Vergebene Chance eines Handbuchs

(hpd) Der französische Historiker Stephané Courtois legt ein voluminöses Nachschlagewerk zum Kommunismus im 20. Jahrhundert mit einem besonderen Beitrag zum Kommunismus in Deutschland vor. Leider kommt der Band ohne genaue Belege für Einschätzungen und Informationen aus und hat trotz seines hohen Informationsgehaltes noch eine Reihe weiterer Mängel.

Der Historiker Stéphane Courtois wurde durch das von ihm herausgegebene „Schwarzbuch des Kommunismus“ weltbekannt. Darin fand sich eingebettet in Länderstudien eine Bilanz zu Diktatur und Terror im Namen des Kommunismus während des 20. Jahrhunderts. Ausgezeichneten Beiträgen wie etwa zu China oder der Sowjetunion standen eher misslungene Kapitel zur DDR oder zu Lateinamerika gegenüber. Darüber hinaus fanden die historisch-politischen Deutungen Courtois selbst bei Mitautoren des Bandes Kritik, distanzierten sich doch gerade die Verfasser der ausgezeichneten Kapitel von den vergleichenden Betrachtungen mit dem Nationalsozialismus. Nun legt Courtois ein ähnlich voluminöses Werk mit dem Titel „Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte – Ideen – Köpfe“ unter seiner Herausgeberschaft vor. Es versteht sich als Bilanz und Nachschlagewerk zur Entwicklung der gemeinten Bewegungen, Parteien und Systeme im 20. Jahrhundert – und will neben genauen Informationen auch profunde Analysen liefern.

Das Handbuch gliedert sich in vier Teile mit unterschiedlicher Länge: Zunächst findet man darin eine allgemeine Einführung zum Thema „Kommunismus“. Dem folgt eine „Kurze Geschichte des Kommunismus“, die sich auf die Entwicklung in Russland und der Sowjetunion bzw. später das System des „real existierenden Sozialismus“ konzentriert. Danach geht es in einem gesonderten Kapitel um den „Kommunismus in Deutschland“, das von den Politikwissenschaftlern Klaus Schroeder und Jochen Staadt für die deutsche Ausgabe erstellt wurde. Und schließlich folgt der eigentliche Hauptteil in Gestalt eines Wörterbuchs, das auf die unterschiedlichsten Begriffe im Kontext der Geschichte des Kommunismus im 20. Jahrhundert eingeht. Man findet hier Artikeln über „Antifaschismus“ und „Bürokratie“, „Diktatur des Proletariats“ und „Geheimpolizei“, „Gulag-System“ und „Kommunistische Internationale“, „Lenin“ und „Organisation“, „Revolutionstourismus“ und „Sozialistischer Alltag“, „Terror“ und „Totalitarismus“, „Volksdemokratien“ und „Zivilgesellschaft“.

Als bilanzierende Einschätzung formuliert Courtois: Die „geographische und kulturelle Vielfalt mag den Eindruck erwecken, es existierten mehrere ‚Kommunismen’. Doch all diese Parteien orientierten sich dennoch streng an der leninschen Teleologie einer kommunistischen Gesellschaft. Diese basiert stets auf festen Parametern: einer Doktrin (zunächst dem Leninismus, dann dem Marxismus-Leninismus), einer Organisationsform aus professionellen Revolutionären der Partei, die zur Staatspartei wird), und schließlich einer Strategie und einer Taktik, die von den Erfordernissen der Machtergreifung und -erhaltung im ‚Land des Sozialismus’, der UdSSR, bestimmt wird sowie von deren Expansion“ (S. 32). Und weiter heißt es: „Eine genaue Lektüre der Werke Lenins, Stalins, Maos, Guevaras und Trotzkis zeigt, dass die Anführer der Kommunisten niemals ein humanistisches Ideal versprochen hatten. Ihnen ging es darum die absolute Macht zu erlangen, darum, zuerst ihre Partei und später die gesamte Gesellschaft zu beherrschen“ (S. 35).

Leider belegen Courtois und seine Mit-Autoren diese wie manch andere Auffassung nicht näher. Überhaupt setzt sich der Band aus Einschätzungen und Informationen ohne genaue Hinweise zusammen. Einzelne Angaben und Zitate werden nicht per Literatur- und Quellenangaben belegt. Gerade bei einem Handbuch, das doch eigentlich einen Nutzen in Richtung einer weiterführenden Forschung und Recherche haben soll, wäre dies unabdingbar gewesen. Hinzu kommen eine Reihe von formalen und inhaltlichen Ärgernissen unterschiedlichster Art: Hier und da haben sich immer wieder kleinere Fehler und Ungenauigkeiten eingeschlichen. Die Darstellung konzentriert sich trotz der kurzen Artikel zu Afrika und Lateinamerika auf die Entwicklung in Europa bzw. der Sowjetunion. Die ideologischen Aspekte werden nicht eingehend, sondern nur kursorisch behandelt. Und auch das Kapitel zum „Kommunismus in Deutschland“ wirkt eher oberflächlich. Kurzum, so sinnvoll ein „Handbuch des Kommunismus“ ist, so sehr hätte man es besser machen können.

Armin Pfahl-Traughber

 

Stéphane Courtois (Hrsg.), Das Handbuch des Kommunismus. Geschichte – Ideen – Köpfe. Mit dem Kapitel „Kommunismus in Deutschland von Klaus Schroeder und Jochen Staadt, München 2010 (S. Piper-Verlag), 846 S., 49,95 €