Im Land des Aberglaubens

LINZ. (hpd) Eine Umfrage des IMAS-Instituts bescheinigt der österreichischen Bevölkerung einen ausgeprägten Hang zu folkloristischem Aberglauben und Fatalismus. Was die Medien teils mit Ironie, teils mit Begeisterung quittieren.

Wer mit Paul Eiselsberg telefonieren will, braucht etwas Geduld. Der Studienleiter des renommierten Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS spult seit Mittwochnachmittag eine Medienanfrage nach der anderen herunter. Er zeichnet für eine Umfrage verantwortlich, wonach 58 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher an Schutzengel glauben. Ein erstaunlich hoher Wert, wie auch die offizielle Presseaussendung des Instituts vermerkt. Was auch das mediale Interesse erklären mag, das Eiselsberg als „fast überraschend“ bezeichnet. Seitdem das Institut die Studie veröffentlichte, haben fast alle überregionalen Printmedien berichtet. „Auch einige Radiostationen und Fernsehsender waren dabei.“ Nach Angaben des Instituts ist die Studie eine Eigenarbeit. „Es gibt keine Auftraggeber, wir erheben solche Dinge immer wieder auf eigene Kosten“, sagt Eiselsberg.

Und im Wesentlichen deckt sich diese Umfrage mit früheren: Österreicherinnen und Österreicher haben einen ausgeprägten Hang zu Aberglauben und Esoterik. Ebenfalls von IMAS ist eine Studie aus dem Jahr 2009, wonach 22 Prozent an Geistererscheinungen glauben und jeweils 16 Prozent an Wiedergeburt und die Macht der Sterne.

Bei aller Skepsis gegenüber derartigen Umfragen scheint zumindest an den Grundaussagen wenig zu rütteln: 1009 Österreicherinnen und Österreicher wurden befragt, für ein Land mit einer Bevölkerung von knapp mehr als 8 Millionen ein statistisch mehr als ausreichendes Sample. Anders als bei vielen anderen Studien scheint es auch keine Grundwidersprüche zu geben. Praktisch alle Schutzengelgläubigen sind mehr oder weniger fest von einer „höheren Macht“ überzeugt, die das Leben der Menschen zumindest irgendwie lenkt. Wobei die Überzeugung, dass irgendeine metaphysische Lenkinstanz existiert, bei mehr als 70 Prozent der Bevölkerung auf Zustimmung stößt. Ein deutlich höherer Wert als bei der Umfrage aus dem Jahr 2009. Damals gaben 47 Prozent der Befragten an, an den mehr oder weniger lieben Gott zu glauben, ähnlich war es 2006. Der Schluss, dass die wesentlich offeneren Frage nach „höherer“ Macht deutlich höheren Zuspruch reduziert, liegt auf der Hand. Zwischen den Zeilen kann man das auch aus den Stellungnahmen von IMAS herauslesen.

Nur gilt das genauso umgekehrt. Immerhin lehnen 20 Prozent der Bevölkerung die Existenz eines höheren Wesens dezidiert ab. Das ist ein merkbar höherer Anteil als man auf die direkte Frage bekommen würde, ob sich der oder die Betreffende als Atheist bezeichnet.

Das IMAS interpretiert die Umfrage als Anzeichen für „obdachlose Religiosität“. Gegenüber dem hpd heißt es, sehr viele Konfessionsfreie würden sich weiter als katholisch aber nicht kirchenzugehörig sehen und an eine höhere Macht glauben. Nur erzählen die IMAS-Zahlen in diesem Fall auch die gegenteilige Geschichte: Mit etwa 20 Prozent der Befragten liegt der Anteil derer, die an keine höhere Macht glauben, nur wenig unter dem der Konfessionsfreien in der Gesamtbevölkerung. Das muss rein mathematisch bedeuten, dass fast so viele Katholiken an keine höhere Macht glauben wie Konfessionsfreie an übernatürliche Kräfte.

Ähnliches legt die 2009er-Umfrage nahe. Dieser Umfrage zufolge hat der Großteil der Bevölkerung keine Nähe zu einem monotheistischen Glauben, die über ein Lippenbekenntnis hinausgeht. Und nur etwas mehr als ein Viertel sind Christinnen und Christen im engeren Sinn und glauben an die Jesus-Geschichte. Der Glaube an Übernatürliches scheint beiden Umfragen zufolge seinen traditionellen Trägerinnen und Trägern entglitten. Was bleibt, ist eine vage Religiosität mit sehr starker Bindung an die Esoterik. Besonders weit verbreitet ist das bei Frauen. Die sind auch die Zielgruppe der Astrologie-Kolumnen und ihrer diversen Pendants und fragen anderen Umfragen (und subjektiven Erfahrungen) nach besonders häufig nach dem Sternzeichen. Der Schritt zum folkloristischen Schutzengelchen ist da nicht mehr weit, wie die aktuelle IMAS-Umfrage zeigt. Demnach glauben deutlich mehr Männer als Frauen nicht an Schutzengel. Unabhängig von Alter, Bildung oder sozialem Status. Woran das liegt, ist bislang nicht geklärt.

Christoph Baumgarten