Rezension

Handbuch zur Rechtsextremismusforschung mit falschem Titel

Das von Fabian Virchow, Martin Langebach und Alexander Häusler herausgegebene "Handbuch Rechtsextremismus" ist eigentlich ein "Handbuch zur Rechtsextremismusforschung", vermittelt es doch einen Eindruck zu den Forschungen zu bestimmten Themenbereichen. Die Beiträge liefern einen überaus informativen Überblick, stammen auch von Kennern der Materie, die aber mitunter doch zu einer etwas einseitigen Darstellung im Sinne ihrer Ansätze neigen.

Ganze Bibliotheken können mittlerweile mit Forschungsergebnissen zum Rechtsextremismus gefüllt werden. Dadurch ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Diesen liefern auch nicht Gesamtdarstellungen zum Phänomen, geht es darin doch um die Beschreibung und Einschätzung von Gruppen, Parteien, Subkulturen oder Zellen.

Einen Forschungsüberblick bezogen auf Problemstellungen und Themen liefern wollen die Autoren des "Handbuch Rechtsextremismus", das die Politikwissenschaftler Fabian Virchow, Martin Langebach und Alexander Häusler herausgegeben haben. In der Einleitung heißt es zur Konzeption: "Im Unterschied zu diesen Veröffentlichungen", gemeint sind die erwähnten Gesamtdarstellungen, "liegt das vorliegende Handbuch ein größeres Schwergewicht auf eine systematische und breit angelegte Darstellung des Forschungsstandes …" (S. 2). Insofern hätte man es aber auch besser "Handbuch Rechtsextremismusforschung" nennen sollen, wird der Inhalt doch durch diesen Titel besser erfasst.

Die dann folgenden 17 Beiträge konzentrieren sich auf bestimmte Detailfragen der Forschung und beschreiben und kommentieren hierbei den jeweiligen Forschungsstand. Dies geschieht mal mehr, mal weniger ausführlich und differenziert.

Gleich im ersten Artikel von Fabian Virchow über "Rechtsextremismus"-Begriffe artikuliert der Autor seine Aversionen gegen eine extremismustheoretische Sicht, die dann aber auch etwas einseitig und schief kommentiert wird. Die Begriffe gehen übrigens im Handbuch durcheinander, mal wird von der "extremen Rechten" gesprochen, mal vom "Rechtsextremismus". Was genau damit gemeint ist, wird nicht immer klar.

Gideon Botsch nimmt anschließend einen historischen Blick auf das gemeinte politische Lager ein, und Andreas Zick und Beate Küpper informieren über rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen. Dabei stellen sie aber stark auf die eigene Forschung im Kontext des Konzepts "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" ab und würdigen Umfragen vor 1990 leider nicht näher.

Die folgenden Aufsätze gehen dann auf Organisation und Strategie ein. Dies geschieht zwar auch in den bisher vorliegenden Fallstudien, aber nicht so systematisch und vergleichend wie hier. Hans-Gerd Jaschke blickt auf die Strategien, Alexander Häusler auf die Themen, Heiko Klare und Michael Sturm auf die Aktionsformen und Handlungsangebote, Bianca Klose und Sven Richwin auf die Organisationsformen und Christoph Kopke auf die Wahlkampfakteure. Dabei finden sich wichtige Anregungen, die auch zu neuen Fragestellungen motivieren. Gerade die komparative Perspektive wird damit befruchtet.

Dem folgen Beiträge, die wie von Tim Spier auf Wahlen, von Jan Schedler auf den Bewegungscharakter, von Renate Bitzan auf Geschlechterbilder, von Martin Langebach auf Jugend, von Volker Weiß auf Kultur, von Stefan Dierbach auf Gewalt und Kriminalität oder von Felix Wiedemann auf Religion abstellen. Die letzten Beiträge von Karin Priester widmen sich dem Rechtspopulismus und von Martin Langebach und Jan Raabe der "Neuen Rechten".

Bedauerlich ist, dass auch und gerade angesichts der NSU-Serienmorde kein gesonderter Aufsatz zum Rechtsterrorismus enthalten ist. Auch wäre eine ausführliche Erörterung zu den Ursachen wünschenswert gewesen. Dabei sollten die Ebenen unterschieden werden, denn die Erklärung für einen Gewaltakt muss nicht mit der für Wahlverhalten pauschal deckungsgleich sein. Küpper und Zick schreiben zutreffend: "Mit dem Blick auf die Ursachen wird ein Manko der bisherigen Rechtsextremismusforschung deutlich. Es fehlt eine Forschung, die Theorien diskutiert und ihre Annahmen einer vergleichenden Prüfung der Erklärungsfaktoren unterzieht" (S. 108).

In der Gesamtschau hat man es aber durchaus mit einem nützlichen Handbuch zu tun. Es eignet sich sowohl für Einsteiger wie für Kenner. Dabei sind aber einige Beiträge mehr als ansonsten üblich von den persönlichen Prioritäten geprägt. Dies mag bei Analysen zum Phänomen durchaus verständlich sein, bei einem Forschungsüberblick wäre eine größere Neutralität und Vollständigkeit wünschenswerter.

Fabian Virchow/Martin Langebach/Alexander Häusler (Hrsg.), Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016 (Springer VS), 597 S., 98,99 Euro