Eine Studie zur Protestbewegung

Occupy in Deutschland

BONN. (hpd) Der Politikwissenschaftler Lars Geiges legt mit "Occupy in Deutschland. Die Protestbewegung und ihre Akteure" eine erste breit angelegte Studie zum Thema mit der Konzentration auf die Aktivisten vor. Es handelt sich um eine informative und materialreiche Darstellung mit vielen Selbstzeugnissen, wobei analytische Einschätzungen zu unterschiedlichen Aspekten der Protestbewegung auch nicht fehlen.

In der Rückschau gilt das Jahr 2011 als eines des weltweiten Protestes, wofür der "Arabische Frühling" ebenso wie die Massendemonstration in Spanien standen. Im gleichen Jahr kam in den USA die "Occupy Wall Street"-Bewegung auf. Dabei handelte es sich um eine Protestform, die den Einfluss der Großbanken kritisierte, über das Internet mobilisiert wurde und sich in der Besetzung des Zuccotti Park in New York City artikulierte. Binnen kurzer Zeit fand "Occupy Wall Street" weltweit Aufmerksamkeit und Nachahmer in verschiedenen Ländern. Dazu gehörte auch "Occupy Germany" für Deutschland, ebenfalls eine über das Internet verbundene Protestbewegung, die durch Demonstrationen wie etwa am 22. Oktober 2011 vor der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt/M. auf sich aufmerksam machte. Doch worum geht es dabei? Diese Frage will der Politikwissenschaftler Lars Geiges, Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung in seinem Buch "Occupy in Deutschland. Die Protestbewegung und ihre Akteure" beantworten.

Dabei handelt es sich um die erste Studie zum Thema, denn: "Die deutschen Occupy-Gruppen sind quasi unerforscht" (S. 16). Nach den Ausführungen zum Forschungsstand geht der Autor dazu über, einige methodische Perspektiven für seine Studie vorzustellen. Als Forschungsinstrumente nutzte er Einzelinterviews, Gruppendiskussion und die teilnehmende Beobachtung. Bei all dem sollten "die Akteure, die Aktivisten der Occupy-Bewegung in Deutschland, im Zentrum des Interesses" (S. 22) stehen. Zunächst beschreibt Geiges indessen das Aufkommen der Bewegung in den USA und die Entwicklung eines Netzwerkes in Deutschland. Danach veranschaulicht er anhand von ausführlichen Zitaten von Aktivisten, wie es um das Selbstverständnis der Gruppen steht. Hierbei kommt auch ein beachtenswerter Randaspekt zur Sprache, gab es doch antisemitische Äußerungen im Kontext der Kapitalismuskritik (vgl. S. 119f.).

Die größte Aufmerksamkeit erfährt danach aber das Agieren in den Protestcamps auch und gerade bezogen auf interne Konflikte: "In den Camps von Kiel bis Frankfurt kam es zu Gewalt, Diebstahl, Problemen mit Alkohol und Drogen, zu Bränden sowie zu Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern, mit kranken und abhängigen Personen" (S. 171).

Ausführlich erläutert Geiges, wie mit derartigen Konflikten umgegangen wurde. Die politischen Auffassungen und Gruppen in "Occupy" finden demgegenüber nur kurze Aufmerksamkeit. Es heißt über das linke Bewegungsspektrum, es teile sich auf "in einige größere bundesweit agierende Gruppen wie Attac, Campact oder die Interventionistische Linke (IL) und bis hin zu einer schier unüberschaubar wirkenden Vielzahl von in kleinteiligen Bündnissen … zu denen orthodoxe kommunistische, radikale, autonome, antifaschistische, internationalistische, pazifistische, globalisierungskritische, anarchistische, anarchosyndikalistische, sozialistische, feministische und ökologistische Gruppen sowie Kleinstparteien zählen" (S. 228). Besondere Aufmerksamkeit erhält auch das verbreitete "Gefühl der Nicht-Repräsentation" (S. 266).

Diese erste umfangreiche Studie zu "Occupy Germany" liefert eine Fülle von Informationen über die Protestbewegung, welche zwischenzeitlich aber schon wieder an Bedeutung verloren hat und nicht mit "Blockupy" gleichgesetzt werde sollte. Geiges präsentiert authentische Stimmen aus der Bewegung, ordnet aber das Präsentierte auch analytisch ein. Mitunter hätte man sich aber auch weniger Details und mehr Struktur im Text gewünscht. Beachtenswert sind die zwar kurzen, aber reflexionswürdigen Kommentare zum Demokratieverständnis, das strukturelle Defekte beklage, aber auch eine besondere Orientierung aufweise: "Überdeutlich wurde ihr sehr identitäres Demokratieideal … Nicht die Kompromiss-, sondern die Konsensdemokratie lobten die Befragten …" (S. 295). Und dann heißt es: "Das von Occupy-Aktivisten idealisierte Bild einer Gemeinschaft … ist nicht progressiv, sondern reaktionär" (S. 327). Derartige Einschätzungen findet man selten im Text, sie hätten näher erläutert werden können. Das schmälert aber nicht den hohen Erkenntniswert des Buchs.


Lars Geiges, Occupy in Deutschland. Die Protestbewegung und ihre Akteure, Bielefeld 2014 (transcript-Verlag), 372 S.