Der Bundespräsident und die Kirchenstaatsleistungen

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Schloss Bellevue in Berlin ist der Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten.

Seit über 200 Jahren erhalten die Kirchen in Deutschland öffentliche Gelder ohne Gegenleistung. Seit über 100 Jahren verlangt die Verfassung die Abschaffung dieser Staatsleistungen an die Kirchen. Diesen Verfassungsauftrag endlich umzusetzen, halten derzeit offensichtlich weder Politik noch Bundespräsident für notwendig.

Als Ausgleich für staatliche Säkularisationen von Kirchenbesitz in der Neuzeit sowie als Folge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 wurden den Kirchen Anfang des 19. Jahrhunderts Zahlungen zugesagt. Über 100 Jahre später im Weimarer Reich wurde in der Verfassung festgelegt, dass diese Zahlungen abzuschaffen seien. Der entsprechende Paragraf der Weimarer Reichsverfassung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen.

Für die Erfüllung des längst überfälligen Verfassungsauftrags setzt sich das "Bündnis altrechtliche Staatsleistungen abschaffen" (BA§TA) ein. Das Bündnis veröffentlichte nun einen Briefwechsel mit dem Justitiariat von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auf seiner Webseite schreibt BA§TA hierzu:

"Seit 100 Jahren weigern sich die verantwortlichen Politiker des Bundes und der Länder, den Auftrag der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen zu erfüllen. Aus Anlass dieses 'Jubiläums' hat sich das 'Bündnis altrechtliche Staatsleistungen ablösen' (BA§TA) an Bundespräsident Steinmeier gewandt. Er wurde gebeten, nicht hinzunehmen, dass ein eindeutiger Verfassungsbefehl weiterhin bewusst ignoriert wird. Das Bündnis schlug dem Bundespräsidenten vor, die Initiative für eine Veranstaltung zu ergreifen, bei der unter Teilnahme der maßgeblichen politischen Kräfte und unter Leitung einer sachkundigen und neutralen Persönlichkeit Möglichkeiten zur Ablösung der Staatsleistungen erörtert und ein allgemeiner öffentlicher Diskurs zu diesem Thema eröffnet werden kann.

Der Bundespräsident ließ in seinem Antwortschreiben mitteilen, dass auch er in Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung einen solchen Verfassungsauftrag sehe. Da für seine Nichterfüllung aber keine Sanktion vorgesehen sei, unterliege die Entscheidung der 'politischen Opportunität'; die Nichtablösung stelle mithin keinen Verfassungsbruch dar. Eine Handlungsnotwendigkeit für den Bundespräsidenten sei nicht ersichtlich. 'Stattdessen dürfte zunächst die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen und politischen Diskussion zu diesem wichtigen Thema abzuwarten sein.'

Dazu nimmt das Bündnis altrechtliche Staatsleistungen ablösen (BA§TA) wie folgt in vier Punkten Stellung:

1. Das Bündnis hält es für bemerkenswert, dass nach 100 Jahren Untätigkeit 'zunächst' die weitere (!) Entwicklung abgewartet werden soll. Entwickelt hat sich bisher nichts. Das Abwarten kann locker weitere 100 Jahre Stillstand in dieser Frage bedeuten. Dabei heißt Stillstand nicht Festhalten des status quo, sondern gemäß den geschlossenen Staatskirchenverträgen: jährlich mehr Geld der Länder an die Kirchen. 1950 wurden (umgerechnet) etwa 37 Millionen Euro an die evangelische und die katholische Kirche gezahlt, 1985 bereits 255 Millionen Euro; zuletzt 2019 waren es 548 Millionen Euro. Wann die Milliarde erreicht ist, kann man sich ausrechnen.

2. Bemerkenswert ist nach Auffassung von BA§TA weiter, dass der Bundespräsident sich darauf beruft, das Grundgesetz sehe für die Nichtablösung keine Sanktion vor. Dem liegt die befremdliche Auffassung zugrunde, ein Verfassungsauftrag brauche nur dann beachtet zu werden, wenn eine Sanktionierung drohe. Verfassungsvorschriften müssen aber stets, und zwar gemäß ihrem Wortlaut und ihrem Sinn, befolgt werden. Die Verfassungsgeber von 1919 beschlossen mit der Trennung von Staat und Kirche zugleich die baldige Ablösung der Staatsleistungen; dass diese Ablösung mehr als 100 Jahre würde auf sich warten lassen, lag mit Sicherheit ebenso außerhalb der Vorstellung der damaligen Akteure wie die Notwendigkeit, Sanktionen zur Durchsetzung androhen zu müssen.

3. Unterliegt die Entscheidung über die Ablösung der Staatsleistungen der politischen Opportunität, wie der Bundespräsident unter Berufung auf eine Meinung der Wissenschaft vom Staatskirchenrecht behauptet? Es empfiehlt sich ein Blick auf den Wortlaut der einschlägigen Verfassungsvorschrift: 'Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf' (Artikel 138 Absatz 1 Weimarer Reichsverfassung, in Artikel 140 Grundgesetz übernommen). In diesem eindeutigen Rechtssatz ist von Opportunität, will heißen: von beliebigem politischen Verhalten der Verantwortlichen im Bund und in den Ländern, etwa je nach Kassenlage oder nach Kirchennähe, keine Spur zu finden.

4. Angesichts der bisherigen übereinstimmenden ablehnenden Haltung und Praxis aller maßgeblichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 in dieser Frage hindert die Pflicht zu Überparteilichkeit und politischer Neutralität den Bundespräsidenten nicht daran, politische Aktivitäten zur Umsetzung des bisher seit überlanger Zeit unerfüllten Verfassungsauftrags anzumahnen. Im Gegenteil: gerade weil Frank Walter Steinmeier vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten als designierter Präsident des Evangelischen Kirchentages galt, würde er seine Unabhängigkeit unter Beweis stellen, wenn er die Politik dazu auffordern würde, endlich – wie das Grundgesetz es verlangt – die Initiative zu ergreifen, eine Initiative, welche übrigens von den beiden Kirchen seit langem erwartet wird."