Die Rückkehr der Bauernfänger

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Kindberg / Foto: Gemeinde

KINDBERG/WIEN. (hpd) An Esoterik in zumindest einer Erscheinungsform zu glauben, gehört in Österreich zum guten Ton. Nicht nur in urbanen Milieus. Auch in der Provinz sind Eso-Anbieter auf dem Vormarsch – mit dem florierenden Geschäft des Aberglaubens.

Das angeblich älteste Gewerbe der Welt begegnet dem Reisenden zwischen Krieglach und Mitterdorf im obersteirischen Mürztal zuhauf. Hier gibt es mehr Bordelle, pardon Night Clubs, pro Kopf als auf dem für seine Rotlicht-Szene berüchtigten Wiener Gürtel. Das Geschäft mit der Liebe, oder dem, was dafür gehalten wird, gedeiht im Halbschatten. Die Etablissements liegen leicht sichtbar an der Durchzugsstraße. Und sind mit ihren abgeklebten Fenstern doch diskret. In einer ähnlichen Mischung aus Offenheit und offensivem Wegschauen blüht ein weiteres Gewerbe. Das mit dem Aberglauben.

26 Energetiker allein in Region Mürzzuschlag

Esoterische Anbieter findet man hier allerorten. Für den ehemaligen Bezirk Mürzzuschlag (seit Jahresbeginn mit dem Bezirk Bruck/Mur zusammengelegt) nennt eine einschlägige Internetseite 26 Energetikerinnen und Energetiker.  Sie sind grob gesprochen die österreichischen Heilpraktiker. Offiziell verpflichtet Kranke zum Arzt zu schicken, dürfen sie „Hilfestellung zur Erreichung einer körperlichen bzw. energetischen Ausgewogenheit“ anbieten, wie die Wirtschaftskammer in einer Broschüre schreibt .

Das Repertoire umfasst vorwiegend pseudowissenschaftliche und pseudomedizinische Methoden wie Bachblütentherapie, „bioenergetische Messverfahren“ und „Aura Somna“. Drei dieser Anbieter fungieren nebenbei als „Lebensberater“. Eine ganze Menge Anbieter (und vor allem Anbieterinnen) für eine Region mit kaum mehr als 40.000 Einwohnern.

Sie sind nicht die einzigen.

Bis ins letzte Alpental

Ähnliche Erfahrungen wie hier in der Obersteiermark hat Esoterikexperte Johannes Fischler bei der Recherche für sein Buch „New Cage. Esoterik 2.0“ in Tirol gemacht. Esoterische Angebote seien mittlerweile „bis ins letzte Tiroler Tal“ vorgedrungen, schildert er im Gespräch mit dem hpd. Überall gebe es Seminare, Workshops und ähnliches. Das Internet hat Fischlers Überzeugung nach die Szene revolutioniert und nachhaltig verändert.

„So können esoterisch Involvierte quasi ortsunabhängig unter sich bleiben. Egal, ob sie jetzt in Kitzbühel sitzen oder in Hannover. Auf den einschlägigen Seiten und in den Chats findet eine enorme Selbstbespiegelung statt. Alle spiegeln sich in ihren Größenfantasien gegenseitig und das findet großteils außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit statt.“

Dass sich esoterische Überzeugungen auch in stark katholisch geprägten Regionen breitmachen, ist für den Autor kein Widerspruch, anders als für manche zum Teil kirchennahe Experten. „Es ist das gleiche Schema wie in der herkömmlichen Religiosität. Die Leute sind genauso fromm wie früher, statt des Herrn im Himmel wird aber dem sogenannten „Selbst“ oder  gar dem „Höheren Selbst“ gehuldigt.“

Das Seelenheil heißt heute auch bei vielen Katholiken „spirituelle Ganzwerdung“, bei Kirchenfernen sowieso. Und spielt sich im Gegensatz zum klassischen Vorbild auch im Diesseits ab.

So wie früher bei der frommen Bauersfrau dreht sich das ganze Leben um die spirituelle Überzeugung. „Der Urlaub wird natürlich am Jakobsweg gemacht - in Namen der Selbsterfahrung. Der Beruf wird zu Berufung und dient der Selbstverwirklichung. Partnerschaften mutierten oftmals zu regelrechten Therapiebeziehungen und Sex muss natürlich Tantra-Sex sein, zur spirituellen Selbstvervollkommnung versteht sich“, schildert Fischler seine Rechercheergebnisse. Wobei der Fokus nach wie vor auf Gesundheitsangeboten liegt.

Auch Umfragen legen nahe, dass einschlägige Vorstellungen weit verbreitet sind. Im Jahr 2011 gaben 58 Prozent der Teilnehmer einer Studie des IMAS-Instituts an, an Schutzengel zu glauben. In einer älteren Umfrage sagten 22 Prozent, sie glaubten an Geistererscheinungen.

Anthroposophische Versatzstücke

Die Kindberger Hauptstraße ist eine gepflegte Einkaufsstraße. Lokale und regionale Unternehmen dominieren. Bäckereien und Konditoreien stehen hier, auch ein Weinflaschendesigner bietet seine Produkte feil. Dazwischen ein Korbwarengeschäft. Filialen von Handelsketten gibt es hier kaum. An der traditionell sozialdemokratisch dominierten Kleinstadt scheinen drei Jahrzehnte der De-Industrialisierung in der Mur-Mürz-Furche fast spurlos vorbei gegangen zu sein.

Mitten auf der herausgeputzten Hauptstraße stößt man auf die klassische Verquickung alternativer Lebensweise und Esoterik – zumindest in Teilen. In der Hauptstraße 30 betreibt Wolfgang Leopold seit 13 Jahren die „Biokost biodemeter Handels Ges.m.b.H“. Sie verspricht „Genuss, Gesundheit, Wohlbefinden“. „Unser Schwerpunkt sind vegane Nahrungsmittel und alles, was dazu gehört“, erklärt Leopold dem hpd.

Für Eingeweihte suggeriert der Name seines Geschäfts gleichzeitig eine Nähe zur Anthroposophie, einer der wirrsten esoterischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Unter diesem Begriff „demeter“ werden Nahrungsmittel und Kosmetika aus so genannter biodynamischer Erzeugung verkauft. Streng nach den Vorstellungen von Rudolf Steiner. Der Demeterbund wacht streng darüber, dass niemand das Wort missbräuchlich verwendet.

Mit dem Demeterbund habe er nichts zu tun, erklärt Leopold. „Das ist meine eigene Wortkreation. Als ich den Laden aufgemacht habe, war die Marke Demeter noch nicht geschützt. Ich habe mich damals genau erkundigt“. Was erklärt, warum er den Namen bis heute führen kann. Ganz anthroposophiefrei ist sein Geschäft allerdings auch nicht. Auf die Frage, ob es hier auch biodynamische Lebensmittel gebe, antwortet Leopold: „Sowohl als auch“.

Links zu Seelenreisen und Quantenheilung

Unter dem Namen „Biodemeter“ firmierte bis vor wenigen Jahren auch ein Bioladen im nahe gelegenen Leoben. Mittlerweile heißt er „Bio und mehr“. Nach Schilderungen von Kunden, die der Skeptikerbewegung durchaus nahe stehen, geht es im Geschäft gemütlich zu. Eso-Lebensmittel werden einem nicht gerade aufgedrängt.

Die URL aus der Gründungszeit, biodemeter-leoben.at, hat das Geschäft auch nach der Umbenennung behalten. Und auf der Homepage wird auch auf eindeutig esoterische Seiten verlinkt. Wie jene der Energetikerin Claudia Kaufmann, die „Seelenreisen und Rückführungsarbeit“ anbietet. Auch auf ein Angebot für „Quantenheilung“ stößt man, die Sitzung zu 45 Euro.

Bruck: Zentrum der Geomantiejünger

Zwischen Leoben und Kindberg liegt Bruck an der Mur. Wie Leoben trotz Kahlschlags nach wie vor eine Schwerindustriestadt. Hier wohnt das Ehepaar Baumgartner, das es zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, über Geomantie zu „informieren.“ In befreundeten oder unkritischen Gasthäusern der Obersteiermark hängt das Ehepaar Zettel auf, die angebliche geomantische Phänomene auf den Pilgerwegen nach Mariazell dokumentieren sollen. Katholizismus und Esoterik fließen ineinander.

Die „Phänomene“ werden nach der Dreier-, der Fünfer-, der Siebener- und der Neunergeomantie aufgelistet. Sicherheitshalber. Man kann ja nie wissen, welches Konzept stimmt. Die Kleine Zeitung, die dem kircheneigenen Styria-Verlag gehört, berichtet immer wieder kurz und freundlich.Bruck scheint Geomantiejünger anzuziehen. Zum Stadtgebiet gehört das Naturschutzzentrum Weitental, das einen Geomantieweg anbietet. Er soll die „ganzheitliche Beziehung des Menschen zur Natur fördern“ und irgendwie „Vermittler zwischen Himmel und Erde“ sein.

Das klingt nach einer Botschaft für die klassische Kerngruppe der Esoteriker: Eine urbane Mittelschicht, die sich irgendwie alternativ wähnt. Nur, die ist in der Obersteiermark unterrepräsentiert. Auch wenn seit den 80ern jeder zweite Industriearbeitsplatz verloren ging, die Arbeiterschaft ist hier nach wie vor die stärkste soziale Schicht, wie auch die Wahlergebnisse zeigen.