Judith Holofernes dichtet über Tiere

Du bist ein Wolf – dein Herz ist Hund

BERLIN. (hpd) Früher füllte sie als Frontfrau der Rock-Gruppe "Wir sind Helden" Riesenhallen. Nun ist Judith Holofernes unter die Dichter gegangen. Begleiten lässt sie sich freilich auch jetzt noch: von der Grafikerin Vanessa Karré. "Du bellst vor dem falschen Baum" betitelt sie ihren Band mit Tiergedichten. Auf der Buchmesse war sie erstaunt, dass man annahm, sie schreibe jetzt für Kinder.

Die ersten dieser Verse entstanden aus Liedtexten. Nach dem Motto: aus eins mach zwei, was rangestrickt, was weggestrichen. Da ist die Sprache von Liebestaumel, in dem die Bardin sich dahintreiben fühlt wie im Meer Krabbe oder Qualle. Von Selbstauflösung pur. Oder Lebensüberforderung, in der sie sich tot zu stellen wünscht wie ein Opossum. Ihren Rhythmus, der immer noch rockt, haben auch ihre Zeilen fürs Papier nicht verloren. Da wird dem Klang der Worte nachgelauscht, lautgemalt und manchmal experimentiert, dann wieder gekalauert und geslangt, dass sich die Worte biegen. Der kleinste poetische Baustein ist der Vokal bis hin zur phonetischen Nachahmung von Hundegebell. Minimalistisch sind ihre Gedichte immer.

Das Kürzeste sei hier zitiert: "Gecko:/ Gecko, Gecko/ Gecko keck!// Gecko, Gecko/Gecko weg". So gläsern durchsichtig ist dieses Klanggebilde, wie jenes kleine Reptil, dass man geradezu das possierliche Tierchen selbst in den Zeilen schnalzen hört, eh es davon flitzt.

Ihre Tiere, das sind unsere Stellvertreter: Über den riesenäugigen, erschrocken dreinblickenden Maki - "Dramatiker, Ekstatiker, Fanatiker" - reimt sie: "Warum guckt der so/ und nicht wir?" An die Tiere stellen wir immer noch unsere Sinnfragen. "Ob seine Pirouetten/ in Darwins Sinn Sinn hätten/ Das kann man sich wohl fragen/und müsste dann ertragen// dass dieses Affens Anmut/ zeigt, dass er, was er kann, tut/ ganz ohne Sinngebäude/allein im Dienst der Freude", dichtet sie in "Lemuren". Klingt alles auch ein wenig nach Ringelnatz und Busch und oszilliert munter zwischen Moritat und Nonsens.

Das Tier in uns, das ist das immer Unverstandene, ja doch, das Wilde, das Abgründige bis hin zum Tiefgründigen, weshalb es Judith Holofernes immer wieder auf den Meeresgrund zieht, um nach poetischen Bildern zu fischen. Heraus zieht sie blass-glimmende Monster, so widersinnig von Gestalt, so wider alle Ökonomie gestrickt, dass die Rocksängerin von ihnen schwärmen muss! Eine bleiche Maskerade unsichtbarer Mimikri der scheinbar Missgestalteten: rührt das nicht am meisten ans Herz? Wie der von seiner Mutter verlassene Erdferkelinfant im Brutkasten im Zoo mit seinen nackten Ohren und überlangem Rüssel.

Die in Neukölln geborene Künstlerin, inzwischen Mutter zweier Kinder, ist mit allen Wassern gewaschen und gern mal sentimental - und immer noch das Kind, das im Zug Rehe zählt. Sie ist eben eine wirkliche Dichterin. Vanessa Karrés Kollagen sind üppig wuchernd und wunderbar.

Judith Holofernes: "Du bellst vor dem falschen Baum", Gedichte mit Illustrationen von Vanessa Karré, Klett Cotta Stuttgart 2015, 104 S., 17,95 Euro