Legenden im Gewand der Geschichtswissenschaft

MARBURG. Das Jahr 2007 wurde zum Elisabeth-Jahr ausgerufen. Auch wer in Marburg konfessionslos oder an Kirchengeschichte gänzlich

uninteressiert ist, weiß inzwischen: Am 7. Juli 2007 jährt sich der Geburtstag der "Heiligen Elisabeth" zum 800. Mal.

Pünktlich zu diesen Feierlichkeiten ist Anfang des Jahres im Bussert & Stadeler-Verlag eine Biografie über Elisabeth von Thüringen erschienen. Autor ist der thüringische Regional-Historiker Wilfried Warsitzka. Auf insgesamt 221 Seiten beleuchtet er die Geschichte der nach ihrem Tode heilig gesprochenen Landgräfin.

Nach reichlicher Recherche zeichnet Warsitzka mit kräftigen Zügen das kurze Leben der jungen Frau nach. Geboren wurde sie als ungarische Königstochter Erzsébet - zu deutsch Elisabeth. Ihre ersten vier Lebensjahre liegen im Dunkel. Aus machtstrategischen und bündnispolitischen Motiven wurde sie mit vier Jahren an den thüringischen Landgrafen verschachert, dessen Sohn Herrmann sie später heiraten sollte. Als Hermann vorzeitig verstarb, musste sie im Alter von 14 Jahren den Zweitgeborenen Ludwig heiraten. Als Adlige zeigte Elisabeth ungewöhnlich viel Interesse am Schicksal der Armen. 1221 errichtete sie zusammen mit ihrem Ehemann Ludwig das Maria-Magdalenen-Hospital in Gotha. In Eisenach verteilte sie Speisen an die Armen. Im Hunger-Sommer 1226 gründete sie ein weiteres Hospital in Eisenach. Gleichzeitig öffnete sie gegen den Willen der Vögte und Verwalter die landgräflichen Kornspeicher und verteilte alles an die hungernde Bevölkerung. Als Ludwig im September 1227 auf einen Kreuzzug in Italien starb, fiel Elisabeth in tiefe Trauer. Den Intrigen am landgräflichen Hofe nicht mehr gewachsen, verließ sie im Winter 1227/ 1228 die Burg. Ohne ihre Kinder und begleitet von zwei ihrer Dienerinnen, wählte sie das Leben einer Bettlerin. Im Spätsommer 1228 gründete Elisabeth mit einem Geldbetrag aus ihrem Eigentum ein Hospital in Marburg. Damit errichtete sie zugleich eine Zufluchtsstätte für die Armen und Kranken. Auch hier stieß sie auf die offene Ablehnung der Adligen. Sie konnten diese unfürstliche Fürstin, die sich mit dem Bettel-Volk auf eine Stufe stellte, nur schwer ertragen. In der Nacht vom 16. auf den 17. November 1231 verstarb Elisabeth schließlich im Alter von 24 Jahren in Marburg. Bereits vier Jahre später wurde sie heilig gesprochen.

Mit "Elisabeth" hat Warsitzka eine umfassend recherchierte Biografie über eine historische Person vorgelegt, die bereits mehrfach in der Literatur dargestellt wurde. Zahlreiche Legenden ranken sich um die ehemalige Landgräfin. Einige Quellen zu Elisabeth sind mehr als 700 Jahre alt. Angesichts dieser Quellen-Lage war es sicher nicht einfach, ein objektives Bild von Elisabeth nachzuzeichnen. Doch genau darin hätte der Wert einer weiteren Biografie über Elisabeth bestanden: Die Legenden wie zu hoch gewachsene Triebe zurück zu schneiden. Stattdessen hat Warsitzka sie jedoch weiter gedeihen lassen.

Die große Schwäche des Buches ist, dass es Warsitzka nicht gelingt, den historischen Rahmen seiner Protagonistin zu verlassen. Elisabeth als Heilige scheint ganz und gar unantastbar. Genau deshalb stößt man in beinahe jedem Kapitel auf legendenumwobene Passagen. "Heiterkeit war ein Grundzug ihres Wesens" oder "Selbst unter Tränen verschönte oft ein Lächeln ihre Züge". Zu sehr ist Warsitzka darum bemüht, Elisabeth als weiche, empfindsame und mildtätige Frau darzustellen, die "einmal beim Anblick des Gekreuzigten so von Mitleid erschüttert" war, "dass sie ohnmächtig niedersank". Auch habe Elisabeth im Alter von nur fünf Jahren "ihre Spielsachen an die Armen fort" gegeben.

Sind nicht all das zumindest legendenumwobene Mutmaßungen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren? Woher will Warsitzka zuverlässig wissen, dass die kleine Elisabeth "immer mit jenem heiteren Zug ihres Charakters übergoldet, das Armsein", spielte? Geschichte muss immer am Maßstab ihrer Zeit gemessen werden. Doch es muss auch möglich sein, historische Personen oder Ereignisse aus der Gegenwart heraus kritisch zu hinterfragen. Nichts dergleichen tut Warsitzka.

Sein Buch bleibt bei der unkritischen Niederschrift beschönigender Eckpunkte aus dem Leben Elisabeths stehen. Dadurch erscheint es zunächst umfassend, gut recherchiert und ergiebig. Doch Warsitzka vermeidet die Fragen, die Elisabeth in ihren historischen Kontext setzen, die erklären und vielleicht auch ein wenig entmystifizieren. Was beispielsweise hat Elisabeth dazu bewogen, sich von ihren fürstlichen Wurzeln zu trennen? Ist nicht der Argwohn und Spott der Armen Zeugnis dafür, dass ihre Bemühungen versandeten? Waren sie nicht eine Art Mixtur aus bürgerlichem Mitleid und dem selbstherrlichen Wunsch, vor Gott gut dazustehen?

Muss eine engagierte Christin nicht mehr haben als soziales Engagement, das rein instrumentell ist? Und ist es daher nicht heuchlerisch, eine Heilige zu verehren, die eine alte schwache Frau mit dem Stock zur Beichte antreibt? War nicht das revolutionärste an Elisabeth, dass die Adligen sie als Bedrohung empfanden? Egal wie die Antworten am Ende ausfallen, die Fragen machen zumindest eine kritische Auseinandersetzung mit der historischen Figur der Elisabeth von Thüringen möglich. Leider bleiben sie bei Warsitzka ungestellt.

Damit reiht sich auch die soeben erschienene Biografie über Elisabeth in die unzähligen Legenden-Darstellungen ein, die ihre historische Gestalt verklären. Wer in den verehrenden Reigen der heiligen Elisabeth einzustimmen vermag, wird dieses Buch als emotionale Wohltat empfinden. Wer allerdings das Buch mit einer religiösen Distanz zur Hand nimmt, für den bleibt es wissenschaftlich unbefriedigend, langweilig und nur eine weitere Legenden-Darstellung.

Ulrike Eifler

Wilfried Warsitzka: Elisabeth - Königstochter, Landgräfin und Heilige Verlag Dr. Bussert & Stadeler Jena/ Quedlinburg, 2007. ISBN: 978-3-932906-72-5. 221 Seiten, Euro 19,90.