Judenfeindlichkeit in islamisch geprägter Welt

(hpd) Der Historiker Robert Wistrich weist in seinem erstmals 2002 erschienenen Buch auf die Verbreitung judenfeindlicher Stereotype in der arabischen Welt hin. Der mehr essayistisch denn wissenschaftlich ausgelegte Text macht die hohe Verbreitung einschlägiger Agitation überzeugend deutlich, lässt aber eine differenzierte Einordnung des Phänomens vermissen.

Antisemitismus ist nicht nur ein Agitationsthema für Rechtsextremisten. Mittlerweile stieg auch die Aufmerksamkeit für judenfeindliche Tendenzen unter muslimischen Migranten. Nicht selten lässt sich dort eine inhaltliche Kombination von religiösen Aversionen gegen Juden, antisemitischen Ideologiefragmenten und ausgeprägter Israelfeindlichkeit ausmachen.

An näherer Forschung zum Thema mangelt es noch, wenngleich sich jüngst einige Ansätze in diese Richtung abzeichnen. In Israel selbst war man aufgrund der Betroffenheit vom Thema hier schon viel früher weiter. Einer der wissenschaftlichen Akteure auf diesem Gebiet ist Robert S. Wistrich, der als Professor für moderne europäische Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem lehrte. Aus seiner Feder stammt auch eine voluminöse Arbeit zum Antisemitismus in der Geschichte mit über tausend Seiten. Bereits 2002 erschien eine kürzere Arbeit von ihm zum vorgenannten Thema in den USA, die jetzt unter dem Titel „Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr“ in einer deutschen Ausgabe vorliegt.

Über das Ausmaß einschlägiger Ressentiments in der arabischen Welt von alltäglichen bis zu politischen Diskursen heißt es dort bereits zu Beginn: „Antisemitismus wurde tatsächlich zu einem integralen und organischen Bestandteil dieser arabisch-muslimischen Kultur des Hasses – ein kraftvolles Instrument der Verleumdung, des Terrors und der politischen Manipulation“ (S. 39). Dies will der Autor mit Ausführungen zu historischen und aktuellen Bezügen verdeutlichen, wobei er sich meist auf die darstellende Dimension konzentriert.

Wistrich macht dabei deutlich, dass bereits der Koran sehr negative Kommentare gegen Juden und ihren angeblich „bösen und rebellischen Geist“ (S. 43) enthält. Entgegen weit verbreiteter Auffassungen gab es sehr wohl auch eine Benachteiligung von Juden in der Geschichte der islamischen Welt. Wistrich differenziert hier aber: „Die Diskriminierung, die sie unter dem Islam zu erleiden hatten, war deutlich geringer als ihr Ausschluss und ihre Dämonisierung im mittelalterlichen Christentum“ (S. 43).

Den Schwerpunkt legt der Autor auf die antisemitische Agitation in der Gegenwart, wofür er eine Fülle von Beispielen auch und gerade nach den Anschlägen vom 11. September 2001 benennt. Bereits zuvor kursierten indessen Auffassungen, die aus dem Agitationsarsenal des europäischen Antisemitismus bekannt sind. Das gilt etwa für die Blutbeschuldigungen oder die Verschwörungsvorstellungen. Insbesondere die letztgenannte Thematik fand und findet in der arabischen Welt große Verbreitung. Als eine besondere Komponente davon kann die Holocaust-Leugnung gelten, sieht man doch in den Massenmorden an den Juden im Zweiten Weltkrieg eine historische Legende zur moralischen Legitimation der Gründung des Staates Israel. Dementsprechend gehe es dieser Form des Antisemitismus auch um eine Aufhebung der Legitimation für die Existenz des Judenstaates. Darüber hinaus kommentiert Wistrich: „Tatsächlich war der muslimische arabische Antisemitismus der späten 1960er Jahre in letzter Konsequenz bereits genozidal“(S. 73) – was heute auch noch so sei.

Wistrichs kleines Buch ist mehr essayistisch denn wissenschaftlich ausgerichtet, listet er doch kommentierend einschlägige Fälle ohne differenzierte Einordnung auf. Der Autor verstand wohl seinerzeit seine Schrift als eine Art „Wegruf“, beklagte er doch das mangelnde Interesse für diese Entwicklungen in der westlichen Welt. Davon kann indessen heute nicht mehr die Rede sein, wovon auch im deutschen Sprachraum verschiedene Publikationen zeugen. Diese ignoriert auch Clemens Heni in seiner Einleitung, worin Ausführungen zu Leben und Werk von Wistrich enthalten sind.

Mittlerweile handelt es sich längst nicht mehr um ein Tabu-Thema. Es gibt auch Differenzen um die Frage, ob der Antisemitismus in der arabischen Welt mehr ein genuines oder importiertes Phänomen ist. Zu einzelnen Beispielen von Wistrich wie etwa der Charta der Hamas als antisemitischem Text liegen denn auch schon längst ausführliche Analysen vor. Insofern hat der Denkanstoß des Autors von Anfang der 2000er Jahre schon längst Wirkung gezeigt.

Armin Pfahl-Traughber

Robert Wistrich, Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr, 2. Auflage, Berlin 2012 (Edition Critic), 161 S., 14,90 €.