Kinostart von Paul Poets Interviewfilm

My Talk with Florence

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BERLIN. (hpd) Der österreichische Filmemacher Paul Poet gewährt uns in seinem jüngsten Werk einen schonungslosen Einblick in das Leben von Florence Burnier-Bauer, die in der Otto-Muehl- Kommune Schreckliches erleiden musste.

Eine Frau sitzt in einem großen Sessel, in Händen hält sie eine alte Puppe. Zwei Stunden lang schildert sie offen und selbstbewusst ihren Lebensweg, einen der "erschütterndsten des 20. Jahrhunderts", wie der Verleihtext ankündigt. Paul Poets neues Werk, "My talk with Florence", das heute in ausgewählten Kinos startet, ist eine intime Annäherung an die Geschichte Florence Burnier-Bauers. Sie verlangt dem Publikum sowohl inhaltlich als auch formal einiges ab. Denn der Titel ist wörtlich zu verstehen, Filmemacher und Protagonistin werden während ihres Gesprächs ungeschnitten festgehalten.

Bereits im Jahr 2008 war das Interview im Rahmen eines Theaterprojekts entstanden. Dokumentarfilmer Johannes Holzhausen saß an der Kamera, der Regisseur selbst ist nur hin und wieder aus dem Off zu hören, stellt Fragen und hakt nach. So entstanden zwei Tapes à 60 Minuten Filmmaterial, die in jeweils einer Einstellung ablaufen. Die Zwischensequenz besteht, wie Beginn und Ende des Films, aus einer kurzen, assoziativen Collage von Bildern und Text.

Mal zoomt Holzhausen nah an Burnier-Bauers Gesicht, mal sehen wir sie fast total in dem Sessel versinken. Die Abwesenheiten von Schnitten und die teils holprigen Bewegungen der Kamera brechen mit Sehgewohnheiten. Unverblümt und direkt breitet Burnier-Bauer, die heute als Künstlerin tätig ist, ihre Vita aus:
Sie wuchs in bürgerlichen Verhältnissen auf und wurde bereits als Kind von ihrem Stiefgroßvater wie auch ihrem Vater sexuell missbraucht. Ihre Mutter nahm es schweigend hin, habe sogar Eifersucht gegenüber der Tochter gehegt, wie diese schildert. In einer Nervenheilanstalt "therapierte" man das widerspenstige Kind später mit ruhigstellenden Drogen. Als Teenager gelang ihr die Flucht, fortan lebte sie auf der Straße, wo sie sich mit Betteln und kleinen Diebstählen durchschlug. In den 70er-Jahren hoffte Burnier-Bauer, mittlerweile Mutter dreier Kinder, auf ein besseres Leben in der Friedrichshof-Kommune des österreichischen Künstlers Otto Muehl. In der südlich von Wien gelegenen Wohnanlage hatte der berühmte Maler eine Gemeinschaft, die ohne privates Eigentum und familiäre Beziehungen leben sollte, gegründet. Dabei orientierte er sich auch an den parawissenschaftlichen Arbeiten Wilhelm Reichs und zwang die Mitglieder mit teils gewalttätigen Methoden zu angeblich therapeutischen "Selbstdarstellungen".

Für Burnier-Bauer war es der Beginn eines zehnjährigen Martyriums. Ihrer Papiere beraubt und getrennt von ihren Kindern, wurde sie auf die unterste Stufe innerhalb der streng hierarchischen Gruppe gestellt. Statt freier Liebe herrschte Zwang zu ständigem Sex mit wechselnden Partnern, statt klassenloser Gesellschaft herrschte Rangordnung. Wer sich dem widersetzte, musste mit Strafen rechnen. Fliehen sei indes schwierig gewesen, wie sie erläutert. Die Behörden der nahegelegenen Ortschaften hätten Flüchtige einfach zurückgebracht. Außerdem habe sie ihre Kinder nicht zurücklassen wollen.

Muehl und dessen Frau hätten sich als Anführer verehren lassen, insbesondere die "Aufklärung" der Kinder, was deren Entjungferung mit einschloss, habe zu ihren Aufgaben gehört. Erst mit ihrem späteren Ehemann, Othmar Bauer, gelang ihr die Flucht. Gerade ihre Aussage brachte die entscheidende Wendung innerhalb des Gerichtsprozesses gegen Muehl, der wegen sexuellen Missbrauchs schließlich sieben Jahre in Haft saß. Die Kommune löste sich auf.

Wie Burnier-Bauer deutlich macht, sei der Künstler stets gut vernetzt gewesen, gerade auch in der österreichische Politik. Ein Aspekt, der kaum aufgearbeitet wurde. Zudem seien viele Kunstwerke, die später Muehls Namen trugen, eigentlich von Mitgliedern innerhalb der Kommune geschaffen worden. Bis heute sind sie sehr gesucht und erzielen teils hohe Preise. Auch hier besteht weiterhin Aufklärungsbedarf.

Florence Burnier-Bauer hat nie aufgegeben und präsentiert sich als emanzipierte Frau, die für die öffentliche Aufarbeitung von Missbrauch eintritt. Regisseur Poet schuf so ein Plädoyer für die Freiheit des Individuums, dem hoffentlich eine neuerliche öffentliche Debatte über die Friedrichshof-Kommune folgen wird. 


Weitere Informationen und bisherige Termine unter:

Drop-Out Cinema - "My talk with Florence"