Über Sultanshühner und Rohrschwätzer

(hpd) Das Studium der Wissenschaft lässt wie der Anblick des Schönen den, der sich auf sie einlässt, staunen. Gleich guter Kunst überrascht sie. Und sie berührt mitunter ähnlich wie diese. Den von Arnulf Conradi im Deutschen herausgegebene Titel “Vögel” der beiden Vogelliebhaber Malcom Tait und Olive Taylor kann man durchstöbern wie ein Museumsmagazin. Das Buch bietet eine imaginäre Schau, zu der es die Textsplitter liefert.

Als Marx sein “Kapital” verfasste und Darwin seine “Entstehung der Arten”, schrieb Johann Friedrich Naumann seine “Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas”, erschienen 1844. Naumann wollte nur ein Beobachter sein, aber war, was dabei herauskam, nicht geradezu dadaistische Poesie?

Dadada jetjetjetjetjetjetjetjetjet
tui tui tui tui tui tui tui qui zatnzatnzatnzatnzi;
iht iht iht iht iht iht zirhadiac.
Ii ii ii ii ii ii ii ii ii a zatn zi,
rhip rhip rhip rhip rhip rhip rhip rhip rhip ih!
Zezezezezezezezäzäzäzäzäzäzäzazazazazazazazi,
Ji jih güh güh güh güh güh dadahidowitz.

So singt das Rotkehlchen. Das britische Birdwatcherpaar Malcom Tait und Olive Taylor lässt in seinem Band “Vögel - Von eleganten Elstern, graziösen Gänsen und zaghaften Zeisigen”, einem Kaleidoskop ornithologischen Wissens, aber auch poetischer, volkskundlicher und linguistischer Fundstücke, Johann Friedrich Naumann oft zu Wort kommen. Er schildert die Farbnuancen im Gefieder einer Lachmöwe. Er erkennt auch als erster, wie sich der Gesang des Sumpfrohrsängers aus dem von Kohlmeise, Rauchschwalbe und Mönchsgrasmücke zusammensetzen kann.

Cover

Heute wissen wir in vielem noch weit mehr über die Hits der Evolution als er, zum Beispiel, dass das Odinshühnchen, einen im Norden Europas angesiedelten Wasservogel, notorische Nahrungsknappheit und daher hohe Nachwuchssterblichkeit dazu bringen, sich mit vielen Männchen einzulassen, denen es dann jeweils die ganze Brut allein überlässt. Oder dass das Kuckucksweibchen deshalb seine Eier in fremde Nester legt, weil es vom Männchen bedrängt so viele produziert, dass es sie allein gar nicht ausbrüten kann. Wir erfahren, dass Tauben, Pinguine und Flamingos ihre eben geschlüpften Küken säugen, über eine Drüse im Rachen, die eine milchartige Flüssigkeit absondert. Wir lesen, dass die Zebrafinkenweibchen sich besser um ihr Gelege kümmern, wenn sie ein hübsches, sprich gesundes Männchen als Partner haben.

So manche Vögel haben unter dem Einfluss des Menschen auf die Umwelt ihre Gewohnheit inzwischen grundlegend geändert. Die Klimaerwärmung macht, müssen wir heute feststellen, etwa die Skuas, die Großen Raubmöwen, zunehmend zu Kannibalen. Statt rarer gewordener Fische fressen sie neuerdings zunehmend auch Vögel.

Schon das Sprechen über die Vögel kann poetisch sein. “Anser magellanicus” heißt der Riesenalbatros, oder Riesenalk, auf Latein. “Agelmager” auf Norwegisch, “Garefoat” auf Isländisch. Die Inuit nennen ihn “Isarokitosk”, “Tassefugel” heißt er auf Dänisch, “Wobble” in Neufundland.

Selbst Zahlen können bewegen. 35 Jahre kann ein Graureiher alt werden, 34 die zierliche Küstenseeschwalbe, 33 Jahre der Papageientaucher, 19 Jahre ein Haussperling. Was so ein Vogel in der Großstadt alles erlebt haben muss! Wie viele ungezählte Male gerade noch den Reifen eines Autos entwischt…

Oft genug offenbaren Zahlen auch Bedrohliches, wie viele der Fakten, die den Ziffern jeder Seitenzahl angefügt werden: 104 Schwarze Löffler wurden nur noch in Vietnam gezählt. 96 Prozent der untersuchten Eissturmvögel in der Nordsee hatten Plastik im Magen. Um 92 Prozent ging seit 1970 die Population der Feldsperlinge in Mitteleuropa zurück.

Dabei brauchen wir die Vögel so sehr. Schrieb doch schon Emily Dickinson:
Ich hoffe, ihr liebt die Vögel. Das ist sparsam.
Es erspart einem, in den Himmel zu kommen.

Und über die Vögel, nicht Astronauten, berichten die Navajo immer noch: Sie schickten den Kolibri in den Himmel hinauf, um zu sehen, was jenseits der Bläue liege. Er fand nichts.

Sind also Kolibris Atheisten oder war es der listige Navajo-Erzähler?

 


Malcom Tait und Olive Tailor: “Vögel. Von listigen Elstern, graziösen Gänsen und zaghaften Zeisigen”, übersetzt und überarbeitet von Arnulf Conradi, Unionsverlag Zürich 2014, 153 S. 18,55 Euro.