Unklare "Weltanschauungsfreiheit"

(hpd) Wer sich für grundrechtliche Garantien im Themenbereich "Religion und Weltanschauung" interessiert, wird bei diesem ungewohnten Titel hellhörig. Denn üblicherweise spricht man zusammenfassend von Religionsfreiheit, höchstens und genauer von Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Diese genauere Terminologie zielt auf die Gleichberechtigung von Weltanschauung, die man aber in der Rechtspraxis gern zugunsten der Religion wegdifferenziert. Daher wäre man sehr dankbar für jede weitere Klärung.

Hoffmann geht die Thematik eigenwillig an. Seine Grundthese lautet, dass die Unterscheidung zwischen Religion und (nichtreligiöser) Weltanschauung nicht nur möglich, sondern aus Rechtsgründen auch nötig ist. Die verstreuten religionsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes (GG) sprechen in der Tat nur teilweise auch ausdrücklich und ohne Einschränkung, d.h. gleichberechtigt, von "Weltanschauung". Darunter sind freilich die zentralen Art. 4 Abs. 1 GG (individualrechtlich) und Art. 137 VII Weimarer Reichsverfassung (WRV) i.V.m. Art 140 GG (kollektivrechtlich: Gleichstellung von Religionsgesellschaften und weltanschaulichen Vereinigungen). Das spricht deutlich für eine generelle Gleichbehandlung von Religion und Weltanschauung. Der Gesetzgeber freilich spricht bei einschlägigen Regelungen oft nur von Religion, nicht aber auch von Weltanschauung. Das wirft dann die Frage nach der Erforderlichkeit einer verfassungskonform erweiternden Auslegung auf.

Der Autor spricht trotz der auch begrifflich verschiedenen Funktionen des Art. 4 I, II GG ganz ungewöhnlich immer wieder von "der Weltanschauungsfreiheit", andererseits aber von dabei zu unterscheidenden Schutzbereichen der Weltanschauungsfreiheit bezüglich der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (z.B. S. 320). So kommt laut Hoffmann zur religiösen Glaubensfreiheit eine weltanschauliche Glaubensfreiheit hinzu usw. Diese zusätzliche Aufsplitterung erstaunt schon deswegen, weil er an anderer Stelle selbst richtig ausführt, dass Art. 4 I GG insgesamt Religion und Weltanschauung gleichermaßen betrifft. Im Gegensatz dazu will er eine freie Ausübung der Weltanschauung entsprechend der Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 II GG (den er m.E. richtigerweise im Wesentlichen auf eine Freiheit der Kultausübung reduziert) den Menschen mit weltanschaulicher Überzeugung nicht zuerkennen, weil es ihnen nicht um die „Verehrung höherer Mächte und außerhalb des Menschen liegender Erkenntnisse“ gehe (315 und 206 f.). Dafür beruft er sich auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, wie überhaupt die "historische" Auslegung bei ihm eine außergewöhnlich große Rolle spielt. Aber die Entstehungsgeschichte kann nur ein Hilfsargument sein, wenn die anderen Methoden nicht ausreichen oder versagen. Denn das Recht soll ja, ausgehend vom Wortlaut und möglichen Wortsinn, aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse möglichst so regeln, dass sie von Jedermann akzeptiert werden können. Von großer Bedeutung ist dabei nicht nur die Systematik eines unmittelbar einschlägigen Normenkomplexes wie Art. 137 WRV/140 GG, sondern der in sich möglichst widerspruchsfreien Gesamtregelung im größeren Zusammenhang. Konkret geht es (bis auf wenige Ausnahmen) um die religiös-weltanschauliche Neutralität des pluralistischen GG.

Wegen der Umständlichkeit und des Aufbaus des Umfangs der Darstellung erscheint es schwierig, die wesentlichen der abweichenden Ergebnisse des Verfassers mitsamt Begründung kompakt zu erfassen und in ein übersichtliches System zu bringen. Es können daher nur wenige Punkte herausgegriffen werden. So verneint Hoffmann einen Rechtsanspruch von Weltanschauungsgemeinschaften auf gleichberechtigte Erteilung von Weltanschauungsunterricht als Entsprechung zum Religionsunterricht mit der (nur teilweise auch anderweitig vertretenen) Begründung, die in Art. 137 VII WRV ausdrücklich geforderte Gleichstellung von religiösen und weltanschaulichen Vereinigungen gelte nicht für Art. 7 II, III GG (248).

In einem knappen Schlusskapitel unterscheidet Hoffmann zwischen gerechtfertigten und nicht zulässigen gesetzlichen Ungleichbehandlungen. Das (mittlerweile obsolete) Geistlichenprivileg im Wehrrecht, das teilweise sogar von kirchennahen Juristen als Musterbeispiel unzulässiger Privilegierung angesehen wurde, verteidigt der Autor mit unterschiedlichen Seelsorgebedürfnissen. Die für Religionen geltende Ausnahme vom Betriebsverfassungsgesetz müsse aber auch für Weltanschauungen gelten. Deren fehlender Schutz gegen zivilrechtliche Benachteiligungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sei verfassungswidrig.

Ungeachtet irritierender Ausführungen kommt auch Hoffmann zum Gesamtergebnis, bei vergleichbaren Sachverhalten müssten Religion und Weltanschauung gleich behandelt werden (Art. 3 I GG), wenn nicht ausnahmsweise die Verfassung selbst eine Differenzierung gebiete. Jegliche willkürliche Differenzierung scheide aus. Zu dieser Erkenntnis hätte es aber keiner umfangreichen Monographie bedurft. Es bleibt nach Hoffmann im Wesentlichen nur eine gerechtfertigte Ungleichbehandlung bei der Kultfreiheit (Art. 4 II GG) und beim Religionsunterricht. Die praktische Bedeutung für weltanschauliche Vereinigungen ist dabei gering, denn Kultausübung ist bei ihnen kaum üblich, und beim Weltanschauungsunterricht ist die rechtspraktische Entwicklung ohnehin zu dessen Gunsten erfolgt (Brandenburg).

Es fällt auf, dass sich die Arbeit nicht mit dem (im Literaturverzeichnis allerdings aufgeführten) Werk "Weltanschauungsgemeinschaften" von Christine Mertesdorf (2007) auseinandersetzt, das nach glasklarer Detailuntersuchung der zahlreichen einschlägigen Bestimmungen des GG zur ausnahmslos völligen Gleichstellung mit den Religionsgemeinschaften kommt. Mertesdorf erarbeitet ein in der heutigen gesellschaftlichen Gesamtsituation einleuchtendes und juristisch schlüssiges Gesamtkonzept, das sich zudem gut in die umfangreiche juristische Diskussion des Religionsverfassungsrechts einfügt.

Die Gefahr einer juristischen Untersuchung wie der von Patrick Hoffmann besteht darin, dass sie mit ihrer (überwiegend nur theoretischen) Unterscheidung zwischen Religionsfreiheit und Weltanschauungsfreiheit dem gesetzgeberischen Missbrauch zugunsten der Kirchen weiterhin Vorschub leistet.

Gerhard Czermak

Patrick Hoffmann: Die Weltanschauungsfreiheit. Analyse eines Grundrechts. Berlin 2012, 337 S. (Duncker&Humblot: Schriften zum Öffentlichen Recht 1209), 72 Euro