Ridley erforscht mit Vogelmalerei Wissenschaftsgeschichte

Die Republik der Vogelgelehrten

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Rembrandt van Ryn: Selbstbildnis mit toter Rohrdommel - Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Ausschnitt)
Selbstbildnis mit toter Rohrdommel

BERLIN. (hpd) Vogelbilder können Weltbilder enthalten. Man muss sie nur zu lesen verstehen wie der Ire Hugh Ridley, langjähriger Professor für Germanistik am Dublin University College. Er hat nun nach einem Buch "Darwin becomes Art" "Eine Geschichte der Vogelmalerei in Deutschland. Ornithologie, Illustration und Kunst 1508 - 1914" geschrieben. Sie führt von Dürer über den großen Köthener Ornithologen der Goethe-Zeit Johann Friedrich Naumann bis zu Nolde.

Die Cross-over-Fälle sind immer spannend. Offenbar auch für Johann Friedrich Naumann, der den sechsten Band seiner zwölfbändigen "Naturgeschichte der Vögel Deutschlands" mit einem Frontispiz schmückte, das er mit "Bastard von Birkhuhn und Moorschneehenne" untertitelte. Was heißt hier Arten, wenn das möglich ist? Hybridisierung würden wir heute sagen. George Louis Leclerc, Comte de Buffon stieß als erster auf sie. Langjährige Beobachtung hatten ihn auf die Idee der "Großen Kette der Lebewesen" gebracht.

Denn: "Die Natur macht keine Sprünge", schrieb Buffon 1771. So eine Übergangsform zwischen Fisch und Säuger stellten für ihn die Delphine dar. Jedes Tier sei auf seine Weise an die Natur angepasst. Buffon glaubte an eine Harmonie in der Tierwelt, die Übereinstimmung von Form und Funktion. Hugh Ridley: "So sucht Buffon durch seine Feldarbeit den Zusammenhang zwischen Charakter, Verhalten und Anatomie aufzudecken."

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Aus dem außerordentlichen Sehvermögen der Vögel ergebe sich ihr "Weltbild". "Ihre Gehirne stecken voller Bilder von weiten Entfernungen, voller Landkarten. Die Fähigkeit der Vögel, in Bildern zu denken, ist für Buffon ein weiterer Beweis ihrer tiefen Verwandtschaft mit den Menschen", schreibt Ridley. Buffon bezeichnet die Vögel als ein "ernsthaftes und wohlgesittetes Volk". Nur ein Problem hat er mit ihnen, ihre verbreitete, wahllose Kopulation über die Artgrenzen hinweg.

Wie fließend die Artgrenzen sind, wusste man seit Darwin. Neo-Darwinisten sprachen später gern davon, dass eine Art ihre Vollkommenheit erreiche und nach dem Aufstieg ein Stadium des Niedergangs, der Degeneration durchmache. Vogeldarstellungen, die dem entsprechen, sind die in solchen Handbüchern, die zur Bestimmung einer Art Exponate mit der größtmöglichen Summe an Details wiedergaben. Die Exemplare isoliert auf weißem Grund. Am schönsten tat das immerhin Johann Susemihl in Christian Ludwig Brehms "Lehrbuch der Naturgeschichte der europäischen Vögel". Eine Vater-Sohn Geschichte: dieser war der Vater Alfred Brehms.

Natürlich gewann man die Kenntnisse damals überwiegend durch geschossene Individuen. Die Naumanns, der Vater, der ein Buch "Der Vogelsteller" schrieb – wieder eine Vater-Sohn-Geschichte – und sein Sohn, der die unendlich vielen Abbildungen anfertigte für die erweiterte "Naturgeschichte der Vögel", gaben kein Bild in Druck, für das nicht mehrere Exemplare geschossen wurden: Männchen, Weibchen, Jungtiere und ältere. Insofern ist die Entdeckung der Vielfalt der Vogelarten in Deutschland auch ein trauriges Kapitel.

Und so war es von Anfang an. Dürers wunderbares "Käuzchen", signiert 1508, ist - an den blinden Augen ist es unverkennbar abzulesen – nach einem toten Vogel angefertigt worden. Und doch zeigt es zum ersten Mal einen Vogel, der nicht Stellvertreter, Symbol oder Requisit der Menschenwelt ist. Dürer erkundet mit geradezu wissenschaftlicher Neugier diesen kleinen Raubvogel und stellt ihn als Zentrum in seine eigene Welt.

Der Vogel und der ihn umgebende Raum, in seiner Umwelt und wie er mit ihr interagiert oder der Vogel als isolierter Repräsentant seiner Art, als Träger einer Summe von Merkmalen, das war über 500 Jahre lang das Spannungsfeld, in dem sich die Vogelmalerei bewegte.

Der Vogel als individuelles Wesen, dafür schienen zunächst die Künstler eher einen Sinn zu haben als die Wissenschaftler. Wie Rembrandt, der sich selbst mit einer damals als Unglücksvogel geltenden Rohrdommel abbildet – geheimnisvoll unverstanden, prächtig und zwielichtig beide auf dem Bild. Verbirgt sich der Künstler hinter dem toten Vogel in seiner Hand oder verweist er auf ihn? Oder wie Jean-Baptiste Oudry, der ganz barock königliche Geschöpfe wie Kraniche als traurige Beute höfischen Jagdfiebers zeigt oder stolzierend inmitten einer fürstlichen Menagerie in Schwerin.

Ridley stellt die These auf, dass das Prinzip Menagerie bis in die Taxonomie und ornithologische Systematik hineingewirkt haben könnte. Noch heute beginnt fast jedes Vogelbuch mit den königlichen Greifvögeln und schließt mit den Lauf- und Wasservögeln.

Wonach die Arten klassifiziert werden sollten, das stand lange nicht fest. Nach ähnlichem Verhalten, wie Buffon vorschlug, nach Ähnlichkeit der Sinneswahrnehmungsfähigkeit oder der Anatomie? Man entwarf biologische Tabellen ähnlich wie in der Chemie und suchte entsprechend nach noch unbekannten Arten.

Es dauerte lange, bis die Vögel nicht mehr nur aus der Sicht politischer Hierarchie,sondern die Welt aus der Sicht der Vögel gemalt werden konnte. Wie Bruno Liljefors es Ende des 19. Jahrhunderts es mit seiner "Eule in den tiefen Wäldern" tat. Eine Welt, in der der Mensch nicht vorkommt. Der schwedische Künstler interessierte sich nicht zufällig für die erste Vogelfotografie. In ihr malte sich der Vogel erstmals selber. Sie wurden aber auch herausgenommen aus Zeit und Raum. Fixiert wie durch den Artbegriff. Allerdings in seiner Einmaligkeit.

Liljefors betätigte sich auch als Naturfotograf. Und in der Bewegung zum Schutz der Landschaft und Avifauna. "Allein in Blekinge, 500 Kilometer südlich von Stockholm wurden im Jahr 1907 siebenundneunzig Adler geschossen", notiert Ridley. Später ging Liljefors nach Deutschland.

Dagegen sind Emil Noldes rote Papageien im "Tropenwald" aus dem Jahr 1914 schon fast als vitalistischer Rückgriff zu bezeichnen. "Lebenskraft pur jenseits der physikalischen Gesetze", wie Ridley es fasst.

Hugh Ridley: "Eine Geschichte er Vogelmalerei in Deutschland. Ornithologie, Illustration und Kunst 1508 - 1914", Wehrhahn Verlag Hannover 2016, 256 S. 28 Euro