Gamble, Gowlett und Dunbar entdecken das soziale Gehirn

Am Anfang war das Lachen

BERLIN. (hpd) Das menschliche Denken beschäftigt sich, wie das der Affen, zum größten Teil mit seinen Artgenossen. Das Nachsinnen über deren Absichten und die Herausforderung, mit ihnen klar zu kommen, machten den Menschen immer schlauer. Das Gehirn passte sich an und wuchs. Lange vor den Werkzeugen schufen sich die Menschen Instrumentarien aus Sprache, Musik und Tanz, was sie befriedete und zusammenhielt, so die These von Gamble, Gowlett und Dunbar.

Am Anfang war das Lachen. Auch Schimpansen lachen; allerdings ein wenig anders als wir, sie atmen rhythmisch ein und aus. Damit fordern sie ihr Gegenüber zum Spiel heraus. Aus solchem Lachen könnte die Sprache entstanden sein, zunächst als rhythmisches Skandieren, das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugte, ähnlich dem der Fellpflege. Man musste sich dabei nicht mehr berühren, und das erweiterte die Möglichkeit der Gemeinschaft. Auf eine immer weiter sich vergrößernde Gemeinschaft kam es an, folgt man den Paläosoziologen Clive Gamble, John Gowlett und Robin Dunbar in ihrem Buch "Evolution Denken Kultur. Das soziale Gehirn und die Entstehung des Menschlichen" über ihr Forschungprojekt "Lucy to Language. The Archeology of the Social Brain", gefördert von der British Academy, der britischen nationalen Körperschaft für Geistes- und Sozialwissenschaft. In großen Gemeinschaften konnte man Gefahren besser begegnen und die Nahrungsbeschaffung durch Arbeitsteilung und später Tausch, Gabe und Gegengabe in Notzeiten erweitern.

Tatsächlich sind heute die Menschen mehr oder weniger gleich intelligent, egal ob sie aus Gesellschaften mit einem hohen Grad an technologischer Ausrüstung stammen oder nicht. Das legt nahe, dass es etwas anderes sein muss, worauf es ankam und ankommt.

Das Gehirn unserer Ahnen entwickelte sich, nachdem Angehörige der Gattung Australopithecus vor mehr als vor drei Millionen Jahren, wahrscheinlich 3,3 Millionen, die ersten rudimentären Steinwerkzeuge erzeugten und seit der Halbzeit bis heute allmählich mit dem Feuer umzugehen lernten, zunehmend weiter – es wuchs seither von rund 900 auf über 1200 Gramm, doch die Technik erst einmal kaum. Dies fordert die Annahme geradezu heraus, dass etwas anderes ihre Köpfe bewegte und in ihrem Denken Raum einnahm.

Die Antwort für diese große Indizienlücke der Vertreter der Theorie des sozialen Gehirns lautet: Die Menschen lernten - in sich über fünf Etappen um jeweils den Faktor drei erweiternden Gruppen - nicht nur wie die Schimpansen mit 50 Artgenossen, sondern temporär mit bis zu 1500 Mitmenschen zurechtzukommen. Ähnlich strukturiert sind noch heutige Netzwerke und Institutionen.

Nun macht die Theorie Anleihen bei dem analytischen Philosophen David Dennett über Intentionalität in der Handlung: Die Menschen bewältigten demnach das Zusammenleben, indem sie nicht nur Empathie entwickelten, sondern auch sich in die An- und Absichten ihrer Mitmenschen hineinzudenken verstanden. Angefangen von "Ich stelle mir vor, was du vorhast" über "Ich frage mich, was du über mich denkst" - womit das Gewissen erwachte – bis hin zu "Du denkst über A etwas, was ich nicht glaube". Die verschiedenen Standpunkte und Auffassungen waren geboren, aber auch die Fähigkeit zu Schauspiel und Lüge. Intentionen bis zur 5. Ordnung können die meisten Menschen heute bewältigen. Also Sätze wie: "Ich will dich glauben machen, dass du denkst, dass ich denke, dass sie dies oder jenes tut." Damit ist die Fähigkeit zur Fiktion gegeben. Und zur Religion. Denken mit hohem Abstraktionsgrad kann sogar darüber hinausgehen.

Mythen entstanden: über Ahnen, die die Menschheit begründeten, und Wesen, die nie jemand gesehen hatte. Sie halfen in einem Rückkoppelungseffekt die Gemeinschaft zusammenzuhalten.

Voraussetzung dafür war aber die Fähigkeit, die ebenfalls ganz rudimentär begann, das Abwesende, zunächst vor allem die Abwesenden zu denken: die Clan-Mitgleider, Frauen und Kinder, die daheim im Lager blieben, während die anderen jagten. Oder die Verstorbenen. Ohne dass es dafür Hinterlassenschaften gäbe.

Denn dass Tiere andere, ob Artgenossen oder nicht, zu denen sie eine emotionale Bindung haben, wieder erkennen, wenn sie sie sehen, ist sicher, aber erinnern sie sich auch, wenn sie sie nicht sehen? Unsere drei Autoren meinen: nein – ob zu Recht, sei hier einmal dahingestellt. Die Vorfahren des modernen Menschen schufen aber auf jeden Fall mindestens seit 100.000 Jahren in Südafrika Verstärker genau dafür, Gaben wie mit Mustern geritzte Ockersteine oder mit Ocker gefüllte Schnecken. Sie halfen dem Erinnern. Erste Kunst zugleich. In Europa brauchte man dafür 60.000 Jahre länger.

In Spanien, in Andalusien, errichteten Neanderthaler in einer Höhle eine Hütte. Waren diese Abgrenzungen, auch möglicherweise nicht erhaltene Beutel und Gefäße dann ein Analogon für erste Begriffe in der Sprache? Dafür plädieren die Autoren.

Sicher ist es ein fruchtbarer Gedanke, Technologie und Intelligenz voneinander zu trennen. Und dies ist plausibel schon bei der Betrachtung der Menschenaffen. Schimpansen haben eine ausgeprägte Werkzeugkultur, bei Bonobos, nicht minder schlau, wurde das in ihrer natürlichen Umgebung dagegen bis jetzt nicht beobachtet. Auch bei Gorillas und Orang-Utans nicht. Wobei letztere andererseits als geradezu ungesellig gelten, aber andererseits ausgesprochen geschickt in Umgang mit Schlüsseln und Auseinandernehmen und Zusammensetzen von Dingen.

Den Menschen von seinen Vorläufern her unter den Menschenaffen zu betrachten, das bedeutet auch, sich darüber im klaren zu werden, dass die ersten auf zwei Beinen aufrecht über die Steppe laufenden Wesen wahrscheinlich noch Affen waren, mit einem Affengehirn. Und am Ende bedeutet dies, dass wo genau die Grenze zum Menschen ziehen wohl eine Definitionsfrage ist. Die Grenzlinie wird alle paar Jahre hin und hergeschoben,

Cleve Gamble, John Gowlett und Robin Dunbar: "Evolution Denken Kultur. Das soziale Gehirn und die Entstehung des Menschlichen", Springer Spectrum Heidelberg 2016, 376 S. 19,95 Euro