BERLIN. (hpd) In der französischen Stadt Nizza ist ein Mann mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge gerast. Mindestens 80 Menschen wurden getötet. Der Politologe und Islamexeperte Hamed Abdel-Samad warnt vor unüberlegten Reaktionen.
Man muss nicht zu allem Stellung nehmen. Ich versuche mich seit Monaten aus den täglichen Debatten zurückzuziehen, weil sie meine Energie rauben und die Welt um mich immer mehr als einen hässlichen Ort erscheinen lassen. Ich brauche aber meine Energie, um zu schreiben und um das, was immer noch in dieser Welt genießbar ist, zu genießen!
Ich bin ratlos und weiß ehrlich gesagt nicht, was wir gerade brauchen, um solche Tragödien zu überwinden und deren Wiederholung zu verhindern. Aber ich weiß was wir definitiv nicht brauchen, und zwar:
- Wir brauchen keine nutzlosen Trauerbekundungen, die wir in die virtuelle Weltall los schießen!
- Wir brauchen Menschen nicht, die solche Ereignisse missbrauchen, um Wut und Hass pauschal gegen alle Muslime zu schüren!
- Wir brauchen keine leeren Durchhalteparolen, keinen Aktionismus und schnellen Maßnahmen.
- Wir brauchen apologetische Muslime nicht, die mantraartig wiederholen, dass der Terror keine Religion hat, denn er hat offensichtlich eine!
- Wir brauchen Relativierer nicht, die das Leid Mancher mit dem Leid Anderer vergleichen und uns vorwerfen, dass wir immer zu den Terroranschlägen im Westen, aber nicht zu dem täglichen Terror in Irak und Syrien Stellung beziehen. Ich glaube die Iraker und Syrer kümmern sich auch wenig um das was im Westen passiert, weil sie mit der eigenen Tragödie viel zu beschäftigt sind!
- Wir brauchen keinen Muslim, der die Trauerfeier für die Opfer kapert und mit verbundenen Augen Menschen umarmen will und sich und seine Religion als die eigentlichen Opfer darstellt. Wir brauchen Muslime, die die Augen öffnen und endlich die Quelle des Übels nicht nur erkennen und benennen, sondern auch effektiv bekämpfen!
Terroristen hassen das Leben und verachten jeden, der dieses Leben genießt. Sie haben Angst vor der Freiheit und fühlen sich verloren in der Vielfalt. Und vielleicht genau das brauchen wir: Alles zu tun, was sie hassen, was ihnen Angst macht und was sie verunsichert.
Wir können offensichtlich nicht verhindern, dass sich solche abscheuliche Taten häufiger wiederholen, aber wir können verhindern, dass sie uns lähmen oder uns von den Werten abrücken lassen, die die offene Gesellschaft ausmachen!
14 Kommentare
Kommentare
Wolfgang Weege am Permanenter Link
Und unsere Regierung sollte endlich aufhören, Vereine, die einen unsichtbaren Freund haben, mit Millionen Euro Steuergeldern zu füttern!
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Hamed Abdel-Samad, ich schätze Ihre Analysen und Aufrufe immer sehr. Auch Ihr heutiger Beitrag findet meine Zustimmung. Lediglich in einem Punkt will ich Ihnen nicht folgen.
Sie sagen zum Schluss, »wir können offensichtlich nicht verhindern, dass sich solche abscheuliche Taten häufiger wiederholen«.
Ich denke schon, dass wir mehr als bis jetzt tun können, um zu verhindern, dass Menschen zum Hass verleitet und erzogen werden, dass mit unserer Duldung, teilweise sogar politischer und finanzieller Unterstützung, die orthodoxe Interpretation einer Religion gepredigt wird, die in den Köpfen von Kindern, jungen Menschen und deren Eltern die Vorstellung verbreitet, diese Religion verkünde eine göttlichen Wahrheit, der unter allen Umständen zum Erfolg verholfen werden muss.
Ich denke daran, dass sich über Jahrzehnte der Salafismus, eine islamistische Bewegung mit derzeit ca. 7500 entschlossenen Anhängern, in Deutschland fast ungehindert ausbreiten konnte. Sie orientiert sich an der Staatsreligion Saudi-Arabiens, von wo sie auch ihre materielle und finanzielle Unterstützung erhält. Wer deren verfassungswidriges Denken und Handeln nicht sieht, der will es offenbar auch nicht sehen.
Ich denke zum Beispiel an die muslimische Organisation DITIB. Eine Organisation, die in Deutschland fast tausend Moscheen betreibt. Es ist kein Geheimnis, dass auch dort eine orthodoxe Interpretation des Islam gepredigt wird. DITIB erhält ihre Weisungen, ihr Personal und ihre Finanzen vollständig von der türkischen Religionsbehörde. Diese sitzt in Ankara und folgt den Zielsetzungen eines Herrn Erdogan, der ganz offen dazu aufruft, die Muslime in Deutschland als Speerspitze einer religiösen Kampftruppe zu begreifen.
Milli Görüs, auch eine muslimische Organisation, die aus guten Gründen wiederholt ins Visier der deutschen Sicherheitsbehörden geraten ist, vertritt ebenfalls einen orthodoxen Islam. Ebenso verdächtig ist der Zentralrat der Muslime (ZMD) unter der Führung des undurchsichtigen Herrn Aiman Mazyek (»Die Scharia ist mit dem Grundgesetz vereinbar«). Ein Mitglied des ZMD ist die Islamische Gesellschaft in Deutschland (IGD), die für den bayerischen Verfassungsschutz ein Tarnverein für die islamistische und antidemokratische Muslimbruderschaft ist. Ein weiteres Mitglied im ZMD ist die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB), die wiederum der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz als Tarnverein den ultra-nationalistischen und faschistoiden Grauen Wölfen zuordnet.
Ich höre stets das mundtot machende Argument, dass es keinen Generalverdacht gegen die Muslime geben dürfe. Was aber soll man davon halten, wenn eine repräsentative europaweite Studie nachweist, dass unter den Muslimen religiöser Fundamentalismus weit verbreitet ist. Nach dieser Studie halten zwei Drittel der befragten Muslime religiöse Gesetze für wichtiger als die Gesetze des Landes, in dem sie leben, drei Viertel von ihnen finden, es gebe nur eine mögliche Auslegung des Korans (siehe WZB für Sozialforschung!). Von daher überrascht es nicht, dass eine Mehrheit der Muslime die Idee eines Islamischen Staates grundsätzlich befürwortet.
Kann es richtig sein, dass der deutsche Staat die Ausbildung von muslimischen Religionslehrern und muslimischen Religionsunterricht finanziell fördert, dabei aber keinen Einfluss nimmt, auf die nachweislich erzkonservative Ausprägung dieses Unterrichts? Ein Beauftragter des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen beklagte schon vor Jahren, dass im muslimischen Religionsunterricht wesentliche Grundsätze unserer Verfassung missachtet würden. Geändert hat sich an der Praxis dieser Form von Religionsunterricht nichts.
An der Humboldt Universität Berlin soll jetzt die Ausbildung von Imamen erfolgen. Wie soll bei der Unabhängigkeit theologischer Fakultäten bezüglich Lehre und Forschung sichergestellt werden, dass diese Ausbildung nicht Grundprinzipien unserer Verfassung widerspricht? Das mantrahafte Berufen auf die Religionsfreiheit hat bisher erfolgreich verhindert, dass staatliche Stellen ernsthaft auf die Verfassungsmäßigkeit universitärer und schulischer Islam-Lehre achten. Mein Eindruck ist, dass seitens unserer kirchlich-christlich orientierten Politiker daran auch kein ernsthaftes Interesse besteht, sieht man doch im Islam in erster Linie eine befreundete Religion, die die gesellschaftliche und politische Rolle der Religion aufwerten und die Phalanx gegen die ungeliebten Humanisten, Atheisten und Konfessionsfreien stärken soll. Der (sympathische) Vorzeige-Theologe Mouhanad Khorchide mit seinem »aufgeklärten Islam« gilt unter den Repräsentanten der Muslime in Deutschland als Außenseiter und wird von den tonangebenden muslimischen Organisationen bekämpft.
Wer diese mehr oder weniger verdeckte religiös-ideologische Erziehung eines relevanten Teils unserer Gesellschaft so gleichgültig hinnimmt, trägt dazu bei, dass eine gesellschaftliche Atmosphäre zunehmender religiös-ideologischer Konfrontation entsteht. Sie bereitet weiter jenen Kräften den Boden, die dann irgendwann in sich den Ruf verspüren, sich im Namen eines erdachten Gottes märtyrerhaft zu opfern und wieder einmal ungezählte Menschen mit sich zu reißen. Wenn die Politik und die Gesellschaft nicht endlich begreifen, dass wir entschiedener Partei ergreifen müssen für eine freiheitliche, humanistische, die Menschenrechte verteidigende Politik, dann haben wir mit unserem Gesellschaftsmodell keine Zukunft.
Uns Älteren ist seinerzeit von Schule, Politik und den Medien geradezu eingehämmert worden, dass wir uns gegenüber jedweder totalitären Ideologie, gegen jede Form von Machtanspruch, die sich nicht demokratisch legitimiert, wehren sollten. Diese Warnungen kamen damals besonders von politisch linksorientierter Seite. Heute muss ich feststellen, dass insbesondere von Seiten der Linken nicht nur keine Kritik an dieser polit-religiösen Ideologie mit ihrem umfassenden Herrschaftsanspruch kommt, dass vielmehr warnende Kritiker dieser uns bedrohenden Entwicklung von ihnen bekämpft werden.
Ich sehe keinen entschlossenen gesellschaftspolitischen Widerstand gegen diese totalitäre, im Gewand einer Religion daher kommende Ideologie. Der erklärte Wille zum Widerstand gegen eine Rückkehr der Religionen, der offensive Wille zur Verteidigung einer aufgeklärten Gesellschaft, in der Staat und Religion getrennt sind, müsste längst einsetzen. Er kann und sollte aus der breiten Mitte der Gesellschaft kommen.
Markus Pfeifer am Permanenter Link
Angesichts dessen, dass Gewalt zunehmend auch von Nichtmuslimen ausgeht (brennende Asylheime, Gewalt gegen Flüchtlingshelfer, Tortenangriffe gegen Menschen, die etwas Inhaltliches sagen) sollten wir uns vielleicht mal
Woher kommt diese Spaltung? Wie kann es sein, dass auf allen Seiten die Gewalt zunimmt (und aus religiösen und sozialen Gründen von muslimischer Seite überproportional)? -Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass die westliche Gesellschaft die Freiheit gegenüber der Gleichheit und der Brüderlichkeit überbetont. Echte Freiheit kann es nur geben, wenn alle sie gleichermaßen und brüderlich genießen.
Dazu sollten wir vielleicht wieder stärker darauf achten, die Freiheit der Starken in unserer Gesellschaft dort zu beschränken, wo sie die Freiheiten der Schwachen einschränkt. Nur auf dieser Grundlage kann die Neidkultur beendet werden und die Brüderlichkeit gedeihen.
Allerdings muss man sich darüber bewusst sein, dass das eine notwendige Bedingung ist, keine hinreichende.
Bernd Brecht am Permanenter Link
Glauben Sie dass die breite Masse auf Dinge zu geht die ihnen Angst macht? Die auch mit Angst spielen? Wo zeigt der Isalm seine Offenheit und Barmherzigkeit ?
Markus Pfeifer am Permanenter Link
Nein. Aber es wäre notwendig, dass Menschen auf Menschen zugehen. Dazu müssen Ängste abgebaut oder überwunden werden. Das geht nicht über Nacht und braucht einen langen Dialog.
Der ist aber nur möglich, wenn alle in der Gesellschaft auch eine Perspektive haben. Das muss zuerst kommen. Und nein, die Radikalisierten muss man da nicht mitnehmen; bei denen hilft nichts mehr, gegen die muss man hart sein. Es geht darum, weiterer Radikalisierung entgegenzuwirken.
Dazu müssen wir erst mal den Irrglauben überwinden, dass unsere eigene, westliche Gesellschaft schon perfekt und offen sei und doch jedem eine faire Chance biete. Das ist quatsch! Und das ist ein wichtiger Grund, warum VON ALLEIN SEITEN die Gewalt zunimmt (bei einigen Gruppen mehr, teils aus kulturellen Gründen, teils, weil sie noch weniger Chancen haben) und die Leute einander immer weniger zuhören (das scheint irgendwie bei allein Gruppen gleichermaßen verbreitet).
Frank Linnhoff am Permanenter Link
Hamed Abdel-Samad hat nach meiner Ansicht völlig Recht. Bis jetzt weiß niemand etwas über die wahren Gründe, welche den Mörder zur Tat getrieben haben. Warten wir ab.
David am Permanenter Link
Gute Liste. Einen Punkt wūrde ich ergänzen:
Wir brauchen keine Menschen, die meinen, extremistische Ideologien könnten man mit appeasement bekämpfen.
Kay Krause am Permanenter Link
Wunderbarer Artikel, lieber Hamed Abdel-Samad! Vielen Dank!
!Aber ein kleiner Einwand:
Wir brauchen Menschen, die bereit sind, friedlich miteinander auszukommen; Menschen, die das Fremde (den Fremden) nicht verteufeln, sondern die das Fremde im Gegenteil als Bereicherung empfinden; Menschen, die den Anderen nicht im Dreck liegen lassen, sondern ihm helfen, sich wieder aufzurichten!
Nicht die Religion oder Weltanschauung des Menschen sollten wir wie ein Plakat vor uns hertragen, sondern die Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit, zum Frieden, zum Humanismus! Und interessanterweise benötigt man dazu keinen imaginären Gott!
Chr. Nentwig am Permanenter Link
Guten Tag, Herr Hamed Abdel-Samad,
sie sind einer der ganz wenigen, die meine Gefühle, mein Denken dass ich hatte, als ich diese Nachricht las, exakt beschrieben haben.
Chr. Nentwig
Bernd Brecht am Permanenter Link
Was mir wirklich fehlt ist: was tun Muslime um dem "falschem" Bild des Islam entgegen zu treten. Was tun Sie um die Fehlentwicklungen im Isalm zu korrigieren? Man hört und spührt dazu nichts... Warum?
Frank Roßner, H... am Permanenter Link
Zu Ihrer Frage gibt es im Beitrag von Dr. Ourghi am 18.07.2016 hier im HPD ausführliche Hinweise.
David am Permanenter Link
"Wobei auch Paralellen zu den Taten extremistischer und radikaler Anhänger der beiden anderen monotheistischen Religionen erkennbar sind."
ach tatsächlich? Gibt es also auch christliche und jüdische Terroristen, die von ihren Schriften beflügelt weltweit täglich Attentate ausführen und dabei ihren "gott" lobpreisen? Wieso verheimlicht uns das die Presse so kunstvoll?
Peter Friedrich am Permanenter Link
@David: Präsident Bush hat mit Berufung auf "Gott/Jesus/Christus" oder dergleichen ein Kriegsmassaker im Nahen Osten begangen, das wesentlich auch das Terrorismusproblem vergrößerte.
David am Permanenter Link
ach kommen Sie, seinen Sie bitte nicht albern. Sie wissen genau so gut wie ich, dass der Vergleich vom Aspekt der Häufigkeit nicht mal ansatzweise passt. Und er passt auch nicht ideologisch.