Internationale Studie zeigt Einstellungen in muslimischen Gesellschaften

Muslimische Mehrheiten für gesetzliche Geltung des Korans auch in säkularen Staaten

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Kaaba mit Umhang (2010)
Kaaba mit Umhang (2010)

BERLIN. (hpd) Eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center (USA) vom 27. April 2016 zu den politischen Einstellungen muslimischer Menschen zeigt einen länderübergreifenden Geltungsanspruch des islamischen Rechts auch für säkulare Rechtsordnungen. Dieser politische Anspruch zur Verbindlichkeit des Islams ist jedoch je nach Land, Altersgruppe und Bildungsschicht unterschiedlich ausgeprägt.

Die Forscher befragten mehr als 10.000 Menschen in zehn Ländern mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil. Für eine strikte Ausrichtung der Gesetze des Staates am Koran trat die Mehrheit der Befragten in vier von zehn Ländern ein: Pakistan (78 Prozent), Palästinensische Gebiete (65 Prozent), Jordanien (54 Prozent) und Malaysia (52 Prozent).

In acht der zehn untersuchten Länder sprachen sich mehr als 50 Prozent der Befragten für eine strikte oder zumindest an den Werten und Prinzipien des Korans orientierte Gesetzgebung aus. Diese Länder sind zusätzlich der oben genannten: Senegal, Indonesien, Libanon und die Türkei.

Bei den zitierten Prozentzahlen handelt es sich nicht um einen einheitlichen, massiven Block der muslimischen Auffassungen. Unterschiede gibt es abgesehen von Ländern auch je nach Altersgruppe und Bildungsschicht. So wünschen zum Beispiel in der Türkei insbesondere junge Menschen eine säkulare Ausrichtung des Rechtswesens. Länderübergreifend befürworten vor allem muslimische Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen einen größeren Einfluss des Islams auf ‚Recht und Ordnung‘ im Staat.

Dennoch bleibt in der Gesamtschau, dass sich in nur einem Land, Burkina Faso, eine deutliche Mehrheit gegen eine Beeinflussung der Gesetze durch den Koran äußerte. Auf Grund aktueller Ereignisse bleibt abzuwarten, wie sich diese Einstellungen in der Bevölkerung verändern werden. Denn die muslimisch geprägte, gleichwohl tendenziell säkulare Gesellschaft dieses afrikanischen Landes ist neuerdings zu den Zielen islamistischer Terroranschläge hinzugekommen (Ouagadougou 2016).

Bei den Befragungsergebnissen sind zwei Aspekte zu berücksichtigen:

Erstens fiel der Anteil der Muslime unter den Teilnehmenden der Befragung je nach Land unterschiedlich aus: von 100 Prozent Muslimen unter den Befragten in den palästinensischen Gebieten bis zu 50 Prozent der Befragten in Nigeria. Die befragten Nicht-Muslime treten eher nicht für die Geltung des Korans im staatlichen Rechtswesen ein. Während 52 Prozent der nigerianischen Muslime dafür sind, wären damit nur 2 Prozent der Personen einverstanden, die sich in der Befragung als nigerianische Christen zu erkennen gaben. Wenn man daher diesen Faktor der Nicht-Muslime in den Befragungsgruppen gewichtet, so stehen die politischen Geltungsansprüche der muslimischen Gemeinschaften in Nigeria, Libanon und Burkina Faso denen aus den anderen Länder nicht wesentlich nach, und wären gleichwohl durch weitere Untersuchungen zu prüfen.

Zweitens beschränkte sich die Befragung nur auf die Vorgaben des Korans („How much should the Quran influence our country’s laws?“). Dieses Buch bietet jedoch nur einen Teil des religiösen Gesetzes des Islams. Das komplette Gesetz des Islam wäre die Scharia, welche neben dem Koran auch die Verhaltensweisen (Hadithe) des Religionsgründers umfasst. Insbesondere die daraus resultierenden Vorgaben zum Strafrecht, oder beispielsweise auch zum Vermögensrecht sowie zum Familien- und Erbrecht sind für die Rechte von Anders-, Nicht-, und Nicht-Mehr-Gläubige in der Regel problematisch. So ist eine strikte, das heißt wörtliche, Befolgung der Vorgaben aus dem Vorderen Orient des 7. Jahrhunderts mit zentralen Verfassungsprinzipien wie vor allem der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und den Menschenrechten unvereinbar.

Aus säkular-humanistischer Sicht verdeutlicht die Studie: Weltweit ist derzeit nur in fünf Ländern das islamische Gesetz in der Verfassung verankert. In den Islamischen Republiken Afghanistan, Gambia, Iran, Mauretanien und Pakistan. Nur eine, nämlich Pakistan, war Untersuchungsgegenstand. Daher zeigen diese politischen Einstellungen unter Muslimen den enormen strukturellen Druck, der durch das islamische Gesetz auf die säkularen Verfassungsprinzipien zahlreicher Länder ausgeübt wird.