Zum 100. Todestag von Jack London

Die missachtete philosophische und politische Dimension eines Schriftstellers

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Jack London (12. Januar 1876 - 22. November 1916)
Jack London

2016 ist gleich in doppeltem Sinne ein Jack London-Jahr: Es jährt sich sowohl sein 140. Geburtstag wie sein 100. Todestag. Der Autor gehört zu den meistgelesenen Schriftstellern der Welt. In Deutschland erschienen seine Romane meist gekürzt, wodurch der Eindruck von einem Jugend- und Spannungsautor entstand. Abenteuergeschichten aus dem Alaska der Goldrausch-Ära schrieb London tatsächlich. Aber die Reduzierung des Schriftstellers auf diese Sicht ist nicht angemessen. Denn sie unterschlägt sowohl die philosophischen Komponenten wie die politische Orientierung seines Werks.

Insofern lohnt die erneute Lektüre von London, wozu moderne und vollständige Übersetzungen motivieren können. Die Erwartungshaltung durch diese Perspektive darf aber nicht zu hoch sein. Ein systematischer Denker war London nicht, sondern ein vielschreibender Schriftsteller. Doch man kann seinen Erzählungen, Romanen und Schriften den Einfluss von Charles Darwin und Herbert Spencer ebenso wie von Karl Marx und Friedrich Nietzsche anmerken.

Doch bevor auf einige Neuausgaben eingegangen werden soll, bedarf es noch eines kurzen Blickes auf das Leben von London: Geboren wurde er am 12. Januar 1876 in San Francisco. Bereits als Kind lernte London die Armut kennen, jobbte in Konservenfabriken und als Zeitungsjunge. Als junger Mann arbeitete er als Austernpirat und auf einem Robbenfänger. 1894 nahm London mit einer Gruppe von Arbeitern an einem Protestmarsch nach Washington teil, ein erstes dezidiertes politisches Engagement. Danach lebte er zeitweise als Tramp. 1896 begann London mit dem Studium, publizierte frühe Erzählungen und wurde Mitglied der Sozialistischen Partei. Ein Jahr später brach er das Studium ab und wurde Goldgräber in Alaska. Aber auch dabei hatte London kein Glück und versuchte sich fortan mit langsam wachsendem Erfolg als Schriftsteller. Es erschienen immer mehr Erzählungen und Romane. Er verdiente gut, war aber trotzdem immer verschuldet. Am 22. November 1916 starb London mit nur vierzig Jahren auf seiner Ranch in Kalifornien.

Ein erster großer Erfolg war "The Call of the Wild" von 1903, der zusammen mit "White Fang" von 1906 zu den "Hunderomanen" zählt. Im ersten Buch "Der Ruf der Wildnis" geht ein Haushund nach verschiedenen Erfahrungen mit den Menschen zu den Wölfen. Im zweiten Roman "Wolfsblut" erfolgt eine entgegen gesetzte Entwicklung: Ein Wolf wird zu einem Haushund. Die Kürzungen der Texte in den Übersetzungen ließen den Eindruck von spannenden Tiergeschichten aufkommen. Dabei wird aber die Frage nach dem Leben im Spannungsfeld von Wildnis und Zivilisation verkannt. London ist dabei nicht einseitig und parteiisch. Er beschreibt nüchtern die Entwicklungen, macht aber auch den schlechten Umgang der Menschen mit den Tieren deutlich. Die Hauptfiguren, die Hunde, romantisierte er dabei nicht. Gleichwohl wird durch die Darstellung ihrer Erfahrungen und ihres Schicksals deren Individualität deutlich, was für ein entwickeltes Bewusstsein von dem steht, was die Debatten um Tierethik erst in den letzten Jahren breiter thematisiert haben.

Der größte Erfolg von London war der 1904 erstmals erschienene Roman "The Sea-Wolf", der auch bis in die Gegenwart hinein durch zahlreiche Verfilmungen bekannt ist. Darin wird der Ich-Erzähler in Seenot von einem Schiff gerettet. Mit dessen Kapitän steht dem Idealisten und Moralisten ein Machtmensch und Nihilist gegenüber, woraus sich das Konfliktverhältnis beider Personen in "Der Seewolf" ergibt. Kennt man die Biographie und das Denken von London, dann kann man ihn auch in beiden literarischen Figuren wieder entdecken. "Macht ist Recht", so der Kapitän, und "Schwäche ist Unrecht". Derartige sozialdarwinistische Anklänge waren auch London eigen, gleichwohl stand der überzeugte Sozialist letztendlich auf der anderen Seite. Denn die Brutalität und Gewalt des Kapitäns lehnte er für die menschliche Gesellschaft ab. Später schrieb London: "Ich habe Nietzsche und seine Übermenschen-Idee angegriffen ... niemand hat es entdeckt, dass dies Buch ein Angriff auf die Übermenschen-Philosophie ist." Er habe sich gegen einen falschen Individualismus wenden wollen.

Jack London
Jack London 1914, Foto: gemeinfrei

1910 erschien mit "Burning Daylight" ein ebenfalls heute noch bekannter Roman, der in der deutschen Übersetzung als "Lockruf des Goldes" Verbreitung fand. Wie der Titel ahnen lässt, spielt die Handlung während des Goldrausches in Alaska. Zumindest gilt dies für den Beginn, wo die Hauptfigur mit dem Spitznamen "Burning Daylight" durch einen Fund reich wird und zum erfolgreichen Unternehmer aufsteigt. Dadurch ändert sich aber sein Charakter, wird er doch zu einem geldgierigen Materialisten. Erst durch die Liebe zu einer Frau ändert sich die Einstellung der Hauptfigur. Damit gerät die Handlung fast an den Rand des Kitsches. Deutlich artikuliert sich in dem Roman aber eine kapitalismuskritische Haltung, wobei London die Hauptfigur in der Goldrausch-Ära in der Wildnis positiv, aber in der Geldgier-Ära in der Zivilisation negativ schildert. Dadurch – und nicht nur dadurch - entsteht der Eindruck, dass der Schriftsteller eine sozialdarwinistische Denkweise zwar für die menschliche Gesellschaft ablehnte, sie aber für die natürliche Umwelt durchaus gut hieß.

London wurde auch durch Erzählungen und nicht nur durch Romane bekannt. In "Die besten Geschichten. Nordland-Storys" finden sich 14 Texte, die alle Alaska-Ereignisse im Konfliktfeld von Mensch und Natur thematisieren. Zwei davon seien beispielhaft hervorgehoben: In "Die Liebe zum Leben" geht es um einen erschöpften und hungrigen Mann im Schnee, der Rettung in der wohl nahegelegenen Zivilisation sucht. Ein ebenso erschöpfter und hungriger Wolf hofft in ihm Nahrung für sein eigenes Überleben zu finden. Dabei artikuliert sich in aller Deutlichkeit Londons Denken, das in den Kategorien eines Darwinschen "Kampfes ums Dasein" in der Natur kreiste. Die Erzählung "Der Bund der alten Männer" stellt eine Gerichtsverhandlung gegen einen Indianer in den Mittelpunkt. Dieser hatte mehrere Weiße getötet und berichtete auf die Frage nach den Motiven über die Folgen der Kolonialisierung für sein Volk. Dadurch gerieten sicher geglaubte Auffassungen zu Opfer und Täter ins Wanken, wobei London das Schicksal der Ureinwohner thematisierte.

Aus dem Nachlass von London erschien 1963 noch ein "Agententhriller", so kündigt jedenfalls der deutsche Verlag die Neuausgabe von "The Assassination Bureau" unter dem Titel "Mord auf Bestellung" an. Die Idee dafür hatte er dem später berühmten Schriftsteller Sinclair Lewis abgekauft, dann mit dem Roman begonnen, sich dabei aber inhaltlich verzettelt und das Projekt liegen lassen. Robert L. Fish beendete ihn im angeblichen Sinne von London. Darin geht es um eine Einrichtung, die auf Bezahlung bestimmte Personen umbringt, welche durch Brutalität, Korruption oder Unterdrückung unmenschlich wirkten. Die Hautfigur will nun den Leiter dieses Unternehmens beseitigt sehen. In einem Gespräch macht er ihm deutlich, dass zwar die einzelne Tat möglicherweise legitimierbar ist, aber nicht das damit entstandene System der Tötungen. Der Leiter des Unternehmens fühlt sich argumentativ geschlagen und nimmt dann den Auftrag zu seiner eigenen Ermordung als eben unmenschliches Wesen an. Indessen: Es ist nicht Londons bester Roman.

Beachtenswert sind aus politischen Gründen heute noch Publikationen von London, die nicht mehr neu aufgelegt wurden. Dazu gehört das Buch "The Iron Heel", also "Die eiserne Ferse", das 1907 als Zukunftsroman erschien. Darin geht es um die politische Entwicklung in den USA zwischen 1912 und 1932, die der bekennende Sozialist London als Konflikt zwischen der Arbeiterbewegung und der Kapitalistenklasse beschrieb. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Sozialistenführer, der erkennbar Eigenschaften von London selbst trägt. Nachdem durch Demonstrationen und Streiks immer mehr Arbeiter aufbegehren, so entwickelte der Autor die Ereignisse weiter, schlagen die Herrschenden zurück. Die damit gemeinten Finanzoligarchen und Trusts, eben die "eiserne Ferse", bauen dabei mit Hilfe des Staates ein brutales Unterdrückungsregime auf. Der mehr als einfache Agitationsschrift denn als literarisches Werk konzipierte Roman wies gleichwohl eine beachtenswerte Perspektive auf, nahm er doch die Entwicklung des europäischen Faschismus literarisch vorweg.

Die Betonung der philosophischen und politischen Dimension von Jack London sollte nicht den Eindruck erwecken, als ob es sich um einen gründlichen Denker über Ethik und Gesellschaft gehandelt habe. London war Schriftsteller, er schrieb für Geld seine Zeilen. Darüber hinaus gab es in seinen Auffassungen zu politischen Fragen durchaus Widersprüche. Gleichwohl machen seine Erzählungen und Romane, aber auch seine Essays und Kommentare eine tiefe Prägung durch bestimmte Philosophen deutlich. Dabei dachte er Marx und Nietzsche zusammen. Allein dies passt in der inhaltlichen Ausrichtung nicht, allenfalls bei einer subjektiven Deutung. London war daher mehr ein philosophischer Eklektiker mit persönlicher Note. Nur so kann man Evolutionstheorien und Sozialismus, Machtrausch und Solidarität zusammendenken. Die Existenz von "Schwachen" und "Starken" sah der Schriftsteller als naturgegeben an. Nur sollten Gerechtigkeit und Glück für alle Menschen durch Umverteilung wie im Wohlfahrtstaatsmodell möglich werden.

Jack London, Der Ruf der Wildnis. Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff, München 2013 (Deutscher Taschenbuchverlag), 160 S., 8,90 Euro
Jack London, Wolfsblut. Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff, München 2013 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 304 S., 9,90 Euro
Jack London, Der Seewolf. Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff, München 2014 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 416 S., 9,90 Euro
Jack London, Lockruf des Goldes. Neu übersetzt von Lutz-W. Wolff, München 2015 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 416 S., 12,90 Euro
Jack London, Die besten Geschichten. Nordland-Storys. Neu übersetzt von Herbert Schnierle-Lutz, Köln 2016 (Anaconda-Verlag), 320 S., 4.95 Euro
Jack London, Mord auf Bestellung. Ein Agententhriller. Vervollständigt von Robert L. Fish, übersetzt von Eike Schönfeld, Zürich 2016 (Manesse-Verlag), 263 S., 19,90 Euro
Jack London, Die eiserne Ferse. Übersetzt von Christine Hoeppener, Berlin 1984 (Ullstein-Verlag), 240 S. nur noch antiquarisch.