuum kennt." Das jedoch sei nicht mehr zeitgemäß, denn es existiert "eine Sphäre der Zivilgesellschaft" zwischen dem Individuum und dem Staat, von der Religion ein Teil sind. Und somit verweigere der, der eine Privatisierung der Religionen fordert, "den Religionen, dass sie einen Beitrag zum demokratischen Diskurs einbringen können."

Tatsächlich gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen die soziale Stimme der Religionsgemeinschaften wichtig und notwendiges Korrektiv sind. Hier "wäre zu fragen, warum gerade der Einfluss der bundesdeutschen Volkskirchen verheerender sein soll als beispielsweise der von Lobbygruppen der Pharma- oder Waffenindustrie."

Soweit ist der Argumentation Prof. Segbers’ zu folgen. Schwierig wird es jedoch, wenn er in den Beschlüssen der beiden LINKEN Parteitage als "bloßes Abschaffungsprogramm" bezeichnet. Er unterstellt, dass bei der Forderung nach der Abschaffung des Religionsunterrichts, der Militärseelsorge, der Kirchensteuer etc. die menschenrechtlichen, verfassungs- und grundrechtlichen Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt werden. Beispielhaft geht er darauf ein, was wäre, wenn eine Richterin aus religiösen Gründen mit einem Kopftuch Recht sprechen würde. Er argumentiert: "Zum Recht auf Religionsfreiheit gehört auch, dass durch das Bekenntnis zu einer Religion nicht schon per se die Unparteilichkeit gefährdet wäre." Dem ist entgegenzusetzen, dass immer dann, wenn der Staat hoheitlich handelt oder aber in Namen des Staates Recht gesprochen wird, sehr wohl auf die Zurschaustellung religiöser Symbole verzichtet werden sollte. Denn Religion soll und darf keinen Einfluss auf Urteile haben – weder die Religion des Richters noch die des Angeklagten. Deshalb sollten religiöse Bekundungen jeglicher Art an diesen Orten unterbleiben. Gern kann der Richter sich nach der Verhandlung wieder das Kreuz umhängen oder die Richterin sich das Kopftuch aufsetzen; doch während einer Verhandlung hat die Zurschaustellung solcher Symbole zu unterbleiben.

Für den Autor ist dieses Verbot ein Verbot, dass vor allem gegen muslimische Mitbürger gerichtet sei. "Wenn muslimischen Frauen das Tragen eines Kopftuches in der Schule untersagt wird, erfahren sie den religiös neutralen laizistischen Staat als eine religionsfeindliche Unterdrückungsagentur." Hier ist Prof. Segbers nicht konsequent in seiner Argumentation. Denn nicht allein muslimischen Frauen ist das Tragen des Kopftuches in Schulen zu verbieten; das gilt auch für das Tragen (oder das Aufhängen in Klassenzimmern, Büros und Gerichtssälen) von Kreuzen.

Denn richtig erkennt er: "Ein säkularer Staat darf sich nicht mit einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Tradition identifizieren. Das ginge immer zu Lasten anderer weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen. … Wenn Kirchen aber für sich Privilegien und besondere Rechtspositionen beanspruchen, die religiösen Minderheiten vorenthalten werden, dann ist dies mit der gegenwärtigen Verfassung nicht zu legitimieren."

In dem Absatz ändert sich das Vokabular des Sozialethikers. Anstatt "Religionen" heißt es jetzt "Kirchen". Damit macht er unbewußt auch deutlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Formulierungen "Staat und Kirche" und "Staat und Religion". Während eine Trennung von Staat und Kirche absolut und endgültig sein muss, um einerseits Privilegien abzuschaffen und andererseits die Gleichheit der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen, ist die die Forderung nach einer Trennung von Staat und Religionen (und Weltanschauungen) nicht so strikt zu formulieren. Leider unterläßt es Prof. Segbers, auf diesen wichtigen Unterschied in der Diskussion um die Unterschiede zwischen Laizismus und Säkularisierung genauer einzugehen.

Er befürwortet eine "kooperative Beziehung" zwischen Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Nur diese allein "begründet einen Anspruch auf gleichberechtigte Förderung christlicher, jüdischer, islamischer, atheistischer, laizistischer etc. Weltanschauungen." Zur Weiterentwicklung einer solchen Kooperation gehöre unbedingt auch "eine konsequente Entflechtung von Religionsgemeinschaften und Staat, beispielsweise die Abschaffung der Kirchenaustrittsgebühr." Leider ist der Autor hier wieder unklar in seiner Formulierung. Nicht die "Entflechtung von Religionsgemeinschaften und Staat" ist hier die richtige Forderung, sondern die von einer Entflechtung von Kirche(n) und Staat. Denn – um im Beispiel zu bleiben – allein die beiden christlichen Großkirchen lassen sich ihre Mitgliedsbeiträge vom Staat einziehen.

Abschließend heißt es: "Eine emanzipatorische linke Religionspolitik muss gesellschaftliche Konflikte und Auseinandersetzungen aufgreifen und sich dabei am Menschenrecht der Religionsfreiheit orientieren." Das bedeutet unter anderem auch, "islamische Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften rechtlich anzuerkennen. wenn sie die rechtlichen Voraussetzungen … erfüllen." (Hervorhebung durch den Autor) Weiterhin "gilt es, die Grundrechte der in Kirche und Diakonie bzw. Caritas beschäftigten ArbeitnehmerInnen zu schützen und Privilegien abzuschaffen, die … nur den Kirchen zukommen." Hier ist der Empfänger der Botschaft, die Kirchen, korrekt benannt.

Auch das "Tragen religiöser Symbole (wie Kopftuch, Kippe, Kreuz) in der Öffentlichkeit ist als Ausdruck der Religionsfreiheit erlaubt." Dem ist soweit zuzustimmen, solange es sich nicht um Behörden, Kindergärten, Schulen, Gerichte etc. handelt. (siehe oben) Gefordert wird die Einführung des verfassungsrechtlich garantierten Religionsunterrichts für alle religiösen Gruppen und ein entsprechender Unterricht für Säkulare. "Die bestehende Militärseelsorge ist verfassungswidrig. Sie muss durch das Recht als Religionsfreiheit aller Religionen unabhängig vom Staat in öffentlichen Einrichtungen wie Bundeswehr, Gefängnissen oder Krankenhäuser abgelöst werden."

Professor Franz Segbers gelingt es in seinem Artikel – trotz der Kritik an seiner machmal fehlenden Unterscheidung zwischen "Religion" und "Kirche" – überzeugend, der Debatte innerhalb der LINKEN einen neuen Schub zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass seine Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen.