Glockenläuten und ein Rauswurf

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Die Glocke „Pummerin“ des Stephansdoms / Foto: Gryffindor (CC-BY SA 3.0)

WIEN. (hpd) Das vielfach beschworene katholische Österreich präsentiert sich heute als besonders kulturkatholisch. Gleichzeitig hat es vor wenigen Tagen eine herbe Niederlage eingesteckt, die das Land gar nicht mehr so katholisch aussehen lassen wie es manche gerne hätten. Eine angesehene katholische Einrichtung wurde vom Nationalrat vor die Tür gesetzt.

Um 20 Uhr wird die katholische Kirche bis in den letzten bewohnten Winkels des Landes ihre Präsenz zeigen. Oder besser hören lassen. Alle Kirchenglocken werden läuten, wenn die letzte Minute der Amtszeit Joseph Ratzingers im Vatikan verstrichen ist. Sogar die Pummerin, die außer an hohen Feiertagen nur bei außergewöhnlichen, im Regelfall tragischen, Ereignissen zum Einsatz kommt. Wenn ein Bundespräsident zu Grabe getragen wird, etwa.

Es wird den Eindruck erwecken als versinke das ganze Land in Gram ob des päpstlichen Rücktritts. Und nicht nur die 63 Prozent, die irgendwie offiziell gerade noch katholisch sind und die sich bei allerfreundlichster Betrachtung vielleicht noch ein wenig für den Rücktritt interessieren. Bei stark sinkender Tendenz.

Oder man könnte glauben, es sei etwas Weltbewegendes passiert. Das Dauerläuten von Kirchenglocken hatte früher ja meist einen eher säkularen Sinn. Man warnte die Bevölkerung vor Unwettern oder Feuersbrünsten. Nicht umsonst spricht man bis heute vom „Sturm läuten“.

Kontrastprogramm Rauswurf

Das Glockenläuten ist ein harter Kontrast zu einem für österreichische Verhältnisse nahezu epochalen Ereignis vom Dienstag. Die Klasnic-Kommission durfte ihre geplante Enquete zu Missbrauchsprävention nicht wie geplant im österreichischen Parlament abhalten. Die Einladungen waren schon lange verschickt. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) hatte die Kommission am Donnerstag vergangene Woche vor die Tür gesetzt.

Dieser sehr kurzfristigen Absage waren Proteste der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt und der Initiative „Religion ist Privatsache“ vorausgegangen. Plattform-Sprecher Sepp Rothwangl monierte, dass bei dem hochoffiziellen Akt im Sitzungssaal des Nationalrats Betroffenenvertreter nicht einmal eingeladen waren. Außerdem sei die Kommission nicht unabhängig sondern offiziell eine kirchliche Organisation. Laut einem Gerichtsurteil landen Daten von Betroffenen, die sich an die Kommission wenden, direkt bei der Erzdiözese Wien.

Prammer, die in die Organisation der Enquete nicht eingebunden war, zog die Notbremse. Die Proteste zeigten, dass für eine Enquete im Hohen Haus das „nötige Klima des Vertrauens“ fehlen würde, formulierte Prammer diplomatisch.

Kommission reagierte verschnupft

Die Klasnic-Kommission reagierte verschnupft und übersiedelte ins Haus der Industrie im Zentrum von Wien.

Auch diese Veranstaltung ging nicht ohne Widerstand vonstatten.

Beispielbild
Kunstaktion / Foto: Lucas Vossoughi
Vor dem Haus der Industrie demonstrierten Betroffene, wie der Wiener Künstler und atheistische Aktivist Dietmar Schoder schildert, der als Unterstützung für die Demo eine Kunstaktion veranstaltete: „Ich habe dabei immer wieder mit Betroffenen gesprochen, die das Symposium besucht haben, und ich habe jeden gefragt, wie viele Lebensjahre ihm durch Missbrauch zerstört wurden. Für jeden habe ich ein Bild angefertigt und seine Zahl an zerstörten Jahren draufgesprayt. Die Bilder klebte ich mit Klebeband an die Hauswand des Hauses der Industrie. Mein Ziel war, dass die Bilder verkauft werden und der Reinerlös den Betroffenen zugutekommt. Am Schluss des Tages waren es 28 Personen und in Summe 939 zerstörte Jahre.“

Einziger unabhängiger Experte sagte ab

Im Haus lief es ebenfalls nicht rund für die „Unabhängige Opferschutzanwaltschaft“, wie die Klasnic-Kommission offiziell heißt. Als Referent am Symposion war Psychotherapeut Klaus Beier von der  Berliner Charite vorgesehen – als einziger Experte, der kein Kommissionsmitglied ist oder in der Vergangenheit mit Nähe zur katholischen Kirche aufgefallen war. Beier sagte kurzfristig ab.

Auch dieser Absage war ein Schreiben der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt vorausgegangen. Die Plattform wies ihn darauf hin, dass die Kommission entgegen ihres Namens als andere als unabhängig sei und von Gerichts wegen als Einrichtung der katholischen Kirche betrachtet werden darf. Ob zwischen dem Schreiben und der Absage Beiers ein Zusammenhang besteht, ist unklar.

Klasnic zeigte sich sehr betroffen über die Reaktionen von Betroffenen-Seite und fühlt sich missverstanden. Während ihrer Rede auf dem Symposion sei sie den Tränen nahe gewesen, schildern Zeugen. Mit der Kritik, ihre Kommission sei nicht unabhängig, scheint sie nicht viel anfangen zu können.

Die katholische Kirche offenbar auch nicht. Ihre Presseagentur kathpress betreibt weiterhin die Pressearbeit der „Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft“. Einer der Zwischentitel einer der jüngeren Aussendungen: Kommission ist „absolut unabhängig“.

Christoph Baumgarten