In Thüringen hängt der Haussegen schief

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Thüringer Landtag in Erfurt. (Foto: Landtag/Tom Kidd)

ERFURT. (hpd) Ungeheuerliches ist am 10. Dezember 2010 im Thüringer Landtag geschehen: Gegen den erklärten Widerstand der christlichen Kirchen beschloß das Hohe Haus mit der von zwei evangelischen Pastoren (Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Bildungsminister Christoph Matschie) geführten CDU-SPD-Koalition ein neues „Gesetz über Schulen in Freier Trägerschaft“. 

„Qualität und Vielfalt der freien Schulen in Thüringen sind gesichert. Der Freistaat steht zu seiner Verantwortung für ein plurales Bildungssystem und fördert die freien Träger weiterhin angemessen.“ Das erklärte Thüringens Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Pastor Christoph Matschie, noch am gleichen Tage gegenüber der Presse.

Matschie unterstrich, dass das neue Gesetz wesentliche Verbesserungen für die Organisation der freien Schulen bringe. So gebe es keine Genehmigungspflicht mehr für Schulleiter und auch das Genehmigungsverfahren werde einfacher. Der Minister gibt sich überzeugt, daß die freien Schulen trotz einer moderaten Absenkung der Fördersätze im allgemeinbildenden Bereich von 85 auf 80 Prozent der entsprechenden staatlichen Ausgaben eine auskömmliche Finanzierung erhalten. Eine 100-Prozent-Förderung könne es nicht geben: „Im staatlichen Bildungssystem müssen Aufgaben erledigt werden, die freie Träger nicht haben.“ Bei den Freien Schulen handele sich um ein zusätzliches Bildungsangebot, für das sich Eltern frei entscheiden, weshalb sie auch einen eigenen Anteil zur Finanzierung leisten. Das sei in der ganzen Bundesrepublik so. Insgesamt können die 156 Schulen in freier Trägerschaft (mit derzeit 23.200 Schülern) im kommenden Jahr mit Zuschüssen von 129 Millionen Euro rechnen. In Thüringen gibt es 156 freie Schulen mit 23.200 Schülern.

Mit den neuen Finanzierungssätzen für die freien Schulen belege Thüringen im bundesweiten Vergleich immer noch gute, bei Regel- und Förderschulen sogar vordere Plätze. „Gemessen daran ist die Kritik von einigen freien Trägern überzogen“, heißt es weiter das dem Ministerium. Die jetzigen Maßnahmen seien geeignet, künftige Kostensteigerungen zu begrenzen. Die Einsparung 2011 im Vergleich zu 2010 betrage lediglich 0,1 Prozent der sich auf rund 130 Millionen Euro belaufenden Gesamtausgaben. Minister und Pastor Matschie wörtlich: „Das kann kein Schlag ins Kontor sein. Ich empfehle allen, hier die Kirche im Dorf zu lassen.“

Unterstützung haben die Freien Schulträger, hinter denen sich vor allem die evangelischen und die katholischen Schulen verstecken, von der kleinsten Oppositionspartei im Landtag erhalten. So kündigten die GRÜNEN an, notfalls gegen das Vorhaben vor Gericht zu ziehen. Für die einseitigen Einsparungen gebe es keine Legitimation, sagte ihre Bildungsexpertin Astrid Rothe-Beinlich (lt. Landtagshandbuch evangelischen Glaubens). Ihrer Meinung nach sei das Land sei dazu verpflichtet, die freien Schulen wie die staatlichen Schulen zu finanzieren. "Die freien Schulen leisten 100 Prozent ihres Auftrages und müssen auch zu 100 Prozent finanziert werden", forderte sie. Eigentlich müsse die Förderung ausgebaut statt gesenkt werden.

Aha, fragt denn da verdutzt Otto-Normalbürger, wenn die Schulen zu 100 % öffentlich, also staatlich, finanziert werden müssen, warum werden sie dann nicht auch staatlich getragen?

Schon im Vorfeld hatte die „Freien Träger“ gegen die Neufassung des Gesetzes mobil gemacht. So forderte der Sprecher des Arbeitskreises freier Schulträger in Thüringen, Winfried Weinrich unerbittlich. „Wir erwarten eine Gleichbehandlung von freien und öffentlichen Schulen.“ Über ihn ist auf der Homepage des Bistums Erfurt zu erfahren: „Winfried Weinrich ist als Leiter des Katholischen Büros Erfurt bekannt, der die Interessen der katholischen Bischöfe in Thüringen im politischen Raum vertritt.“

Also vertritt Weinrich nicht primär die Interessen von Schülern und Eltern...

Weit aus dem Fenster gelehnt hatte sich auch die „Evangelische Schulstiftung in Mitteldeutschland“, nach eigenen Angaben größter nichtstaatlicher Schulträger. Ihr Stiftungsvorsitzende, Kirchenrat Marco Eberl, verlangte vom pastoralen Minister, er solle mehr Freiheit und Eigenverantwortung in der Bildungspolitik zulassen.

Sowohl der katholische, als auch der evanglische Sprecher schürten und schüren Ängste. Durch die unvermeidbaren Schulgelderhöhungen werde die weitere Entwicklung einer Schullandschaft gefährdet, die für alle Kinder unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern zugänglich ist, hieß es vom bereits oben erwähnten Ordinariatsrat Winfried Weinrich. Und der Bildungsdezernent der mitteldeutschen Kirche, Oberkirchenrat Christhard Wagner, wurde noch deutlicher: Zum Ausgleich der entstehenden Defizite müsste das Schulgeld um 531 Euro pro Schüler und Jahr erhöht werden, was von den Eltern "kaum zu schultern" sei.

Aha, ist es nicht so, oder sollte es nicht eigentlich so sein: Jemand, der eine Freie Schule betreiben möchte, setzt dafür auch seine eigenen finanziellen Mittel (Vermögenserträge, Mitgliedsbeiträge, Spenden) und falls das nicht ausreichen sollte, erhebt er Schulgeld (man beachte: es MUSS ja niemand eine freie oder private Schule besuchen!), und falls das immer noch nicht reicht, beantragt er Zuschüsse von der öffentlichen Hand.

Aber auch in diesem konkreten Falle scheint das Prinzip zu greifen: Wo Kirche drauf steht, ist zumindest finanziell Kirche kaum drin. Man läßt sich stattdessen ungeniert „sein“ gutes Werk vom Staat bezahlen. Aber in die Bildungsinhalte hat natürlich niemand dreinzureden, denn die Kirche MUSS und WILL ja ihrem Missionierungsauftrag verstärkt nachkommen. Und wo und wie geht das wohl besser, als über fast ausschließlich staatlich finanzierte kirchliche Kindergärten oder Schulen.

Siegfried R. Krebs