Befunde zum Antiamerikanismus

(hpd) Der Sozialwissenschaftler Heiko Beyer präsentiert in “Soziologie des Antiamerikanismus. Zur Theorie und Wirkmächtigkeit spätmodernen Unbehagens” eine auf der ideengeschichtlichen Entwicklung basierende Theorie des Antiamerikanismus verbunden mit einer Studie zur Verbreitung des Antiamerikanismus in der deutschen Bevölkerung.

Geschickt gelingt dem Autor die Verkopplung zweier verschiedener methodische Ansätze, wobei überzeugend der Kontext von antiamerikanischen Vorurteilen und sozialem Wandel aufgezeigt wird, mitunter verschwimmen aber die Differenzen von “Amerikafeindlichkeit” und “Amerikakritik”.

Betrachtet man die deutsche Geschichte seit dem 19. Jahrhundert, so lässt sich ein kontinuierliches, aber wechselndes Aufkommen von Ressentiments und Vorurteilen gegen “Amerika” in Form der USA ausmachen. Indessen fällt dabei die Unterscheidung von “Amerikafeindlichkeit” und “Amerikakritik” nicht immer leicht, gab und gibt doch die US-amerikanische Außen- und Innenpolitik immer wieder berechtigte Anlässe zu Unmut. Ein weit darüber hinaus gehendes Zerrbild von Gesellschaft und Staat lässt sich indessen sehr wohl ausmachen. Dem will der Sozialwissenschaftler Heiko Beyer in seiner Studie “Soziologie des Antiamerikanismus. Zur Theorie und Wirkmächtigkeit spätmodernen Unbehagens” nachgehen. Entsprechend des Untertitels hat sie zwei Ziele: “Erstens wird es darum gehen müssen, eine Theorie des Antiamerikanismus zu entwickeln … Zweitens will die vorliegende Arbeit … eine empirische Herangehensweise vorstellen, bei der … die Differenz zwischen Amerikakritik und Antiamerikanismus berücksichtigt wird …” (S. 20f.).

Zunächst definiert Beyer “Antiamerikanismus” als eine “Tendenzen der Psyche, die sich in der Abwertung von Personen, Institutionen oder Sachen, die als ‚amerikanisch’ wahrgenommen werden, ausdrückt” (S. 21). Dem folgt auf Basis des bisherigen Forschungsstandes ein ideengeschichtlicher Überblick zur Entwicklung des “Antiamerikanismus” in Deutschland, der auf eine Abwehrhaltung gegenüber gesellschaftlichen Erscheinungsformen der “Moderne” zurückgeführt wird. Genau dieser Aspekt bildet dann auch den Ansatzpunkt für die folgende Präsentation einer “Theorie des Antiamerikanismus”: Er übernehme “die psychischen Funktionen, sozialen Wandel zu rationalisieren und die verleugneten Selbstanteile zu externalisieren, indem diese auf als ‚typisch amerikanisch’ wahrgenommene Objektive projiziert werden” (S. 131). Um die Annahmen empirisch zu überprüfen, “übersetzte” der Autor sie in messbare Einstellungen, welche wiederum hinsichtlich ihrer Akzeptanz und Kontexte geprüft werden sollten.

Dazu dienten die Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage, die anhand einer Stichprobe bei 1.200 Befragten 2011 auf der Basis von Telefoninterviews durchgeführt wurde. Wie in einschlägigen Studien üblich, erklärt Beyer zunächst ausführlich das methodische Vorgehen bezogen auf Indexbildung und Operationalisierung, bivariate und multivariate Analysen. Als qualitatives Ergebnis könne der Kontext von Antiamerikanismus als Rationalisierung sozialen Wandels ebenso wie als Projektion verleugneter Selbstanteile als bestätigt gelten. Auch für einen Randaspekt, die Nähe von Antiamerikanismus und Antisemitismus, konstatiert Beyer eine Bestätigung durch die empirischen Daten seiner Untersuchung. Als quantitatives Resultat zeigte sich: “Basierend auf einem eigens für diese Studie entwickelten Messinstrument, das aus zwölf Aussage-Items besteht, wurde ein Anteil von insgesamt 7,9 Prozent manifest antiamerikanisch eingestellter Befragter ermittelt. Zusätzliche 57,4 Prozent zeigten ein latent antiamerikanisches Antwortmuster” (S. 197).

Beyer kommt das Verdienst zu, für die Antiamerikanismusforschung eine empirische und theoretische Dimension methodisch überzeugend miteinander verkoppelt zu haben. Darüber hinaus nutzt der Forscher ein mehrdimensionales Messinstrument, das erst eine differenzierte Auswertung des empirischen Materials erlaubt. Indessen stellt sich auch hier bei den genutzten Items die Frage, ob sie wirklich trennscharf “Amerikafeindschaft” und “Amerikakritik” unterscheiden können. Angesichts der inhaltlichen Schnittmengen einschlägiger Diskurse ist dies aber in der Tat nicht einfach möglich.

Interessant wäre es noch gewesen, die Besonderheiten des “Antiamerikanismus” sowohl von “links” wie von “rechts” in der vergleichenden Betrachtung ihrer Anteile zu untersuchen. Keine ausführlichere Rolle spielt leider der Gesichtspunkt der Person des US-Präsidenten: Gab es nicht eine starke Mäßigung des Antiamerikanismus nach dem Ende der Ära Bush und dem Beginn der Ära Obama? Müssten von daher nicht auch die Bedeutung mancher Daten relativiert werden?

 


Heiko Beyer, Soziologie des Antiamerikanismus. Zur Theorie und Wirkmächtigkeit spätmodernen Unbehagens, Frankfurt/M. 2014 (Campus-Verlag), 222 S.