Zur Aussage des Papstes Franziskus: "Gott ist nicht katholisch"

Ist der "Unfehlbare" ein Ketzer?

ODERNHEIM. (hpd) Es war nicht bloß ein gewöhnlicher Journalist, sondern der Herausgeber der italienischen Tageszeitung La Repubblica: Eugenio Scalfari, vor dem Papst Franziskus die sensationell, ja revolutionär klingende Aussage, Gott sei nicht katholisch, machte. Wenn dieser Satz wirklich ernst und ehrlich gemeint, dem Papst also nicht bloß herausgerutscht ist, weil er doch in seiner Eitelkeit bei der Begegnung mit liberaleren Zeitgenossen diesen imponieren möchte, dann wäre das die Relativierung, Schwächung, ja Infragestellung von fast zwei Jahrtausenden katholischer Theologie, katholischer Gotteslehre und die Eröffnung und Ermöglichung eines wirklich offenen, ebenbürtigen Dialogs der Kirche mit allen Religionen und ihren diversen Gottesvorstellungen!

Man bedenke die sensationellen Konsequenzen: Der Papst, seine Kardinäle, Bischöfe und Priester, also der gesamte katholische Klerus hätten als “Bodenpersonal Gottes”, als Stellvertretung Gottes auf Erden, als Mittler und Vermittler zwischen Gott und dem Kirchenvolk ausgedient, weil sie ja dem falschen Gott gedient haben, weil Gott der eigenen Aussage des Papstes zufolge gar nicht katholisch ist. Die gesamte Klerisei wäre als götzendienerisch einzustufen, weil sie ein falsches Gottesbild verkündet und verbreitet hat.

Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes wäre außer Kraft gesetzt, weil er “unfehlbar” einen falschen Gott gelehrt hat.

Dieser Papst, der nicht müde wird, in all seinen schriftlichen Äußerungen zu betonen, dass man Gott, Christus, Kirche nur als Gesamtpaket haben könne, dass man zu Gott, wahrer Religion, echter Religiosität nur in Verbindung mit der Kirche und durch ihre Lehren zu gelangen vermöge, erweist sich mit seiner Aussage, dass “Gott nicht katholisch ist”, politisch als Ketzer, als Umstürzler, als revolutionärer Anstifter, weil er das Fundament, auf dem die ganze Kirche und all ihre Einrichtungen basieren, zerstört. Dieses Fundament ist doch ihr Dogma, aus dem sie alles andere ableitet, das Dogma, dass Gott, ihr Gott, den sie als einzige Institution richtig sehe, sich in der Kirche und für sie offenbart und dem Papst und seinem Klerus den Auftrag gegeben habe, dies dem Volk mitzuteilen. Papst Franziskus, der jeglichen Relativismus genau so vehement wie sein Vorgänger Ratzinger verbal bekämpft, das Absolute des katholischen Glaubens apodiktisch vertritt und verteidigt, bahnt mit seinem Ausspruch, Gott sei nicht katholisch, einen Weg zu einer Relativitätstheorie der Gottesbilder und der dazugehörigen Religionen. Denn von der Einsicht, dass Gott nicht katholisch ist, zu der Einsicht, dass er auch nicht protestantisch, jüdisch, islamisch, hinduistisch, taoistisch, shintoistisch und sonstwie ist, ist es ja nur ein kleiner Schritt. Die Religionen haben nur Vorstellungen, Bilder von Gott; wie Gott wirklich ist, wenn er ist, können sie alle nicht genau wissen.

Die ganze Hetze, die der sonst so barmherzige Papst gegen New Age, Sekten, Esoterik, Pantheismus, “frei fluktuierende und diffuse” Religiosität (von ihm spöttisch “Dio-Spray” genannt) betreibt, hat sich damit als unbegründet und unseriös erwiesen, weil eben keine Religion, Konfession, Institution, Weltanschauung genau sagen kann, wie und wer Gott ist.

Die katholische Kirche steht jetzt vor der epochalen Herausforderung, dem eigenen Papst zu kündigen, weil er eine so häretische These aufgestellt hat, oder aber diesem Papst mit all den eben genannten Konsequenzen dieser These zu folgen und sich demütig als agnostische und relative Religion zu bekennen, die aber damit der Ökumene aller Religionen einen großen Dienst erwiese, indem sie nun, von allem Hochmuts- und Unfehlbarkeitsdünkel befreit, in einen echten und ebenbürtigen Dialog mit allen Religionen und Weltanschauungen eintreten kann. Das so lange währende Zeitalter der “Gottesprotze” (Elias Canetti) wäre definitiv beendet!

Aber auch Papst Franziskus selbst müsste Farbe bekennen. Er hat, wenn ich richtig sehe, im Grunde nur drei Möglichkeiten. Entweder gibt er zu, dass er mit seiner Aussage, Gott sei nicht katholisch, nur angeben wollte, um möglichst liberal, welt- und religionsoffen zu erscheinen; oder er räumt ein, in einem Moment geistiger Verwirrung eine solche ketzerische Behauptung gemacht zu haben; oder er erklärt feierlich urbi et orbi ex cathedra, dass er das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit abschafft, weil es nicht der Wahrheit entspricht, ihr nicht entsprechen kann, da Gott, wenn er existiert, in jedem Fall so vollkommen gedacht werden muss, dass er sich mit keiner Religion zu identifizieren vermag, weil jede Religion aus Licht und Schatten besteht, insbesondere jede der großen Weltreligionen neben positiven Eigenschaften und Leistungen auch schwerste Vergehen und Verbrechen auf ihrem Schuldkonto hat.

Wie dem auch sei, kein Papst der neueren Geschichte hätte jemals eine solch revolutionäre Aussage wie den Satz “Gott ist nicht katholisch” gesagt oder gewagt, kein Ratzinger, kein Wojtyla, kein Paul VI. oder Pius XII., auch kein Johannes XXIII., der von seinem Temperament und Charakter her zwar mehr zur Güte und Offenheit neigte, aber theologisch eher bieder und linientreu war.

Zwar betont auch das kirchliche Lehramt, dass Gott ein Mysterium, ein Geheimnis für jegliche menschliche Erkenntnis bleibe, niemals vom kontingenten menschlichen Verstand ganz erkannt und begriffen werden könne, dass das Axiom “Gott kann nur von Gott selbst erkannt werden” stets seine Gültigkeit behalte. Aber gleichzeitig besteht dieses Lehramt apodiktisch und monopolistisch darauf, dass es den “heiligen Rest” dessen, was der Mensch von Gott erkennen könne, allein in den Händen halte und auch der einzige autoritative und authentische Wiedergeber und Interpret dieses Restes sei.

An dieser kirchlich bestgehüteten Schatzkammer an Weisheiten und Erkenntnissen über Gott hätte also kein Papst zu rütteln gewagt, bis nun der den Professoren und Doktoren der Theologie Ratzinger und Wojtyla scheinbar so unterlegene Mann aus Buenos Aires kam und das kirchliche Lehramt und die Theologie das Fürchten lehrte, indem er ihnen das Monopol auf den alleinigen Besitz der Wahrheit über Gott aus der Hand schlug.

Egal, ob sich Franziskus I. der Tragweite seiner Aussage ganz bewusst war, an und für sich enthält sein Satz „Gott ist nicht katholisch“ ein derart gewaltiges ketzerisches, rebellisches, revolutionäres Explosionspotential, dass es das ganze “unfehlbare” kirchliche Lehrgebäude und die “allein seligmachende” Kirche mit seiner Sprengkraft total zerstören könnte.

Die größte, heroischste, ja auch nützlichste Tat des Jorge Mario Bergoglio alias Franziskus I. wäre die, sich selbst abzuschaffen – nicht als Mensch, der leben will, ein Recht zu leben hat, sondern als Papst, als oberster Kirchenführer, als unfehlbare Sphinx und geistlicher Regent der Menschheit. So paradox es klingt, er würde das Gute und Wahre in der Menschheit vermehren durch eine (nur) scheinbar negative Tat, seine eigene Abschaffung!

Ergänzende Ausführungen zu diesem Aufsatz siehe in Mynareks Buch “Papst Franziskus. Die kritische Biografie”, Tectum Verlag, Marburg 2015