Konzeptionen von Menschenwürde und Toleranz

(hpd) Zwei Philosophen legen mit „Menschenwürde“ und „Toleranz“ jeweils nur knapp über hundertseitige Einführungsbände in die philosophische Dimension des damit jeweils Gemeinten vor. Da sie sich dabei auch mit den kritischen Stimmen zu diesen Konzepten auseinandersetzen, erhält man über die jeweiligen Begründungen hinaus noch einen guten Einblick in die einschlägigen Kontroversen.

Die Begriffe „Menschenwürde“ und „Toleranz“ fallen immer wieder in Debatten über gesellschaftliche, moralische und politische Fragen. Doch was bedeuten sie fern von Schlagworten, um in Debatten inhaltlich Punkte zu sammeln? Welche Bedeutung ist den gemeinten Konzeptionen eigen? Wie lassen sie sich inhaltlich legitimieren? Und auf welchen Ebenen bewegt sich das jeweils Gemeinte? Auf solche Fragen wollen zwei Einführungsbände zum Thema gesondert Antwort geben: Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich, legte die Abhandlung zu „Menschenwürde“ vor. Darin geht er zunächst auf die Begriffsgeschichte ein, skizziert das Würdeverständnis in der juristischen Diskussion und sieht in dem inhärenten Würdeverständnis von Kant einen Paradigmenwechsel. Dem folgen Darstellungen zu neueren Konzepten, eine Erörterung zu den Trägern von Würde, eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Einwänden und eine Verteidigung des Würdeverständnisses gegen diese Kritik.

Schaber bemerkt aber bilanzierend auch: „Wenn wir  ... Würde als Recht verstehen, über wesentliche Bereiche des eigenen Lebens verfügen zu können, dann haben wir eine Idee von Würde, aber noch keine ausgearbeitete Konzeption“ (S. 112). Demnach plädiert der Autor für eine entwickelte Theorie der inhärenten Würde von Menschen, welche erst noch bezogen auf die Probleme der Zeit zu konzipieren sei. Schaber gibt einen guten Überblick über die juristische und philosophische Sicht auf das Verständnis von „Menschenwürde“. Dabei hebt er auch die notwendige Unterscheidung von einer inhärenten Auffassung, die allen Mitgliedern der menschlichen Gemeinschaft zukommt, und einer kontingenten Auffassung, die an spezifische Eigenschaften von Menschen gebunden ist, hervor. Besondere Beachtung verdient in seiner Darstellung die Auseinandersetzung mit Kritikern des „Menschenwürde“-Verständnisses, wobei er deren Einwände nur in allgemeiner Form zurückweist, aber sehr wohl für die inhaltliche Begründung einer einschlägigen Theorie wirbt.

Der Band zu „Toleranz“ stammt von Heiner Hastedt, der als Professor für Praktische Philosophie an der Universität Rostock lehrt. Er macht darin von Anfang an auf die inhaltliche Spannung des gemeinten Verständnisses aufmerksam, geht es doch um die Anerkennung von etwas, das eigentlich abgelehnt wird: „Im Kern ist der Toleranzgedanke eine Verhaltenslehre für Personen, die je eigene individuelle Präferenzen nicht aufhebt ...“ (S. 8). Hastedt nimmt zunächst eine Unterscheidung von verschiedenen Toleranzebenen vor: individuell/kollektiv, horizontal/vertikal. Dann macht er die historisch-politische Dimension des Gemeinten in einer kurzen Reise durch die Geschichte von der Bartholomäusnacht bis in die Gegenwart deutlich und geht danach auf unterschiedliche Konzepte der Toleranz von den Vertragstheoretikern über die Rechtspositivisten bis zu den Pragmatikern ein. Dem schließt sich eine Auseinandersetzung mit den Kritikern der Toleranz von Marx bis Zizek und eine Perspektiveinschätzung zu Toleranz in der multikulturellen Gesellschaft an.

Hastedt definiert den Begriff im Sinne des erwähnten Spannungsverhältnisses wie folgt: „’Toleranz’ beinhaltet zugleich Ablehnung und Geltenlassen von Haltungen und Handlungen von Personen mit dem Ergebnis einer Duldung oder einer friedlich bleibenden Koexistenz, eventuell sogar gesteigert bis hin zum gegenseitigen Respekt. Toleranz unterscheidet sich sowohl von Anerkennung und Wertschätzung – denen das Moment der Ablehnung fehlt – als auch von bloßer Gleichgültigkeit und Beziehungslosigkeit“ (S. 13). Für die Präsentation von Toleranzkonzeptionen entwickelt der Autor einen Fragenkatalog (vgl. S. 40), der letztendlich auch eine systematische Typologisierung der Modelle erlaubt (vgl. S. 74f.). Besonders aufschlussreich in diesem Band ist die argumentative Auseinandersetzung mit den Kritikern des Toleranzverständnisses. Hier weist Hastedt bezüglich des Freund-Feind-Denkens etwa auf erstaunliche Gemeinsamkeiten von Herbert Marcuse und Carl Schmitt (vgl. S. 80-82) hin. Die bilanzierende Kritik der Kritiker ist nur kurz, aber treffend.

Armin Pfahl-Traughber

 

Peter Schaber, Menschenwürde (Grundwissen Philosophie), Stuttgart 2012 (Reclam Verlag), 126 S., 9,90 €
Heiner Hastedt, Toleranz (Grundwissen Philosophie), Stuttgart 2012 (Reclam Verlag), 120 S., 9,90 €