Eine journalistische Darstellung zum IS

Machterweiterung um jeden Preis

BONN. (hpd) Der "Spiegel"-Korrespondent Christoph Reuter legt mit "Die Schwarze Macht. Der 'Islamische Staat' und die Strategien des Terrors" eine anschauliche und thesenreiche Darstellung zur Entwicklung der Terror-Miliz vor. Neben den anschaulichen Beschreibungen über die Entstehung und Entwicklung verdienen insbesondere die Einschätzungen zu Fragen des Gefahrenpotentials und der Strategie besondere Aufmerksamkeit in dem gelungen Buch.

Die Grausamkeiten des "Islamischen Staates", die vom Kopfabschneiden bis zur Versklavung reichen, lösen Angst und Schrecken auch in der westlichen Welt aus. Angesichts der dabei aufkommenden Abscheu und Empörung sollte aber nicht der differenzierte und kritische Blick auf Organisation und Strategie verloren gehen. Denn Erscheinungsbild und Realität der Terror-Miliz müssen sich nicht immer entsprechen. Darauf macht der Islamwissenschaftler und Journalist Christoph Reuter, der seit 2011 als Korrespondent für den Spiegel arbeitet und "Journalist des Jahres 2012" war, aufmerksam. Sein Buch "Die Schwarze Macht. Der 'Islamische Staat' und die Strategie des Terrors" versteht sich als Momentaufnahme zur aktuellen Situation. Der Autor fragt darin angesichts des desolaten Zustandes zu Beginn und dem militärischen Siegeszug in der Gegenwart: "Wie konnte eine im Grunde gescheiterten, geschrumpften Radikalengruppe, die weder über Macht oder nennensweswerte Mittel noch über Rückhalt und Sympathisanten verfügte, ein solcher Siegeszug gelingen" (S. 8).

Um eine Antwort darauf zu geben, zeichnet Reuter die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des IS nach und präsentiert dabei beachtenswerte und reflexionswürdige Thesen. Auf Basis der erstmaligen Auswertung von Dokumenten wie Listen und Organigrammen sieht er darin ein Geheimdienst-Produkt: "Denn sobald das Assad-Regime um seine Macht fürchtet … greifen die syrischen Geheimdienste zur Gegenwehr auf eine gefährliche Taktik zurück. Sie erschaffen Terroristen und beschwören damit einen Gegner herauf, der im Vergleich zu Assads Diktatur als das schlimmere Übel erscheinen soll. Doch im Fall des 'Islamischen Staates' wird das Regime die Geister, die es rief nicht mehr loswerden" (S. 41). Denn dessen Akteure hätten sich zunehmend von diesen Abhängigkeiten befreit. Reuter skizziert daraufhin den Aufstieg des IS durch den Siegeszug zunächst in Syrien und danach im Irak, wobei die Bedeutung der ausländischen Kämpfer ebenso wie die Kontinuität des Strategiewechsels näher behandelt werden.

Dann findet man einen aufschlussreichen Vergleich von "Al-Qaida", wobei sich die besondere Ausrichtung des IS im Unterschied zu dem terroristischen Netzwerk deutlich zeigt. Denn der Erstgenannten geht es um die Durchführung von Anschlägen, dem IS um die Eroberung von Räumen. Auch die Kommunikation der Terror-Miliz findet gesonderte Aufmerksamkeit: "Der 'Islamische Staat' versteht es blendend, die Berichterstattung über ihn und die Bilder, die von ihm kursieren, zu manipulieren, ohne dass dies auf Anhieb offensichtlich ist. Er spielt mit den Erwartungen und Bedürfnissen der Medienwelt" (S. 245). Das Alltagsleben in den von der Terror-Miliz kontrollierten Gebieten findet ebenfalls besonderes Interesse, lässt sich hier doch eine neue Form von totalitärer Herrschaft konstatieren. Bei all dem verweist Reuter immer wieder auf die Flexibilität des IS: Dessen Führung nutze die Mechanismen des Glaubens, vertraue aber nur darauf, was man selbst geschaffen habe: "Ihr Gott heißt Macht und trägt calvinistische Züge" (S. 323).

Dies ist die Hauptthese des Autors: "Der Glaube … ist nur eines von vielen Mitteln zum Zweck. Die einzig konstante Maxime des 'Islamischen Staates' bleibt: Machterweiterung um jeden Preis” (S. 17). Für diese Auffassung kann er eine Fülle von Belegen und Indizien präsentieren. Reuter geht auch in einem gesonderten Kapital auf den "Islam" im "Islamischen Staat" ein, wobei er beachtenswerte Parallelen konstatiert, ohne sich in pauschalen Gleichsetzungen zu ergehen. Aber allein diese Ausführungen verdienen große Aufmerksamkeit, ebenso wie die Einschätzungen zu den strategischen Besonderheiten des IS für die westliche Welt. Reuter schreibt über all dies aus der Perspektive "vor Ort", was sein Buch zu einer ebenso anschaulichen Beschreibung wie kritischen Erörterung macht. Manche Auffassungen wie beispielsweise die zur Geheimdienst-Gründung mögen einseitig sein, andere wie etwas die zur Machtfixierung verlangen noch tiefgründigere Analysen. Gleichwohl liegt ein beachtens- und reflexionswertes Buch zum Thema vor.
 


Christoph Reuter, Die Schwarze Macht. Der „Islamische Staat“ und die Strategen des Terrors, München 2015 (Deutsche Verlags-Anstalt), 352 S., 19,99 Euro