Notizen aus Polen

Jahrestag der politischen Wende 1989

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Demonstration in Warschau
Demonstration in Warschau

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WARSCHAU. (hpd) Am 4. Juni 1989 fanden die ersten beschränkt freien Wahlen in Polen. Gemäß dem am "Runden Tisch" erreichten Kompromiss: "Ihr Präsident, unser Premierminister" hat das neugewählte Parlament den engen Berater von Lech Wałęsa, Tadeusz Mazowiecki, zum Regierungschef bestellt. Bisher 26 mal wurde der 4. Juni als das wichtigste Fest der wiedergewonnenen Freiheit von den Bürgern, von den bisherigen Regierungen, von den bisherigen Präsidenten und allen staatlichen Institutionen feierlich begangen. Bis heute.

Lech Kaczyński und seine Leute behaupten seit langem, dass der Kompromiss am Runden Tisch und die darauffolgenden Parlamentswahlen eine Verschwörung der Kommunisten, der Liberalen, der Verräter aus der Reihen der antikommunistischen Opposition und der alten Geheimdienste war, die immer noch in Polen herrschen. Deshalb gäbe es ist keinen Grund, den 4. Juni zu feiern.

Ganz anderer Meinung sind die Teilnehmer der vom "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) für den 4. Juni aufgerufenen Kundgebung. Unter dem Motto "Alle für Freiheit" gingen allein in Warschau 50.000 Menschen auf die Straße. In vielen weiteren Städten im In- und Ausland fanden ähnliche Kundgebungen statt. Unter den Teilnehmenden in der Hauptstadt waren auch zwei Ex-Präsidenten, der Liberale Bronisław Komorowski und der Postkommunist Aleksander Kwaśniewski; die frühere Premierministerin Ewa Kopacz und die Führer der Oppositionsparteien.

Um die gleiche Zeit, als die Bürger ihre Bindung an Freiheit und Demokratie und den Widerstand gegen die regierende, nationalkonservative Partei PiS zeigten, war der Präsident Andrzej Duda im Vatikan bei der Seligsprechung eines weiteren polnischen Heiligen. Die wichtigsten PiS-Politiker und alle Minister nahmen an einem Parteitag der Warschauer PiS teil. Der wichtigste Redner war Jarosław Kaczyński. Er hat seine Kameraden zum Verteidigung der "Guten Veränderung" gerufen: "Wir haben es mit Rebellion zu tun. Die Regierungsgegner und das Verfassungsgericht wollten den Wählerwillen nach Veränderung nicht akzeptieren. Wenn wir einen demokratischen Rechtsstaat haben sollen, dann darf kein Staatsorgan, darunter auch das Verfassungsgericht, Gesetze außer Acht lassen. Die Polen hätten ein Recht auf Wandel."

Zu dem schon reichen Arsenal an Beleidigungen für die demonstrierenden Menschen: geringe Sorte, Diebe, Kommunisten, Gestapomänner usw. ist der neue Terminus dazu gekommen: Rebellen. Deshalb hat Ex-Präsident Komorowski seine Begrüßung der Warschauer Demonstranten mit den Worten begonnen: "Liebe Rebellen!"

Die "rebellierenden" Bürger sind nicht die einzige Sorge der PiS Regierung. Die EU-Kommission verschärfte ihr Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Polen, indem sie eine schriftliche Stellungnahme an Warschau schickte. Diese ist als "vertraulich" eingestuft worden. Die Opposition fordert, zu erfahren, was das Schreiben beinhaltet; die Regierung antwortet, dass das Sache des Parlaments sei und nicht der Regierung. Der Außenminister sagte, dass er die Stellungnahme der Kommission nur flüchtig gelesen hat, weil das auch nicht seine Sache ist. Jarosław Kaczyński hat beim Parteitag über die "sehr weitgehende Einmischung in die internen polnischen Angelegenheiten" gesprochen.

Der Zorn der Bürger spüren auch andere von PiS nominierten hohe Funktionäre. Der neue Vorstand der jetzt verstaatlichten Fernsehen, der die weitgehende Säuberung unter den Mitarbeitern der TV durchgeführt hat, wollte eine Statuette dem Gewinner des wichtigsten polnischen Song-Festivals in Opole überreichen. Das Publikum hat ihn jedoch so laut und so lange ausgepfiffen, das er kein Wort sagen konnte.

Die Leute, die sich nach der Warschauer Kundgebung verabschiedeten, waren besorgt, ob es zu nächster solchen Veranstaltung kommen wird. Es wurde ein neues "Antiterrorismus-Gesetz" angekündigt. Die politischen Kommentatoren warnen, dass die Demonstrationsfreiheit bald Vergangenheit sein kann. Nach dem NATO-Gipfel in Warschau und nach der Begegnung der katholischen Weltjugend und Besuch des Papst in Krakau können Straßendemonstration entweder völlig verboten oder weitgehend eingeschränkt werden. Nicht um sonst hat Kaczyński sie als Rebellen bezeichnet.