Antisemitische Verschwörungstheorien

(hpd) Die Politikwissenschaftlerin Jasmin Waibl-Stockner will in ihrem Buch judenfeindliche Konspirationsauffassungen untersuchen. Leider kommt das Werk kaum über das Referieren anderer Literatur zum Thema hinaus und enttäuscht auch bezüglich einer erkenntnisleitenden Fragestellung und systematischen Untersuchungen.

Die Auffassung von einer „jüdischen Verschwörung“ lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Zwischen den 1920er und 1940er Jahren fand sie insbesondere durch die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ weite Verbreitung und zwar nicht nur im nationalsozialistischen Deutschland. Auch in der Gegenwart kursieren immer wieder einschlägige Einstellungen und Stereotype, wovon etwa die Rede von der „Ostküste“ als code word für jüdische Bankiers an der Wall Street zeugt. Die Politikwissenschaftlerin Jasmin Waibl-Stockner will in ihrem Buch „’Die Juden sind unser Unglück’ Antisemitische Verschwörungstheorien und ihre Verankerung in Politik und Gesellschaft“ deren grundlegende Merkmale und historischen Muster herausarbeiten. Dazu formuliert sie zwei Fragestellungen: „Warum sind gerade die Juden Gegenstand von Verschwörungstheorien?“ Und: „Wie haben sich antisemitische Vorurteile in verschiedenen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten gezeigt?“ (S. 351).

Zunächst geht es in Waibl-Stockners Arbeit um die historische Herausbildung der Judenfeindschaft und die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der „Protokolle der Weisen von Zion“. Dem folgt eine Darstellung zur Entwicklung des Rassegedankens bis hin zum Holocaust und eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen Geschichtsverfälschungen von Anhängern der „Auschwitz-Lüge“. Und schließlich widmet sich die Autorin dem Bedeutungsgehalt antisemitischer Karikaturen und judenfeindlicher Konspirationsideologien zum 11. September. Bilanzierend heißt es: „Verschwörungstheorien werden seit jeher dazu genutzt, um über eigene Versäumnisse oder Schwierigkeiten hinwegzusehen. Die antisemitische Verschwörungstheorie enthält Elemente aller Phänomene der traditionellen Judenfeindschaft, die sich aus dem religiösen Antisemitismus entwickelt hat. Dazu gehören der Vorwurf der elitären Auserwähltheit der Juden, deren Unversöhnlichkeit und Rachsucht sowie das Streben nach Weltherrschaft und die Geldgier“ (S. 351).

Das Buch liefert eine Fülle an Informationen zu den genannten Themen, wobei die jeweilige Forschung dazu komprimiert referiert wird. Damit sind auch schon die Grenzen dieser Arbeit benannt: Zunächst einmal kennt die Autorin nicht die relevante Literatur. So ignoriert sie sowohl die Aufsätze von Michael Hagemeister zu den „Protokollen“ wie die Forschungssammelbände von Helmut Reinalter zu „Verschwörungstheorien“. Dafür referiert Waibl-Stockner frühere Publikationen über weite Strecken mit eigenen Worten, was dann jeweils auf eine schlichte Nacherzählung des Gelesenen hinausläuft. Dafür ein Beispiel: Die Seiten 106-110, 116, 120-127, 257f., 261 und 265 enthalten meist nur die Ausführungen des Historikers Robert Wistrich in einem Buch aus den 1980er Jahren. Auch der sonstige Blick in die Fußnoten zeigt, dass hier jeweils nur die Angaben aus wenigen anderen Werken seitenlang wiedergegeben wurden. Es gibt dafür zwar die entsprechenden Belege, insofern handelt es sich nicht um Plagiate. Aber die eigene Leistung ist hier jeweils doch minimal.

Im Schlusswort nennt die Autorin zwar die beiden Fragestellungen als Angaben zum erkenntnisleitenden Interesse. Sie prägen aber nicht als „roter Faden“ den Text der Arbeit. Beide werden auch nicht systematisch beantwortet und diskutiert. Überhaupt bleibt unklar, was die Autorin überhaupt will: Was ist genau die Hauptfragestellung? Worin bestehen die Nebenfragen? Auch kündigt sie Definitionen an, welche dann gar nicht vorgenommen werden. Bereits zum zentralen Begriff „Verschwörungstheorie“ findet man zu Beginn einen entsprechend angekündigtes Unterkapitel: Darin wird aber dieser Terminus gar nicht erläutert. Es gibt allgemeine Aussagen zu Anspruch und Funktion, aber ohne genaue Erläuterung und systematische Erörterung. Manchmal behauptet Waibl-Stockner auch Sachverhalt, ohne dafür Belege zu nennen. Nach ihr nutzte man die „Protokolle“ in der Sowjetunion „von staatlicher Seite“ (S. 97). Belegen kann sie aber nur „antizionistische Propaganda“, aber nicht einen solchen Nutzen. „Wikipedia“- und Zufallsfunde im Internet sprechen auch nicht für Seriosität.

Armin Pfahl-Traughber

 

Jasmin Waibl-Stockner „Die Juden sind unser Unglück“. Antisemitische Verschwörungstheorien und ihre Verankerung in Politik und Gesellschaft, Wien 2009 (Lit-Verlag), 392 S., 24,90 €