Jasmin Thoma über ihren neuen Roman, ihre Forschung zur Apostasie und die Wichtigkeit einer säkularen Gesellschaft

Mutig sind die Ex-Muslime

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Jasmin Thoma
Jasmin Thoma

Die österreichische Autorin Jasmin Thoma (24) behandelt in ihrem zweiten Roman: "Der Ungläubige" die prekäre Lage des Ex-Muslimen Amir, der seine liberalen Ideen, seinen Abfall vom Glauben und seine Beziehung zu einer Österreicherin vor seiner fundamentalistischen Familie verbergen muss, während ihn andere, wie der rechtskonservative Vater seiner Freundin, weiterhin als Muslim und potenzielle Bedrohung betrachten. Dazu inspiriert wurde sie durch ihre eigenen Forschungen zum Thema Apostasie im Islam. Jetzt beantwortet sie unsere Fragen zu ihrem Buch.

hpd: Sie haben im Rahmen Ihres Studiums über Apostasie im Islam geforscht. Was hat Sie dazu motiviert, einen Roman über das Thema zu schreiben?

Jasmin Thoma: Genau, ich habe meine Bachelorarbeit über Apostasie im Islam und die Situation von Ex-Muslimen in westlichen Ländern geschrieben. Bei meinen Recherchen habe ich mit mehreren Ex-Muslimen gesprochen. Der Anlass, einen Roman darüber zu schreiben, war für mich, glaube ich, die Erkenntnis, wie wenig Bewusstsein es allgemein zu dem Thema gibt. Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, waren nämlich ganz erstaunt, dass es überhaupt Menschen gibt, die aus muslimischen Familien kommen, selber aber Atheisten sind.

Das ist also der Grund, warum ich mehr Bewusstsein zu diesem Thema schaffen will. Ich hoffe, so vor allem Leute erreichen zu können, die sich noch überhaupt nicht damit befasst haben. Das gelingt auch immer wieder. Bei Lesungen sagen mir die Zuhörer nachher oft, dass ihnen das Thema vollkommen neu ist. Einmal ist zum Beispiel ein Mann nachher zu mir gekommen und hat gesagt: "Ich höre das wirklich zum ersten Mal, dass es Leute aus muslimischen Familien gibt, die mit Religion nichts zu tun haben wollen."

Können Sie kurz allgemein über das Thema berichten? Was haben Ihre Recherchen ergeben?

Ja, also ich bin natürlich auf sehr viele unterschiedliche und individuelle Geschichten gestoßen, aber die grundsätzlichen Probleme sind immer wieder die gleichen. Wer sich vom Islam abwendet, wird von vielen Muslimen als Verräter betrachtet. Die Mehrheitsbevölkerung sieht einen aber oft immer noch als Muslim, wenn man einen islamischen Namen hat oder arabisch aussieht. Äußern sich Ex-Muslime kritisch über den Islam, oder über negative Erfahrungen mit Muslimen, missbrauchen Rechtsextreme das gerne zu Propagandazwecken. Gleichzeitig wird man für islamkritische Aussagen sehr schnell in die rechte Ecke gestellt.

Welche Herausforderungen haben sich bei Ihren Recherchen beziehungsweise den Arbeiten an Ihrem Buch für Sie ergeben?

Einige! Erst einmal ist das Thema der Apostasie im Islam noch kaum erforscht. Man findet also nur sehr wenig wissenschaftliche Literatur. In den Sozialwissenschaften gibt es zwar ein großes Interesse an Menschen, die zum Islam konvertieren, aber kaum eines an denen, die ihn verlassen. Man findet zwar viele Bücher, Artikel und Blogbeiträge von Ex-Muslimen selbst, aber kaum systematische Forschungen zu dem Thema. Es war auch schwer, Kontakte zu Ex-Muslimen zu finden, da es in Österreich zu der Zeit noch keine Communities gegeben hat. Deswegen musste ich für die meisten Interviews nach Deutschland fahren. Mittlerweile gibt es auch hier einige Communities wie etwa das Atheist Republic Vienna Consulate oder die Säkulare Flüchtlingshilfe in Österreich und inzwischen kenne ich auch einige Ex-Muslime persönlich. Aber damals war es wirklich noch schwer, überhaupt genug Interviewpartner zu finden, um die Arbeit schreiben zu können.

Dann sind da natürlich noch die psychischen Aspekte. Viele Ex-Muslime, vor allem Flüchtlinge, haben massive Gewalterfahrungen gemacht, teils durch ihre eigene Familie. Schwere Traumata sind mir häufig begegnet. Mir hat zum Beispiel eine Interviewpartnerin nachher gestanden, dass sie mir nicht ihre ganze Geschichte erzählen konnte, weil es zu schmerzhaft für sie gewesen wäre, darüber zu reden. Sich so intensiv damit auseinander zu setzen kann einen natürlich auch selber psychisch belasten. Ich war mir dessen zwar bewusst, aber tatsächlich darauf vorbereitet war ich nicht.

"Mutig sind die Ex-Muslime, die all diese Probleme ansprechen und dafür angegriffen und sogar bedroht werden."

Als ich dann angefangen habe, basierend auf meinen Daten das Buch zu schreiben, war ich anfangs nicht sicher, ob ich dem gewachsen bin. Das alles war für mich neu und außerdem mit großer Verantwortung verbunden.

Welche Verantwortung tragen Sie dabei?

Naja, Apostasie im Islam ist ein komplexes und sensibles Thema. Es gibt viele Aspekte, auf die man eingehen muss. Ich wollte schließlich die Menschen auf dieses Thema aufmerksam machen, ohne ein vereinfachtes Bild der Realität zu zeichnen. Die Angst, dabei zu versagen, war anfangs groß. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht und auch viele Menschen nach ihrer Meinung gefragt. Außerdem habe ich alle Informationen zu dem Thema so genau wie möglich überprüft.

Für viele Menschen ist das Thema der Apostasie im Islam ja gänzlich unbekannt. Wie sind die Reaktionen auf Ihr Buch?

Wie gesagt, ich werde häufig von Leuten angesprochen, für die das Thema vollkommen neu ist. Sie sagen mir dann oft, wie wichtig das Thema ist. Viele Menschen, mit denen ich rede, finden das Thema sehr interessant, aber so im Alltag und in den Medien hört man eben kaum etwas davon. Unlängst hat mich auch ein Mann angesprochen, wie mutig ich bin, dieses Thema zu behandeln und darüber zu reden, weil man, wenn man irgendetwas, das mit Minderheiten zu tun hat, kritisiert, gleich angegriffen wird. Ich sehe das nicht unbedingt so. Ich finde es nicht besonders mutig. Mutig sind die Ex-Muslime, die all diese Probleme ansprechen und dafür angegriffen und sogar bedroht werden.

Ist für Sie Islamkritik oder Religionskritik allgemein ein wichtiges Thema?

Das ist eine schwierige Frage. Ich finde es wichtig, dass es möglich ist, Religionen offen zu kritisieren. Das ist in Europa im Großen und Ganzen auch so, obwohl es in vielen Ländern nach wie vor Blasphemiegesetze gibt. Zum Beispiel wurde erst 2018 das Urteil gegen die Österreicherin Elisabeth Sabaditsch-Wolff wegen islamkritischer Aussagen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt.

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Aber viele Ex-Muslime werden zum Beispiel von ihren Familien verstoßen, weil sie sich vom Glauben abgewandt haben. Viele sind gezwungen, eine Lüge zu leben. Sie tun, als ob sie immer noch gläubige Muslime wären, auch wenn sie das längst nicht mehr sind. Auch in der breiten Bevölkerung gibt es nach wie vor Menschen, die denken, wenn man nicht gläubig ist, dann hat man keine Moral oder ist unehrlich. Außerdem heißt es ja immer wieder "wir sind ein christliches Land". Das lehne ich ab. Es geht mir nicht darum, irgendeine Religion als solche zu kritisieren, sondern darum, dass Religionen keinen Sonderstatus gegenüber irgendeiner anderen Weltanschauung haben, dass sie also reine Privatsache sind und niemand mehr verfolgt oder bedroht wird, weil er eine Religion kritisiert oder nicht mehr an sie glaubt. Leider steht aber in vielen Ländern auf Abfall vom Glauben immer noch die Todesstrafe und Menschen riskieren ihre Freiheit oder gar ihr Leben, wenn sie sich religionskritisch äußern oder sich zum Säkularismus bekennen.

Haben Sie selbst je Druck erfahren, an irgendeine Religion glauben zu müssen?

Nein, ich bin eigentlich ohne Religion aufgewachsen. Meine Eltern haben mir zwar von Gott und Jesus und so erzählt, aber es war ihnen eigentlich immer egal, ob ich nun daran glaube oder nicht. Ich hatte nie wirklich das Bedürfnis, an irgend so etwas zu glauben und habe auch schon früh so einiges gesehen, was keinen Sinn ergibt. In meiner Großfamilie sind natürlich schon ein paar Leute religiös, aber auch da war das jetzt nie ein großes Thema. Das einzige war so um die Weihnachtszeit, wenn ich meine Oma besucht habe, da habe ich immer das Jesuskind aus der Krippe rausgenommen und stattdessen das Schaf hineingelegt. Ich habe erst Jahre später erfahren, dass das meine Tante ziemlich geärgert hat. Damals habe ich mir aber nicht viel dabei gedacht. Ich war ja ein Kind und habe es lustig gefunden. Für mich war das ganze halt ein Brauch, etwas, das man halt so macht, aber, dass die ganzen religiösen Aspekte von Weihnachten für manche Leute wirklich eine Bedeutung haben, das ist mir erst viel später bewusst geworden.

Wie kommt es dann, dass Sie sich jetzt so intensiv mit Themen rund um Religion beschäftigen?

Naja, ich habe in der Schule im Religionsunterricht viele Sachen gehört, die mir einfach unstimmig vorgekommen sind und mich teilweise auch geärgert haben. Zum Beispiel, dass Gott gut und allmächtig ist, es aber trotzdem so viel Unrecht und Leid auf dieser Welt gibt. Wieso tut Gott nichts dagegen, wenn er doch allmächtig ist? Ich weiß, viele sagen dann: "Gott lässt uns unseren eigenen Willen". Aber dann ist doch die Frage, ob es gut ist, jedem um jeden Preis seinen eigenen Willen zu lassen, egal, was die Konsequenzen sind. Ich meine, von Menschen wird erwartet, dass sie eingreifen, wenn vor ihren Augen ein Unrecht geschieht, solange sie sich damit nicht selber in Gefahr bringen. Aber Gott kann einfach zusehen. Ich könnte jetzt ewig weiter reden, was mich damals alles gestört hat, aber hier nur ganz kurz. Ja, ich habe mich auch im Religionsunterricht oft demonstrativ desinteressiert gezeigt. Im Nachhinein habe ich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinem Lehrer, weil er richtig nett war. Aber ich habe mich einfach mit dem Thema Religion überhaupt nicht anfreunden können. Das war eine Zeitlang, als Teenager, aber die meiste Zeit über in meiner Kindheit und Jugend habe ich mir relativ wenig Gedanken über Religionen gemacht. Es war also in meinem eigenen Leben nie ein wichtiges Thema, aber ich interessiere mich auf einer analytischen Ebene dafür. Deswegen habe ich mich in meinem Studium auch immer stark auf das Thema Religion fokussiert.

Dass ich mich aber wirklich intensiv damit beschäftigt habe, ist erst während meines Studiums gekommen. Ich glaube aber, der Auslöser war einige Monate, bevor ich mein Studium begonnen habe, im Januar 2015. Damals wurde der saudische Blogger Raif Badawi öffentlich ausgepeitscht, weil er Christen, Juden, Muslime und Atheisten als gleichwertig bezeichnet und sich für Meinungsfreiheit eingesetzt hat. Ihm wurde ja Beleidigung des Islams vorgeworfen. Ich glaube, das war der Auslöser, warum ich mich, so stark auf Religionen fokussiere und darauf, was alles in ihrem Namen legitimiert wird.

Aber wie bereits erwähnt, es geht mir selbst nicht darum, irgendeine Religion im Speziellen zu kritisieren, sondern, darum, dass niemandem irgendeine Ideologie aufgezwungen werden soll. Leider werden Religionen aber nach wie vor oft als Mittel zur Unterdrückung benutzt.

Sie kritisieren in Ihrem Buch sowohl linke als auch rechte Positionen. Damit machen Sie sich bestimmt nicht nur Freunde?

Natürlich, ich werde von beiden Seiten des öfteren angegriffen. Aber ich glaube, so geht es jedem, der eine etwas differenzierte Meinung hat.

Über welche Themen wollen Sie als nächstes Schreiben?

Das ist schwer. Es gibt einfach so viele Themen, die mich interessieren, oder mir am Herzen liegen und ich kann einfach nicht alle so intensiv bearbeiten. Einige der Themen eignen sich gewiss für ein nächstes Buch, andere nicht. Vielleicht werde ich auch anfangen zu bloggen. Außerdem will ich mich auch später noch an Forschungsprojekten beteiligen.

Da kann man nur viel Erfolg wünschen. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

Das Interview führte Michael Jachan.

Jasmin Thoma, Der Ungläubige, tredition Verlag 2019, ISBN: 978-3-7497-3132-9, 10,99 Euro (Paperback)

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