Ohne Gott ist alles erlaubt? – Religionen

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Collage F. Lorenz

(hpd) Das Argument, laut dem Atheisten die schlimmsten Mörder der Geschichte seien, kommt oft, wenn die historischen Verbrechen des Christentums oder anderer Religionen in einer Diskussion aufgezählt werden. Weltweit haben Religionen jedenfalls einen unterschiedlichen Stellenwert und ihre Symbolik wird auch im nichtreligiösen Kontext genutzt, wie hier am Beispiel Osteuropa, der DDR und Asien aufgezeigt werden wird.

Religionen in Osteuropa

In den kommunistischen Staaten blieben die Atheisten immer eine Minderheit. Der staatlich verordnete Atheismus konnte sich mangels Bildung in der Bevölkerung niemals durchsetzen. Da knapp Dreiviertel der Bevölkerung in den kommunistischen Staaten ihre alte Religion beibehielten, machten die Atheisten nur eine Minderheit aus. Die Statistik sagt uns, dass notwendigerweise auch viele Theisten eine Mitschuld an den Verbrechen der kommunistischen Staaten tragen. (Gleichzeitig aber auch, dass Atheisten in den kommunistischen Staaten auch in der Opposition und unter den Opfern vertreten waren. Beispielsweise war die Freidenkerorganisation, deren Mitglieder bereits unter Hitler verfolgt wurden, in der DDR ebenfalls verboten.)

Zu Beginn setzten die Kommunisten sogar bewusst auf christliche Symbolik. Ein Propagandaplakat aus dem Jahr 1918 zeigt Trotzki als Ritter, der den kapitalistischen Drachen niederringt. Über seinem Kopf scheint ein gelber Stern, der an einen Heiligenschein erinnert. In den Zeiten des Bürgerkrieges griffen die Kommunisten den Heiligenkult um St. Stephan auf, der fest in der russischen Volksseele verankert ist.

Stalins Übereinkünfte mit der Kirche

Als Stalin von Hitler angegriffen wurde, war er nicht nur auf die Hilfe der USA angewiesen, sondern benötigte auch geistlichen Beistand. Die Soldaten der Roten Armee waren nur wenig begeistert, eine Diktatur, unter der sie selbst gelitten hatten, zu verteidigen. Als neue Parole gab Stalin aus, dass es nun gelte, Mütterchen Russland zu verteidigen. Die kommunistische Ideologie, die im Volk nur wenig Zustimmung fand, wurde durch den alten Patriotismus ersetzt. Folgerichtig erlebte auch die Kirche, die zuvor verfolgt wurde, eine Wiedergeburt. Den Soldaten, die für Stalin halb Europa eroberten, sprach die Kirche Mut zu.

Nach Ende des Krieges war Stalin ebenfalls daran gelegen, mit der Kirche zu einer Übereinkunft zu gelangen. Diese sah so aus, dass der ungarische Primas und Kardinal József Mindszenty ins Gefängnis gesteckt und gefoltert wurde, bis seine Bischofskollegen in einer öffentlichen Verkündigung den Kommunismus lobten. Zwar lässt sich der Kirche in diesem Fall nicht vorwerfen, Stalin freiwillig unterstützt zu haben, doch zeigt sich, dass der Diktator seine Herrschaft in Ungarn eben nicht explizit atheistisch verstanden haben wollte.

Außenpolitisch gab sich Stalin in seinen letzten Jahren betont kirchenfreundlich, auch wenn seine Stellungnahmen zur Religionsfreiheit nicht ganz den Tatsachen in der Sowjetunion entsprachen.

Sein wichtigster westeuropäischer Helfer bei dieser Propagandaoffensive war Hewlett Johnson, der „rote Dekan“ der Kathedrale von Canterbury. Dieser hatte sich kurz nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion dafür ausgesprochen, Stalin mit Waffen zu unterstützen und hatte wohl den größten Anteil daran, dass die Kirchen im kommunistischen Staat wieder geöffnet wurden. Nach Kriegsende wandte er sich gegen die Blockbildung zwischen Ost und West und wurde daher medienwirksam mit dem „Internationalen Leninpreis für die Festigung des Friedens zwischen den Völkern“ ausgezeichnet. Als Stalin starb, organisierte die KPdSU eine Beerdigungszeremonie, zu der auch Kirchenvertreter geladen wurden. Diese lobten Stalin in den höchsten Tönen, wiesen darauf hin, dass er die ganze Welt vor dem Faschismus gerettet und auch in Fragen der Kultur und Wissenschaft über einen genialen Weitblick verfügt habe.

Ungarn und Polen

In Ungarn und auch in Polen stellten mehrere Geistliche ihre Einblicke in das Privatleben der Bürger der Staatssicherheit zur Verfügung. Auch Bischöfe kooperierten mit den Kommunisten. Den größten Skandal verursachte dabei der Warschauer Erzbischof Stanisław Wielgus, der 2007 nur wenige Tage nach Amtsantritt wegen Kontakten zur polnischen Staatssicherheit und Spitzelvorwürfen zurücktrat. Vermutlich spionierten bis zu 15 % der polnischen Kleriker ihre Mitmenschen aus. Sie stellen keine Mehrheit dar und die Frage, ob signifikant mehr Kleriker als der Bevölkerungsschnitt spitzelten, bleibt offen. Ebenso ist nicht geklärt, ob die Priester aktiv spionierten oder ob sie als Informanten galten, weil ihre Telefone angezapft wurden. Es lässt sich nicht sagen, ob sie als repräsentativ für die gesamte Kirche anzusehen sind.

Jedenfalls wurde Wielgus von weiten Teilen der katholischen Kirchenhierarchie des Landes verteidigt. Beispielsweise sah sein Amtsvorgänger Jozef Kardinal Glemp in den Enthüllungen eine antikirchliche Hetze. In seinen Augen hatte sich Wielgus nichts zuschulde kommen lassen. Obwohl Glemp ein prinzipieller Gegner der kommunistischen Partei war und sich mehrfach als Kritiker der politischen Verhältnisse hervortat, konnte er aus seinem Nationalismus heraus nicht Position für die deutsche Minderheit in Polen beziehen. Mehrfach bestritt er, dass überhaupt eine nennenswerte Zahl Deutscher in der Volksrepublik lebte, um die man sich Sorgen machen müsse.

Tschechoslowakei und Sowjetunion

Auch der langjährige Vorsitzende der slowakischen Bischofskonferenz, Jan Sokol, sah sich mit schwerwiegenden Anschuldigungen konfrontiert. Er hatte in den 1980er Jahren mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst zusammengearbeitet und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in seinen Predigten die Regierungszeit von Staatspräsident Jozef Tiso, der mit dem Deutschen Reich kollaborierte, als Periode des Wohlstands für die Slowaken gelobt.

Die zahlreichen Kriegsverbrechen, die die Rote Armee im Frühjahr 1945 beging, können nicht als explizit kommunistisch verstanden werden. Massaker, wie beispielsweise in Nemmersdorf, die von russischen Soldaten verübt wurden, erklären sich hauptsächlich aus den Rachegelüsten der jungen Männer, von denen viele durch Hitlers Handlanger Familienangehörige verloren hatten. Zum Teil wurden SS-Mitglieder aufgrund der Tatsache, dass sie eine Blutgruppentätowierung trugen, auf der Stelle erschossen. Vergessen werden darf nicht, dass die kommunistische Propaganda ein Zerrbild der Deutschen erstellte, dass Stalin selbst die zwangsweise Umsiedlung von mehr als 10 Millionen Deutschen angeordnet hatte und dass die Kriegsverbrechen auf russischer Seite im kommunistischen Staat nur schleppend bestraft wurden. Dennoch wurden die Morde und Vergewaltigungen nicht von Stalin befohlen. Der Rotarmist, der sich über die Menschenrechte hinwegsetzte, tat dies freiwillig. Selbstverständlich wurden viele der Verbrechen auch von atheistischen Politkommissaren begangen. Die meisten Mörder der Roten Armee stammten jedoch aus dem Volk und waren somit russisch-orthodox.