Ein Vogel sagt Nein

BERLIN. (hpd) Erst tingelte Irene M. Pepperberg mit ihrem Graupapagei Alex oft unbezahlt von Universität zu Universität. Schließlich wurde Alex in den USA zum Star. Welche mentalen Fähigkeiten sie an ihm entdeckte, war geeignet das landläufig immer noch hierarchisch vorgestellte Evolutionsmodell auf den Kopf zu stellen, wie sie in “Alex und ich” schreibt. Sie erzählt von einer besonderen Mensch-Tier-Beziehung und einem Kapitel Wissenschaftsgeschichte.

Der Primatenforscher Michael Tomasello soll eine Zeit lang, jedes Mal, wenn er einen Vortrag darüber hielt, wie sich die menschlichen Fähigkeiten auf der Basis des Primatengehirns entwickelten, mit dem Satz geendet haben: “Wenn da nur nicht dieser verdammte Vogel wäre!”. Gemeint war Alex, an dem Pepperberg mit ihrem Avian-Language-Experiment über das Denken der Tiere forschte. Der lernte in seinem drei Dekaden währenden Leben bis zu seinem plötzlichen Tod 2007 so ziemlich alles, was man bisher nur Schimpansen oder Bonobos, Hominiden also, zutraute: Der Papagei lernte120 Wörter als Referenz für Dinge zu benutzen. Ja, er begriff sogar Kategorien wie Form und Farbe.

Alex beantwortete Fragen wie “Welche Farbe hat das?” oder “Welche Form hat das?”, wenn er mit dreieckigen oder viereckigen und zugleich roten oder grünen Plättchen konfrontiert wurde. Doch nicht nur das. Er konnte, befragt, ob zwei Gegenstände auf einem Tablett gleich oder ungleich wären, mit “Ja” oder “Nein” antworten. Alex konnte zählen, also sagen, wie viele Objekte auf einem Tablett lagen. Vielleicht hatte er sogar eine diffuse Vorstellung von dem, was eine Null ist. Er konnte sagen “keiner/no”, wenn man ihn fragte, wie viele Gegenstände auf einem Tablett eine bestimmte Form oder Farbe haben, oder dass nun kein Gegenstand unter der Tasse sei. Er selbst hatte sich das in einer Zählsituation aus “nein/no” abgeleitet.

All das, obwohl ein Vogelhirn nicht größer als eine Walnuss ist, die Hirnrinde nicht die bei den Säugern übliche dichte Faltung aufweist und sich die Entwicklungslinie der Vögel von der der anderen Tiere, aus der viel, viel später die Primaten hervorgingen, schon vor 290 Millionen Jahren getrennt hatten.

Angewendet wurde bei der Untersuchung das von dem Berliner Verhaltensforscher Dietmar Todt an der FU entwickelte Model-Rival-Training. Erst rufen sich zwei Menschen Frage und Antwort zu. Der Vogel schaut zu und lernt dabei. Dann wird er selbst mit einbezogen, um am Ende dem Versuchsleiter allein Frage und Antwort zu stehen.

Irene M. Pepperberg betont immer wieder, dass es sich dabei um eine besondere intensive Kommunikationssituation gehandelt habe. Es geht ihr nicht um Wörter, sondern um Bezeichnungen, die ihr Alex und später zwei andere Graupapageien, die streckenweise auch gegenseitig voneinander lernten, in diesen kommunikativen Situationen funktionsgerecht einsetzen konnten.

Sogar ein “Tut mir leid” hatte Alex aufgeschnappt und wandte es plötzlich und von da an immer passend an, um die Wissenschaftlerin zu besänftigen, wenn sie mit oder ohne sein Verschulden mal wieder auf die Palme ging. Pepperberg bleibt aber trotzdem zurückhaltend darin, sich festzulegen, ob Alex verstand, was er da sagte, oder einfach eine Kommunikationsstrategie erkannte und einsetzte. Doch sollten wir mit diesem schlauen Vogel nicht zu kritisch sein. Ist es unter Menschen nicht oft nicht viel anders?

Alex konnte übrigens auch rudimentär surfen, sich auf dem Computerbildschirm über eine App durchklicken zu Bildern oder Musik. Er bevorzugte eindeutig Musik. Besondere Präferenzen ließen sich da aber nicht feststellen. Oder er war einfach nicht sehr wählerisch?

 


Irene M. Pepperberg: “Alex und ich”, aus dem Amerikanischen von Elisabeth Liebl, mvg-Verlag München 2014, ISBN: 978–3–86882–514–5, gebunden 9,99 Euro