Das Leben als Kunstwerk

(hpd) Die Quintessenz dieses leicht und flüssig lesbaren sowie übersichtlich gegliederten Werkes bringt der Autor selbst auf den Punkt: "Im Zurückdrängen oder Abwürgen der gefühls­mäßigen, sozialen und ethischen Bestand­teile seines Wesens liegt die Gefahr des Voll­blut-Naturwissen­schaftlers".

Ohne Überbewertung des Emotionalen, befasst sich Mynarek in klaren und verständlichen Worten mit der Reflexion von Geist und Gefühl. Dabei kommt es zunächst zu einer Rang­ordnung der Werte sowie einer Themati­sierung der Synästhesie von Ästhetik und Ethik.

Zunächst wird in sechs Wert­klassen unter­schieden, die gegliedert sind in die niederen sinnlichen und die höheren geistigen Werte. Die niederen Werte werden unter­teilt in utilita­ristische, hedo­nistische, lustvolle und die höheren Werte in ethische, ästhetische, religiöse. Der Einfluss der sinnlichen Wahr­nehmung auf die Wissen­schaft der Moral wird erkannt, aber gleich­zeitig vor einem Ästheti­zismus gewarnt. Die Ethik soll das Gesamt­gefüge der Werte überwachen. Dazu wörtlich: "Ethisch gut ist also ein solches Verhalten, das in einer gegebenen Situation und unter Berück­sichtigung aller an ihr beteiligten Umstände gemäß der Rang­ordnung der Werte handelt und keine einzelne Wert­klasse zur allein­herrschenden macht". Gleichzeitig sieht der Autor in der Selbst­über­schreitungs­tendenz der ästhetischen Werte eine Ver­schmelzung mit religiös-spirituellen Werten, womit man auch in der Kunst eine säkulare Religion erkennen könnte.

Die Frage nach der Möglichkeit eines Humanismus ohne Gott und Religion wird grund­sätzlich mit ja beantwortet. Sie bleibt aber bezüglich der Religion ambivalent, auch wenn diese nicht mit Konfession verwechselt und somit auf ihren genuinen Sinn verwiesen ist. Dazu erfährt Transzendenz eine psycho­logische Erklärung. Ob dabei etwas von dem Grund der Dinge berührt wird, kann jemand nur glauben, aber nicht wissen. Gleichwohl sieht der Autor keinen logischen Wider­spruch darin, es für möglich zu halten, betont aber, dass metaphysische Urteile immer nur Hypothesen sein können. Der Agnostiker ist für ihn der intellektuell Redlichste und Verant­wortlichste. Dazu noch der Wahr­haftigste, weil er erkennt, dass die sog. Wahrheit immer nur relativ sein kann und im Klartext: "Unser Gehirn könne [...] selbst einen mit einer göttlichen Offen­barung daher­kommenden Geist nur als etwas Relatives wahr­nehmen".

Mit seiner apodiktischen Verkündung "Religion vermag unzweideutig zu begründen, warum Moral, ethische Werte und Normen unbedingt und allgemein verpflichtend sein müssen", wird Hans Küng als anti-empirischer und anti-historischer Dogmatiker betrachtet, der dem Monotheismus verhaftet bleibt und für den es ohne Gott keine Ethik gibt. Delikat dann der Hinweis, dass es Zeiten gab, da sogar ein Joseph Ratzinger, "als er von dem hohen Amt noch nicht korrumpiert war", die Ambivalenz dieses Sach­verhaltes klarer erkannte als sein katholischer Kollege Küng. So bekannte sich der später als Papst gescheiterte Ratzinger noch 1969 praktisch implizit zum Agnos­tizismus, wenn er, - wie auf Seite 68 nachzulesen, - verkündet: "Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil [...] Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen".