Julius Streicher und "Der Stürmer"

(hpd) Der Historiker Daniel Roos legt mit “Julius Streicher und ‘Der Stürmer’ 1923–1945” eine quellengestützte und umfangreiche Studie zu dem antisemitischen Hetzblatt und seinem Herausgeber vor. Bei allen gut belegten und inhaltlich interessanten Einzelinformationen hätte man sich insgesamt aber noch ein wenig mehr an Analyse und nicht nur die Dokumentation von Zitaten gewünscht.

Fragt man nach dem antisemitischsten und hetzerischsten Publikationsorgan in der Geschichte, so dürfte “Der Stürmer” noch vor dem “Völkischen Beobachter” genannt werden. Die von Julius Streicher, dem zeitweiligen NSDAP-Gauleiter in Franken, herausgegebene Wochenzeitung steht noch heute als Synonym für Diffamierung und Hass. Um so überraschender ist es, dass sowohl zur Biographie Streichers wie zum “Stürmer” nur wenige wissenschaftliche Arbeiten vorliegen.

Die damit einhergehende Lücke in der Forschung will die Arbeit “Julius Streicher und ‘Der Stürmer’ 1923–1945” des Historikers Daniel Roos schließen. Der Autor präsentiert mit der Buchausgabe seiner Promotionsschrift eine “Doppel-Biographie”, die den persönlichen und politischen Lebensweg des Herausgebers wie die Entwicklungsstufen und Inhalte der Zeitung beleuchtet. Dabei findet man viele Zitate, denn: “Die ausgewählten Passagen können das Wesen des Hetzblattes … eindrucksvoller widerspiegeln, als dies eine Umschreibung oder ein Verweis allein vermocht hätten” (S. 18).

Entsprechend der methodischen Anlage der Arbeit beginnt Roos zunächst mit der Entstehungsgeschichte des “Stürmer”, der einer “innerparteilichen Schlammschlacht” (S. 26) entstammte. Danach rekonstruiert der Autor die “Lebenslinien” Streichers von 1885 bis 1923, geht dem folgend auf dessen Wirken mit der Zeitung in der “Kampfzeit” zwischen 1923 und 1932 und während des “Dritten Reichs” von 1933 bis 1945 ein.

Cover

Ein besonderer Teil zum “Stürmer”-Komplex erörtert den Antisemitismus Streichers und des “Stürmer” sowie den propagandistischen Dreiklang von Furcht, Hass und Neid. Roos spricht bezogen auf das Blatt von einem “brutalen Antisemitismus” und nennt als Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen judenfeindlichen Publikationen von einer “eigentümlichen Mischung aus ‘Sex and Crime’” (S. 504). Das Buch schließt mit dem Ende von Streicher durch die Hinrichtung in Nürnberg, wobei die vorherige Verhaftung des untergetauchten Hetzers durch einen jüdischen Soldaten der US-Armee als eine Art Ironie der Geschichte gelten kann.

Roos’ aus vielen Originalquellen herausgearbeitete Studie bereichert das Wissen um Streicher und den “Stürmer”. Dabei erwähnt er eine Reihe von Besonderheiten, wozu etwa die NS-internen Vorbehalte gegen Streicher gehörten. Immerhin kam es 1940 zu seiner Entmachtung, wenngleich er den Gauleitertitel formal behalten durfte.

Besondere Bedeutung verdienen auch die Ausführungen zur frühen Entwicklungsphase, wobei Roos hier von einem damals “liberal Denkenden” (S. 39) spricht. Indessen kann er seine spätere Politisierung in Richtung der Nationalsozialisten und Völkischen nicht nachvollziehbar beschreiben. Dafür präsentiert die Studie ausführlich Auszüge aus dem “Stürmer” in Karrikaturen und Worten. So entsteht in der Tat ein erkenntnisreiches Bild von diesem Publikationsorgan. Indessen unterlässt Roos eine ausführliche Analyse und Kommentierung. Er schreibt: “Vielfach sprechen die angeführte Stellen für sich und bedürfen kaum einer weiteren Erläuterung” (S. 18.). Das mag ja so sein, nur hier macht es sich der Autor ein wenig zu einfach.

So sehr die Beschreibung von Fakten beeindruckt, so wünschenswert wäre ein Mehr an Analyse gewesen. Manchmal verstolpert sich Roos dabei auch in der Wortwahl. So heißt es etwa: *“Wenn sich das Blatt Streichers auf den ersten Blick auch simpel und ordinär ausnahm, so arbeitete es doch mit zum Teil subtilen und effektiven Mitteln, um seinen grenzenlosen Hass zu verbreiten” (S. 504). Da fragt man sich: Wie bitte – subtile Mittel im “Stürmer”? Die ganze Darstellung des Buchs spricht gegen eine solche Einschätzung.

Die Ausführungen zu Streichers Antisemitismus machen darüber hinaus deutlich, dass Roos sich mit der Geschichte der Judenfeindschaft weniger gut als mit dem Lebensweg Streichers auskennt. Aus einigen Titeln der Sekundärliteratur referiert der Autor die historische Entwicklung des Antisemitismus, ohne dabei aber die Judenfeindschaft Streichers ideenhistorisch klar zuzuordnen. Indessen mindert das Fehlen mancher analytischer Gesichtspunkte nicht den hohen Informationsgehalt des quellengestützten Werkes.

 


Daniel Roos, Julius Streicher und “Der Stürmer” 1923–1945, Paderborn 2014 (Ferndinand Schöningh-Verlag), 535 S., ISBN: 978–3–506–77267–1, 49,90 Euro