Ohne Gott ist alles erlaubt? - Atheistische "Helden"

(hpd) Das Argument, laut dem Atheisten die schlimmsten Mörder der Geschichte seien, kommt oft, wenn die historischen Verbrechen des Christentums oder anderer Religionen in einer Diskussion aufgezählt werden. Daher werden wir nun – quasi zum Ausgleich – einen Blick auf atheistische "Helden" werfen: Menschen, die explizite Atheisten oder Agnostiker sind und der Menschheit Gutes gebracht haben und bringen.

 

Angenommen, dass die größten Mörder der Menschheitsgeschichte tatsächlich allesamt Atheisten waren, heißt dies nicht automatisch, dass Atheisten nicht dazu in der Lage wären, Gutes zu tun. Tatsächlich gibt es aber mehrere Menschen, die auch ohne den Glauben an Gott Großes leisteten.

Die Bill & Melinda Gates Foundation beispielsweise verfügt über 40 Mrd. $, die von den atheistischen Multimilliardären Bill Gates und Warren Buffett zur Verfügung gestellt wurden. Die Stiftung unterstützt Projekte in der ganzen Welt zur Bekämpfung von Krankheiten oder Förderung von Bildungseinrichtungen. Keine andere Privatperson wendete derart viel Geld für humanitäre Zwecke auf. Zwar gibt es vielfältige Kritik an Prinzipien und Zielen der Stiftung (auf die hier aber nicht genauer eingegangen wird), doch wer pauschal alle Verbrechen von Atheisten dem Atheismus anlastet, muss gleichzeitig genauso die guten Taten von Atheisten akzeptieren. Außerdem können vergleichbare Kritikpunkte auch bei religiösen humanitären Organisationen aufgeführt werden.

Der schottisch-amerikanische Industrielle Andrew Carnegie gilt als einer der reichsten Männer und größten Philantrophen aller Zeiten. Gemäß seiner Maxime, dass ein Mann, der reich sterbe, in Schande sterbe, setzte sich Carnegie für mehrere humanitäre Projekte ein. Viele Bibliotheken und Universitäten erhielten reichhaltige Fördermittel und der Vorsitzende von Carnegies Stiftung für die Erhaltung des Weltfriedens wurde mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Auch Albert Einstein war in den letzten Jahren seines Lebens Atheist, wie aus seinem erst kürzlich bekannt gewordenen Briefwechsel mit dem Philosophen Erich Gutkind hervorgeht. Der berühmte Physiker beschränkte sich nicht auf sein eigenes Arbeitsgebiet, sondern betätigte sich auch politisch. Nachdem er Europa wegen des Machtantrittes Hitlers verlassen hatte, wurde er in den USA einer der geachtetsten Gegner des Nationalsozialismus. Zeitlebens trat er gegen Krieg, politische Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit ein.

Alan Turing war einer der bedeutendsten Informatiker der Geschichte. Sein Wirken beeinflusste maßgeblich die Computertechnologie, die heute unser Leben prägt. Während des 2. Weltkriegs war er im Auftrag der britischen Regierung daran beteiligt, den Enigma-Code zu knacken, mit dem die deutsche Militärführung ihre Nachrichten verschlüsselte. Ihm kommt somit eine kriegsentscheidende Bedeutung zu.

Linus Pauling war einer der bedeutendsten Chemiker des 20. Jahrhunderts. Für seine Arbeiten erhielt er den Nobelpreis in Chemie. Außerdem erhielt er den Friedensnobelpreis für sein Engagement gegen Nuklearwaffen. Einerseits warnte er vor einem Atomkrieg, andererseits untersuchte er die Auswirkungen von Waffentests. Die USA zündeten ihre Atombomben lange Zeit überirdisch und verstrahlten damit ihre eigene Bevölkerung. Paulings Forschungsergebnisse zwangen die US-Regierung dazu, strengere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.

Auch mehrere einflussreiche Philosophen und Schriftsteller deutscher bzw. jüdischer Abstammung, wie Carl von Ossietzky, Walter Benjamin, Ferdinand Tönnies, Theodor Lessing, Ernst Bloch, Bert Brecht,, Marcel Reich-Ranicki, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig und Julius Moses die in Konflikt mit Hitler gerieten, waren Atheisten. Der Vorsitzende des religionskritischen Freidenkerverbandes Max Sievers starb 1944 im KZ.

Alexander von Mitscherlich darf als ambivalente Person gelten. Zwar war der Arzt in jungen Jahren Mitglied der nationalbolschewistischen Bewegung, durchlief allerdings einen Lernprozess. Sein Doktorvater war Jude und in den späten 1930er Jahren saß Mitscherlich wegen politischer Betätigung mehrere Monate im Gefängnis. Nach Kriegsende vollzog er den vollständigen Bruch mit dem Nationalsozialismus und setzte sich dafür ein, die Mitwirkung der deutschen Ärzteschaft am NS-Staat lückenlos aufzuklären. Auf seinem medizinischen Spezialgebiet zählte er zu den besten seines Fachs. Mitscherlich war eines der Gründungsmitglieder der Humanistischen Union.

Der Südafrikaner Zackie Achmat zeichnet sich in mehrfacher Hinsicht durch politisches und humanitäres Engagement aus. In den 1980ern Jahren beteiligte er sich an der Widerstandsbewegung gegen die Apartheidregierung. Nach der demokratischen Wende setzte sich der Schwule fortan für Schwulenrechte und gegen AIDS ein. Achmat, der selbst HIV-infiziert ist, verlieh seinen Forderungen dadurch Gewicht, indem er erklärte, keine Medikamente zu nehmen, bis nicht für alle Südafrikaner erschwingliche Medikamente verfügbar seien.

Die ACLU (American Civil Liberties Union), Amerikas größte Bürgerorganisation versteht sich wenn nicht als atheistisch, so doch als säkular. Mehrere Atheisten und Agnostiker gehörten der Gesellschaft an, die mehrfach die biblische Schöpfungslehre in den Schulen zurückdrängte. Des Weiteren engagierte sich die ACLU gegen jeglichen Machtmissbrauch des Staates. Sie kritisierte die Internierung japanischstämmiger US-Amerikaner während des 2. Weltkrieges, die Rassentrennung, Gewalt unter Polizisten, die Zustände in Gefängnissen und die Todesstrafe.

Seymour Hersh, einer der einflussreichsten Investigativjournalisten der USA bezeichnet sich selbst als Agnostiker. Er deckte sowohl das Massaker von My Lai im Vietnamkrieg wie auch den Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib auf.

Dass an dieser Stelle mehrere Intellektuelle und Wissenschaftler aufgeführt wurden, ist kein Zufall. Denn tatsächlich bekennen sich nur ca. 7% der führenden Wissenschaftler in den USA und 3.3% der führenden Wissenschaftler Großbritanniens zum Glauben an Gott. Der enorme technische und medizinische Fortschritt, der die Lebensbedingungen in den vergangenen Jahren deutlich besserte, kann also genauso dem Atheismus angerechnet werden. Und dies gilt nicht nur trotz, sondern auch wegen der Fortschritte im Bereich der Waffentechnologie. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, ist tatsächlich eine erwiesene wissenschaftliche Tatsache. Die Entwicklung besserer Waffen mag im Einzelfall verheerend gewesen sein, führte aber unter dem Strich zu weniger und nicht zu mehr Kriegstoten. (Dazu später mehr.)

Angenommen, Atheismus führe tatsächlich zu einem Sittenverfall, müssten logischerweise die Staaten mit dem höchsten Anteil von Atheisten an der Gesamtbevölkerung zu den unangenehmsten der Erde gehören. Die meisten Atheisten finden sich jedoch in Nordeuropa, das keinen derart katastrophalen Eindruck macht. Dort gibt es nur wenig Armut, Kriminalität, Hungersnöte oder Seuchen, die Sozialsysteme sind ausgewogen, der Bildungsstandard ist hoch, die Pressefreiheit wird gewahrt, Rassismus ist ein geringes Problem etc. Natürlich muss die Kausalität beachtet werden. Wohl kaum wird der Atheismus ein Land zu Wohlstand verhelfen, sondern eher die aus dem Wohlstand resultierende Bildung zum Atheismus führen. Die Behauptung, Atheismus sei kausal mit unmoralischem Verhalten verknüpft, wird jedoch ausreichend entkräftet

Lukas Mihr

Ohne Gott ist alles erlaubt? (29. Juni 2011)