Antisemitismus und radikale Rechte

(hpd) Der Sammelband enthält 22 Aufsätze, die Forschungsergebnisse jüngerer Wissenschaftler zu den unterschiedlichsten Aspekten des Antisemitismus präsentieren. Es handelt sich um ein überaus informatives Werk, dessen Inhalt aber weit über den in der Titelgebung gesetzten Schwerpunkt hinausgeht.

Hass sei der einzige Inhalt der nationalsozialistischen Bewegung, urteilte einst Heinrich Mann in einem Essay über deren Antisemitismus. Dieses Zitat motivierte auch die Titelwahl des Sammelbandes „Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa“, der von den Politikwissenschaftlern Gideon Botsch, Christoph Kopke, Lars Rensmann und Julius H. Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam herausgebeben wurde. Dessen 22 Beiträge gehen überwiegend auf Referate eines Vortragszyklus an der dortigen Universität zurück. Dabei erhielten insbesondere jüngere Wissenschaftler die Möglichkeit, die Ergebnisse ihrer Forschungen im Kontext von Habilitations- oder Promotionsarbeiten vorzustellen. Ihre Abhandlungen finden sich aufgeteilt in vier Kapitel: Judenfeindschaft – Traditionen – Motive – jüdische Reaktionen, Nationalsozialismus und Judenfeindschaft, Antisemitismus und Rechtsextremismus seit 1945 und internationale Dimensionen von Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Um die inhaltliche Breite der Aufsätze bzw. des Sammelbandes zu verdeutlichen, seien hier einige Themen genannt: Antichristlicher Antisemitismus in neuheidnischen Hexenbildern, die antisemitische Wochenzeitung „Die Wucherpille“ (1882-1886), die Reaktionen britischer und deutscher Juden auf den Antisemitismus (1914-1923), antisemitische Stereotype in der KPD-Tageszeitung „Rote Fahne“ (1928-1933), Antisemitismus in NS-Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien, das antisemitische Denkmal für Theodor Fritsch in Berlin (1935-1945), die Kommentierung des Protokolls der Wannsee-Konferenz in der rechtsextremistischen Publizistik, neue Erkenntnisse über latenten Antisemitismus in Deutschland, rechtsextremistische Einstellungen und ihre sozioökonomischen Determinanten (2006), ultranationalistische Denkfabriken im Russland der Jelzin-Ära (1991-2001), die ägyptische Fernsehserie „Reiter ohne Pferd“ oder die ideologischen Schnittstellen zwischen der extremen Linken und dem sunnitischen Islamismus.

Wie diese Auswahl und Übersicht bereits verdeutlicht, geht es in den Beiträgen des Bandes keineswegs nur entsprechend des Untertitels um „Antisemitismus und radikale Rechte in Europa“. Offenbar haben die Herausgeber nach einer passenden Formulierung gesucht, um die inhaltlich doch unterschiedlichen Texte in einen gemeinsamen Band zu „packen“. Dies ist aber mehr als nur legitim: Zum einen erhalten junge Wissenschaftler ein Forum zur Präsentation ihrer Forschungsergebnisse. Zum anderen bekommen die Leser einen komprimierten Überblick zu aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft. Denn überwiegend handelt es sich bei den Aufsätzen um Auszüge oder Zusammenfassungen von eigenen Monographien, die entweder bereits schon publiziert sind oder es demnächst werden. Dieser besondere Hintergrund der Entstehung der Texte erklärt auch ihre meist hohe Qualität, sind sie doch nicht einfach so „runtergeschrieben“. Gerade der Blick in die Fußnoten belegt immer wieder die aufwendige und quellennahe Arbeit der Autoren.

Sie präsentieren dabei in Inhalt und Methode eine Reihe von aufschlussreichen neuen Erkennntnisse. Für den letztgenannten Gesichtspunkt sei hier etwa auf die vergleichende Untersuchung zu den Reaktionen von Juden auf den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und Großbritannien verwiesen. Hieraus lassen sich etwa wichtige Kriterien für die differenzierte Einschätzung der Verbreitung von Antisemitismus in der Gesellschaft entwickeln. Bezüglich eines inhaltlichen Aspektes sei auf den Aufsatz verwiesen, welcher sich der Errichtung eines öffentlichen Denkmals für den antisemitischen Publizisten Theodor Fritsch widmet. Zurecht konstatiert der Autor, es habe sich hierbei um einen frühen Versuch gehandelt, den völkischen Antisemitismus im kommunalen öffentlichen Raum einen höheren kulturellen Sinn zu verleihen. Auch viele andere Beiträge verdienen großes Interesse, wofür hier nur die Analyse einer Serie im ägyptischen Fernsehen oder die Kritik an rechtsextremistischer Geschichtsverfälschung exemplarisch genannt seien.

Armin Pfahl-Traughber


Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hrsg.), Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim 2010 (Georg Olms Verlag), 346 S., 29,90 €