Léo Grasset: "Giraffentheater. Anekdoten aus der Savanne"

Die Büffeldemokratie

BERLIN. (hpd) Antilopen gelten gemeinhin nicht als besonders schlaue Tiere. Dennoch lässt sich an ihnen einiges über Gruppenentscheidungen, Motivation und Manipulation studieren, kurz, Verhaltensweisen, die in der Politik und Marktwirtschaft wichtig sind. Sie waren Léo Grassets Forschungsobjekte in der Savanne Simbabwes. In "Giraffentheater" präsentiert er rasant komisch Populärwissenschaft, die zündet.

In seinem eigenen Videokanal auf YouTube bringt der blutjunge Biologe es auf 90.000 Zuschauer. Der Mann hat Entertainer-Qualitäten. Er schreibt auch einen Blog. Daraus hat sich sein erstes Buch entwickelt, in Frankreich im renommierten Verlag Editions de Seuil erschienen, in Deutschland bei Wagenbach. Ist das Literatur?

Wenn eine Fähigkeit der Kunst darin besteht, zu verblüffen und den Leser das eigene Verhalten ein Stückchen weniger selbstverständlich werden zu lassen, dann ja. Dieser Rest absurd Unerklärliches, ja, Widersinniges in der langen Geschichte und Bandbreite des Lebens, der ist es, um den Léo Grassets Anekdoten aus der Savanne kreisen.

Etwa über im Laufe der Evolution mitgeschleppte Eigenschaften, die zwar keinen Sinn mehr haben, aber auch nicht stören. Warum, wenn man nicht weiß, wohin man fliehen soll, das Zufallsprinzip das probateste ist. Warum, wenn alle kaum Bescheid wissen, aber möglichst viele Willensbekundungen in einer Gruppe in Betracht gezogen werden, die Mehrheit meist die richtige Entscheidung trifft, sei es unter Antilopen oder Menschen.

Und wir verstehen nun, warum Büffelweibchen Hörner haben, Antilopenweibchen aber nicht. Daran lässt sich nämlich etwas lernen. Wer klein ist, kann leichter fliehen, nur wer groß und massig ist, muss bei Gefahr leider kämpfen und deshalb Hörner mit sich herumschleppen.

Dazu lesen wir über verschiedene Erklärungsmöglichkeiten, warum Zebras Streifen haben. Eine davon ahnt man, wenn man sich die Speichen schnell fahrender Räder anschaut. Es sieht für den Betrachter aus, als ob sie sich rückwärts bewegten. Ähnlich soll es dem Löwen auf Zebrajagd gehen. Wo genau soll er da zum tödlichen Sprung ansetzen?

Grassets Geschichten haben fast den Mehrwert von Fabeln.

Ja doch, gerade Herdentiere müssen täglich abstimmen, wo es langgehen soll. Bei Gorillas mag die Mehrheit entscheiden, bei Büffeln wird – viel besser – ein Quorum gebildet, bei der Richtung ein Mittelwert ausgemacht. Und wie sie feststellen, was die anderen wollen. Jeder stellt sich in die von ihm angestrebte Richtung und reckt dabei vielsagend den Kopf. Wird so was bei den Primaten nicht schon als Geste gedeutet?

Ach ja, und täuschen können die scheinbar nur so dösig vor sich hin grasenden Antilopen auch noch. Entfernt sich ein Topi-Antilopenweibchen allzu weit von seiner Herde, ruft das Männchen gern so, als ob ein Raubtier in Sicht- oder Riechweite ist - und nutzt die Gelegenheit oft gleich aus, das verunsicherte Weibchen zu bespringen. Politisch korrekt sind Antilopen eben noch nicht.

Was aber alles erst der Honigdachs kann, das sei hier nicht verraten (nur so viel: sich Baumstämme zurecht zu rücken, um oben an Futter zu gelangen, darin ist er so erfinderisch wie einst Köhlers Schimpansen auf Teneriffa.)

Léo Grasset: "Giraffentheater. Anekdoten aus der Savanne", Übersetzung aus dem Französischen von Till Bardoux, Wagenbach Verlag 2016, 144 S., 16,90 Euro