Rezension

Die "PEGIDA-Bewegung" aus sozialwissenschaftlicher Sicht

BONN. (hpd) Die Politikwissenschaftler Hans Vorländer, Maik Herold und Steven Schäller fassen in ihrem Buch "PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung eine Empörungsbewegung" die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Protestbewegung von "rechts" vor. Dabei argumentieren sie mit Vorsicht und Zurückhaltung, bleiben doch noch viele Fragen offen, wenngleich die empirischen Befunde klar das Bild einer Bewegung der Empörung zeichnen.

Bis zu 25.000 Demonstranten brachten die "Patriotischen Europäer gegen eine Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) auf ihrem Höhepunkt zu ihren Versammlungen zusammen. Mittlerweile ist die regelmäßige Teilnehmerzahl auf unter 5.000 geschrumpft, interessanterweise obwohl die gegenwärtige Flüchtlingsentwicklung für sie ein Mobilisierungsthema wäre.

Die Entwicklung von PEGDA ist von Anfang an auch von Sozialwissenschaftlern "begleitet" worden. Dabei entstanden einige Studien, die aber hinsichtlich der Repräsentativität nicht unproblematisch waren. Eine solche Forschergruppe stand auch unter der Leitung von Hans Vorländer, der Politikwissenschaft an der TU Dresden lehrt. Er hat mit seinen beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern Maik Herold und Steven Schäller eine Analyse mit dem Titel "PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung" vorgelegt. Darin wollen die Autoren die Entwicklung nachzeichnen, die Positionen bewerten und nach Ursachen fragen.

Am Beginn stehen Ausführungen zur Entstehung, Mobilisierung, Organisation und Spaltung sowie zu den Reaktionen auf PEGIDA in Gesellschaft, Medien und Politik. Die Inhalte und Positionen bezogen auf die Reden und Positionspapiere sowie auf das Verhältnis zu AfD und NPD bilden danach einen Schwerpunkt. Anschließend präsentieren die Autoren ihre empirischen Befunde, auch im Vergleich mit anderen Studien. Hier stehen Ausführungen zu Einstellungen, Merkmalen und Motiven im Vordergrund. Dabei wird konstatiert, dass eine tiefe Kluft in der Wahrnehmung der Teilnehmer bestehe: "einer Kluft zwischen den Massenmedien, der veröffentlichten Meinung und der etablierten Politik auf der einen Seite und den alltäglichen 'Problemen des Bürgers', dem 'Willen des Volkes' auf der anderen Seite." Und weiter heißt es: "Die Frage der Zuwanderungs-, Flüchtlings- und Asylpolitik scheint hierfür eine katalytische Rolle gespielt zu haben" (S. 68). Motivierend war laut den Auskünften bei der Befragung nicht die Islamthematik, sondern die Politikverdrossenheit.

Darüber hinaus nehmen Vorländer, Herold und Schäller noch weitere Deutungen der empirischen Befunde vor. Die Einstellungen vieler Demonstranten unterscheide sich nicht maßgeblich von denen in der Gesamtbevölkerung. Gleichwohl heißt es: "Im Hinblick auf die Quantität der Verbreitung und Rolle ausländerfeindlicher Ressentiments unter PEGIDA-Teilnehmer gibt es weitestgehend übereinstimmende Befunde. Demnach wird der Anteil offen ausländerfeindlich eingestellter Personen unter den Dresdner Demonstranten auf 30 bis 40 Prozent geschätzt" (S. 102). Ganz allgemein betonen die Autoren, dass PEGIDA weder motivational noch personell eine einheitliche Bewegung sei. Gleichwohl unterscheide sie sich von bisherigen Protestbewegungen: "PEGDA ist … als ein erster erfolgreicher, populistisch gefasster Mobilisierungsversuch von vorhandenen ethnozentrischen Einstellungsmustern zu verstehen, welcher sich gerade nicht auf konkrete politische Anliegen richtete, sondern allgemeine Unzufriedenheit öffentlich artikulierte – eine Bewegung der Empörung" (S. 140).

Vorländer, Herold und Schäller legen eine gut gegliederte und überaus informative Bilanz der bisherigen empirischen Forschung zu PEGIDA vor. Dabei fällt bezogen auf Einschätzungen und Erklärungen ihre Vorsicht und Zurückhaltung auf, ist doch vieles noch unklar. Dies gilt auch für die Frage, warum hier ausgerechnet Dresden den örtlichen Schwerpunkt bildete. Die Autoren schreiben außerdem: "Auf der einen Seite konnten unter den Dresdner Demonstranten ausgeprägte nationalistische und ausländerfeindliche Orientierung festgestellt werden, auf der anderen Seite liegen in Bezug auf neo-nationalsozialistische Einstellungsmuster keine konkreten Hinweise vor" (S. 102). Dies muss kein Gegensatz oder Widerspruch sein. Denn Rechtsextremismus artikuliert sich nicht nur im Neonationalsozialismus. Es gibt bei der Ablehnung von Demokratie auch andere Ideologieformen. Berücksichtigt man dies, dann ergeben sich bezogen auf den politischen Charakter von PEGIDA möglicherweise etwas anderen Ergebnisse.

Hans Vorländer/Maik Herold/Steven Schäller, PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung, Wiesbaden 2016 (Springer VS), 165 S., ISBN 978–3–658–10981–3, 24,99 Euro