Notizen aus Russland

Aus den ehemaligen Sowjetrepubliken

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Russland auf dem Globus (Wikipedia)

BERLIN. (hpd) Mit diesem Artikel will der hpd eine neuen Serie starten, die aus Russland und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken aus atheistischer Sicht berichtet. Heute beginnen wir mit einem ersten Teil, der nachfragt, wie viele Menschen sich als religiös bezeichnen und wie es mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen steht.

Religionen und Umfragen

Die UdSSR war im Jahr 1960 zu 92 Prozent atheistisch, so Elena Petrenko von der Stiftung "Öffentliche Meinung" (Елена Серафимовна Петренко, директор по исследованиям, Фонд "Общественное мнение"). Nach der Auflösung der Sowjetunion am 26.12.1991 erlebte die Religion eine Renaissance in fast allen der 15 neuen souveränen Republiken. Orthodoxes Christentum und Islam sind dabei die beiden größten Kräfte geworden.

Da Russland als das größte und stärkste Land aus den ehemaligen Sowjetrepubliken hervorgegangen ist, beginnen wir heute mit einigen Informationen aus diesem Land. Laut der letzten Umfrage des Levada-Centers (Левада-Центр) bezeichnen sich Russlands Bürger als

  • russisch orthodox - zu 68 Prozent
  • katholisch - zu 1 Prozent
  • protestantisch - zu 1 Prozent
  • jüdisch - weniger als 1 Prozent
  • muslimisch - zu 7 Prozent
  • andere - weniger als 1 Prozent
  • nicht gläubig - zu 19 Prozent
  • "keine Antwort/weiß nicht" gaben 4 Prozent der Befragten an.

Nach einer anderen Umfrage des Levada-Centers meinen 62 Prozent der Befragten, dass die orthodoxe Gläubigen keine gesetzliche Vorteile vor Atheisten und anderen religiösen Konfessionen bekomen sollen. Darüber gab es in Russland zuvor lange Diskussionen.

Für 43 Prozent der Befragten spielt die Religion keine großen und für 19 Prozent gar keine Rolle.

Laut Informationen des Forschungsdienstes "Sreda" (Исследовательская Служба "Среда“) haben nur 5 Prozent aller Bürger und ca. 8 Prozent der orthodoxen Gläubigen die biblischen Evangelien gelesen. 20 Prozent der Bevölkerung teilen die Meinung, dass der Mann das Haupt in der Familie ist; 13 Prozent bezeichnen sich als abergläubig, 11 Prozent "wollen viele Kinder", 52 Prozent lieben Russland und 42 Prozent bezeichnen sich sogar als glücklich.

Das Ansehen der russisch-orthodoxen Kirche schwindet

Der Generaldirektor des russischen Zentrums für Öffentliche Meinung (russ. Abk.: ВЦИОМ) Valerij Födorov (Валерий Федоров) meint, dass das Prestige der russisch-orthodoxen Kirche in den letzten 2 Jahren immer häufiger beschädigt wird. Vor allem sei das seit etwa 20 Jahren geltende, inoffizielle Tabu zu Kirchenkritik verschwunden. Ein Teil der Liberalen sei sogar zur offenen Opposition gegen die Kirche übergetreten. Sogar der vergessene Atheismus kehre allmählich zurück.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat in den letzten 2-3 Jahren mehrere größere und kleinere Skandale, die öffentlich geworden sind, erlebt. So wurde auch die deutsche Öffentlichkeit über die Vorgänge rund um die Punkband Pussy Riots ausführlich informiert.

Ein Missbrauchsskandal und die fehlenden Folgen

Seit Ende Dezember 2013 macht ein neuer sexueller Missbrauch-Skandal in der russischen Kirche die Schlagzeilen. Protodiakon Andrey Kuraev, eine bekannte und umstrittene Persönlichkeit in Russland und in der Kirche, veröffentlicht am 19. Dezember des vergangene Jahres in seinem Blog einen kurzen Artikel über sexuellen Missbrauch in einer Theologischen Hochschule (Seminar) in Kasan und über die laufende kirchliche Untersuchung gegen den Prorektor der Hochschule, Hegumen Kirill.

Die Missbrauchsvorwürfe gegen Hegumen Kirill wurden vom Vorsitzenden der Untersuchungskommission Maksim Kozlov (Максим Козлов) bestätigt und Kirill wurde als Vize-Rektor des Seminars und als Leiter des Informationsdienstes von dem Bistums in Tatarstan entlassen. Der Bildungsausschuss der russisch-orthodoxen Kirche jedoch weigerte sich bisher, den Grund für die Entlassung öffentlich zu kommentieren, schreibt intertat.ru.

Und was ist mit Protodiakon Andrey Kuraev? Am 31. Dezember 2013 wurde Andrey Kuraev von seiner Tätigkeit als Lehrer in der Moskauer Theologischen Akademie wegen seiner "schockierenden und provozierenden Veröffentlichungen" in der Presse und dem Blog suspendiert, schreibt die Atheistische Seite Weißrussland (Атеистический сайт Беларуси).

Hegumen Kirill ist jedoch weiterhin ein freier Mann und wurde bis heute nicht angeklagt. Den Gerüchten nach sollte er eine Stelle an der stattlichen Universität in Twer erhalten, aber wegen der großen öffentlichen Resonanz wurde ihm abgesagt.

Der Missbrauch in der Russischen Orthodoxen Kirche wird systematisch vertuscht. Eine offizielle Stellungsname der Kirche zum genannten Vorfall ist nirgends veröffentlicht worden.

Die Kirche war und ist ein starker Befürworter des umstrittenen "Gesetzes gegen die Popularisierung der Homosexualität unter den Minderjährigen". Das Atheistische Nachrichtenportal (Новостной атеистический портал) zitiert einen bekannten Kirchenkritiker Alexander Nevzorov (Александр Невзоров): "Die russische-orthodoxe Kirche hat immer noch eine panische Angst, über Homosexuelle in ihren Reihen zu sprechen. Obwohl ich nicht verstehe warum. Homosexualität unter Kirchenvertreter ist fast normal".